Interview mit der Kartellrechtsanwältin Stephanie Pautke

"Ein Übernahmeangebot muss hieb- und stichfest sein"

25. Februar 2019
von Börsenblatt
Nur kurz nach Bekanntwerden der Insolvenz von KNV kursierten bereits erste Namen möglicher Erwerber. Welches Verfahren bei einer Fusion durchlaufen wird, und welche Gestaltungsmöglichkeiten der Insolvenzverwalter hat – darüber klärt Stephanie Pautke, Anwältin der auf Kartellrecht spezialisierten Kanzlei Commeo LLP in Frankfurt am Main auf.

Libri, Bertelsmann und weitere Unternehmen werden als Interessenten für eine Übernahme von KNV gehandelt. Welche Chancen hätten sie?
Kartellrechtlich müssen Zusammenschlüsse ab einer bestimmten Größenordnung ein Fusionskontrollverfahren durchlaufen. Welches Kontrollregime dann wirksam wird, richtet sich insbesondere danach, wo Zielunternehmen und Erwerber Umsätze erzielt haben, und ob in diesen Ländern die sogenannten Aufgreifkriterien für eine Fusionskontrolle erfüllt sind – und die sind zunächst rein umsatzgetrieben. Wenn sowohl der Erwerber als auch das Zielunternehmen eine bestimmte Umsatzschwelle reißen, muss jeweils ein Fusionsvorhaben bei der Kartellbehörde zur Freigabe angemeldet werden. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um ein Unternehmen handelt, das schon in der Branche Fuß gefasst hat, oder ob es ein Dritter ist. Wenn beispielsweise ein Großkonzern wie Siemens erwägt, in den Buchmarkt einzusteigen, dann würde in gleicher Weise ein Fusionsverfahren ablaufen wie bei einem Bieter aus der Buchbranche.

Wäre ein potentieller Erwerb von KNV, die über einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro verfügen, anmeldepflichtig?
Ja. Das wird vermutlich der Fall sein, ohne dass jetzt schon klar ist, ob eine solche Fusionskontrollanmeldung dann auf Ebene eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten zu erfolgen hat oder ob gegebenenfalls auch die Anmeldeschwellen für eine europäische Fusionskontrollanmeldung erfüllt sind. Ist dies der Fall, geht die EU-Fusionskontrollanmeldung möglichen nationalen Anmeldepflichten in Europa vor.

Was geschieht nach der Anmeldung?
Dann beginnt die Prüfphase, in der die Kartellbehörde feststellen muss, ob durch das  Zusammenschlussvorhaben wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird. Das bezieht sich im Kartellrecht immer auf den relevanten Markt. Es muss also vorher abgegrenzt werden, wo die Unternehmen tätig sind. Anschließend wird festgestellt, ob es Überschneidungen auf horizontaler Ebene gibt, und wenn ja, ob dies das gesamte Geschäft oder nur Teilbereiche betrifft, oder ob die Unternehmen in einem vertikalen Verhältnis zueinander stehen, ihre Geschäftsbereiche also einander vor- oder nachgelagert sind. Oder: Handelt es sich um ein vollkommen artfremdes Geschäft? Auf diesen relevanten Märkten wird dann auch die Marktstellung der Unternehmen ermittelt und geprüft, ob es zu Additionen oder zu anderweitigen Verstärkungen einer Marktposition kommt. Das deutsche Kartellrecht kennt eine Marktbeherrschungsvermutung ab 40 Prozent Marktanteil, nennt aber auch eine ganze Reihe weiterer Kriterien, die für die Wettbewerbsstellung eines Unternehmens relevant sind. Erfüllt eine Transaktion eine solche Vermutung, wird kritisch hingeschaut – was nicht heißen muss, dass eine Transaktion nicht letztlich doch zustande kommt.

Was hieße das für den Fall KNV?
Das lässt sich so pauschal gar nicht sagen. Zunächst käme es ja auf die Frage an, was ein potentieller Erwerber überhaupt erwerben wollte. Geht es um das Gesamtgeschäft von KNV oder nur um Teilbereiche? Die Kartellbehörden prüfen das Zusammenschlussvorhaben in der Form, wie es von den Unternehmen angemeldet wird. Sie reagieren zunächst nur und machen keine eigenen Vorschläge. Erst wenn eine Behörde dann im Hinblick auf das angemeldete Vorhaben konkrete Bedenken signalisiert, haben die Parteien die Möglichkeit, strukturelle Änderungen anzubieten. Da gibt es ein großes Spektrum an Möglichkeiten. Die Kartellbehörden prüfen diese Änderungsvorschläge und stellen fest, ob sie für die Wahrung des Wettbewerbs ausreichend sind.

Wenn eine Komplettübernahme von KNV untersagt würde, könnte der Erwerber ja einem Weiterverkauf von Unternehmensteilen zustimmen.
Der Insolvenzverwalter kann einem Erwerber Vorgaben machen, wie er mit einem kritischen Ausgang einer fusionskontrollrechtlichen Prüfung umzugehen hätte. Ob dies dann aber am Ende zum Erfolg führt, hängt davon ab, ob die zuständige Behörde dann einen Weiterverkauf von Teilen des erworbenen Geschäfts für ausreichend hält, um kartellrechtlich Bedenken zu beseitigen. Und natürlich kann sich der Insolvenzverwalter zur Vermeidung dieser Diskussionen auch von vornherein für einen Bieter entscheiden, bei dem sich diese Themen gar nicht erst stellen. Es ist in einem Fusionskontrollverfahren Sache der Parteien, Gestaltungsvorschläge zu machen, die dann für eine Kartellbehörde zur Freigabe einer Transaktion akzeptabel sind. Manchmal gelingt das, manchmal gelingt das auch nicht. Für den Insolvenzverwalter kann auch eine Rolle spielen, wie langwierig das Prüfverfahren ist. Eine Transaktion darf aber grundsätzlich erst vollzogen werden, wenn die Kartellbehörde grünes Licht gibt. Das alles sind Faktoren, die sich dann auch im Kaufpreis niederschlagen können.

Und wenn sich die Wettbewerbshüter querlegen?
Dann gibt es in Deutschland nur noch das Instrument der Ministererlaubnis, die aber ein ziemlich aufwändiger Akt ist. Eine solche Genehmigung, die den übergeordneten Wohlfahrtsgedanken höher bewertet als den Wettbewerb, unterliegt sehr strikten Kriterien. Da kommen dann Faktoren wie Arbeitsplatzerhalt oder Systemrelevanz ins Spiel, die sonst bei der kartellrechtlichen Prüfung keine Rolle spielen. Ein aktuelles Beispiel ist ja die geplante Fusion von Siemens und Alstom bei den Hochgeschwindigkeitszügen, die die Politik auf beiden Seiten unterstützt. Die in diesem Fall zuständige EU-Kartellbehörde hat dies aber für nicht machbar erklärt. Im europäischen Fusionskontrollrecht hat man aber keine politische Möglichkeit, diese Entscheidung zu revidieren, weil eine übergeordnete Instanz wie in Deutschland fehlt. Da müssen die Unternehmen jetzt durch die Gerichtsinstanzen gehen und nachweisen, dass die EU-Kommission rechtsfehlerhaft entschieden hat.

Wenn jetzt Bieter für KNV auf den Plan treten, für die das Kartellrecht kein Hindernis wäre – würde der Insolvenzverwalter dann nicht zugreifen?
Welche Überlegungen der Insolvenzverwalter bei der Bewertung eines Angebots anstellen wird, kann ich nicht sagen. Aber natürlich ist es denkbar, dass ein Unternehmen als Käufer auf den Plan tritt, das bisher überhaupt nicht im Buchmarkt aktiv gewesen ist. Oder auch ein Finanzinvestor. Für den Insolvenzverwalter ist die Kartellrechtsfrage insofern relevant, als diese Einfluss auf Faktoren wie Kaufpreis, Transaktionsrisiken und den Zeitfaktor hat. Und warum sollte er dann nicht in Betracht ziehen, das Unternehmen an einen Bieter zu verkaufen, bei dem kartellrechtliche Risiken keine Rolle spielen. Auf jeden Fall muss das Übernahmeangebot hieb- und stichfest sein, denn so ein Verfahren kostet auch Geld, es werden Anmelde- und Anwaltsgebühren fällig. Das macht man nicht als Trockenübung.