London Book Fair 2019

"Der Brexit überschattet alles"

15. März 2019
von Nicola Bardola
Beherrschendes Thema der 48. London Book Fair (LBF), die gestern zu Ende ging, war der drohende Brexit. Sorgen über die Zukunft des Buchgeschäfts machen sich Verleger diesseits und jenseits des Kanals. Beobachtungen, Einschätzungen und Stimmen aus dem Londoner Messezentrum Olympia.      

The Society of Authors (SoA) mit Sitz in London wurde 1884 gegründet und vertritt zurzeit die Rechte von über 10.000 britischen Autoren. Ihre Vorsitzende Nicola Solomon weist unermüdlich auf die Gefahren des Brexit, besonders für die Kreativen hin. Das Verdienst der SoA ist es, einer breiten Öffentlichkeit klar zu machen, dass die britische Verlagsbranche jährlich mit über fünf Milliarden Pfund Umsatz zur Wirtschaft des Landes beiträgt. Nicht nur diese ökonomische Leistung sei in Gefahr, wodurch sich die oftmals prekäre Situation von Schriftstellern noch verschlimmern könnte, betont Nicola Solomon.

Auf der London Book Fair (LBF) diskutierte sie im Zentrum "Author HQ" bei der Veranstaltung "How to Make a Living from Writing" mit den etablierten Autoren Woodrow Phoenix und Philip Womack. Beide bekommen gute Besprechungen ("das sehr originelle Werk eines Genies", The Times über Phoenix‘ "Rumble Strip"), aber die Buchverkäufe führen zu keinen befriedigenden Einkommensverhältnissen. Deshalb müsse sowohl bei den Details – bis hin zu einzelnen Paragraphen in Autorenverträgen – als auch an den großen Fragen gearbeitet werden.

Philip Womacks Kinderbücher wurden in mehrere Sprachen (noch nicht ins Deutsche) übersetzt. Womack ist mit der erfolgreichen Architektin Tatiana von Preussen, der Tochter von Prinz Friedrich von Preußen verheiratet. Das in London lebende Paar ist nicht auf sein Einkommen angewiesen, aber Nicola Solomon pocht auf die Durchsetzung gerechterer Autorenhonorare insbesondere bei Auslandslizenzen: "Exporte spielen eine wichtige Rolle für den Erfolg von Großbritanniens Verlagsbranche", so Solomon: "Verkäufe ins Ausland machen mit rund dreieinhalb Milliarden Pfund jährlich rund 60 Prozent der Gewinne aus."

Die Kosten landen beim Verlag

Oft dominierte auf der LBF thematisch der drohende Brexit, wenn nicht auf den Podien, so doch in Einzelgesprächen. Hejo Emons, Verlagsleiter Emons, weist auf die schwankenden Wechselkurse hin: "Das Pfund wird zurzeit schwächer. Das könnte sich nach dem Brexit noch verstärken. Da wir unser Geld für unsere englischen Bücher, die wir in England verkaufen, in Pfund bekommen, könnte der Wechselkurs den Gewinn schmälern." Emons liefert seine Bücher von Deutschland aus nach England: "Unsere Auslieferung hat vor dem Brexit deutlich mehr bestellt, damit unsere Bücher weiter lieferbar bleiben, weil keiner weiß, wie lang der Stau von Calais aus werden wird, vielleicht bis Köln?"

Manfred Olms, Verlagsleiter der Edition Olms, hat jahrzehntelange Erfahrung mit internationalen Koproduktionen auch opulenter Bildbände. Sein Programm bietet zudem eigene Produktionen, die manchmal in China oder Singapur gefertigt werden. "Die laufen oft über Firmen wie Magnum mit Sitz in England. Die Ware kommt daher zuerst nach England, wo sie verzollt wird. Das geht seltsamerweise viel schneller als in Hamburg", so Olms. Dann werden die Bücher in LKWs geladen und an die Distributionen in den verschiedenen Koproduktionsländern geliefert. "Das ist bei uns die Verlagsauslieferung VVA. Die Leute bei Magnum wissen nicht, wie es weitergehen wird", erklärt Olms. "Wir liefern auch englische Titel, die für den US-Markt bestimmt sind, an einen Sammelpunkt hier in England. Diese Bücher und auch die der britischen Verlage werden zusammengefasst und beispielsweise an die IPG (Independent Publishers Group) in Chicago geliefert. Wie das dann den Zoll betreffend und organisatorisch nach dem Brexit aussehen wird, weiß noch niemand. Die Bürokratie wird wachsen und die Kosten auch, die landen ja meistens am Ende beim Verlag", befürchtet Olms.

Zeitgeschichte hautnah

"Wir verkaufen immer weniger Bücher, aber es laufen immer mehr Menschen auf der Messe herum. Nein, Spaß beiseite: Die LBF ist in den Messehallen und außerhalb nicht nur atmosphärisch wunderbar, sondern auch fürs Geschäft sehr wichtig", sagt dtv-Verlagsleiterin Claudia Baumhöver. Und manchmal komme auch beides zusammen, wie beispielsweise am Messe-Dienstag, als Graham Swift in der Tate Britain dtv-Literatur-Programmleiter Lars Claßen und ihr seine neue Novelle vorgestellt hat. "Im April erscheint bei uns sein Buch 'Einen Elefanten basteln. Vom Leben im Schreiben'. Bei solchen Treffen mit Autoren, Agenten und Verlegern kann man aktuelle und künftige Bücher intensiv diskutieren. Das möchte ich nicht missen", so Baumhöver. Und mit dem Engländer spreche man zuerst einmal nicht über Religion, Politik und Geld, aber natürlich kämen im Verlauf eines Gesprächs mit etwas Verzögerung auch diese Themen an die Reihe. "Nach dieser LBF habe ich den Eindruck, dass die meisten Briten in der Buchbranche vom Brexit ähnlich erschüttert sind wie die New Yorker von Trump. Mir scheint, wir erleben gerade hautnah Zeitgeschichte: Wir sehen, wie die Disruption voranschreitet. Mir ist es wichtig, dass wir hierzu zeitnah die entsprechenden Bücher veröffentlichen", so Baumhöver.

Heiraten oder auswandern

"Der Brexit wird für Dorling Kindersley zunächst vor allem in UK Folgen haben. Es arbeiten hier sehr viele EU-Bürger, die sich Sorgen machen müssen um ihren Arbeitsplatz", sagt DK-Verlagsleiterin Deutschland Monika Schlitzer. Die Stimmung sei insgesamt in UK sehr angespannt. "Viele befürchten, dass das Land seine Stellung mit dem positiven Image als weltoffen, trendsensitiv und stilbildend möglicherweise einbüßen könnte. UK war in den vergangenen Jahrzehnten absolut führend, was Design, Lebensstil, Mode oder Popkultur und nicht zuletzt auch die für uns besonders wichtigen Food-Trends angeht. Die neuen politischen Tendenzen ergeben ein Bild, das diese gute Ausstrahlung trübt", so Schlitzer.

Die italienische Foreign-Rights-Managerin eines britischen Verlags, die nicht genannt werden will, sagt: "Damals bin ich aus Italien weg wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage. Jetzt wollte ich wegen des Brexit eigentlich zurück nach Italien. Aber da ist es wirtschaftlich und auch politisch eigentlich noch schlechter geworden, so dass ich momentan nicht zurückmöchte. Also werde ich wohl in London bleiben. Zur Sicherheit werde ich einen britischen Pass beantragen." Und eine belgische Foreign-Rights Kollegin eines anderen britischen Verlages berichtet: "Das mit dem Brexit ärgert mich. Jetzt bin ich so viele Jahre in dem Land und bei dem Referendum hatte ich das Gefühl, dass sie mich dort nicht mehr wollen. Ich bin doch Europäerin. Einen britischen Pass möchte ich eigentlich nicht. Ich hoffe immer noch, dass der Brexit ausfällt."

Eine deutsche Verlagsmitarbeiterin in London hat geheiratet, was vielleicht ohne Brexit später passiert wäre. Eine andere plant den Wegzug aus London, falls der Brexit kommt. Claudia Holzer, die Leiterin der Dependance von Usborne Publishing in Deutschland und davor selbst jahrelang in London tätig, bringt es im Sinne vieler ihrer Kollegen auf den Punkt: "Generell ist der Brexit eine Katastrophe für die gesamte internationale Verlagswelt. Nichts wird einfacher, alles ist unsicher, und keiner weiß wirklich, ob und was am 29. März tatsächlich passieren wird."

Big cultural shift

Rosie Goldsmith ist vielleicht die europäischste aller britischen Literaturvermittlerinnen. Als Chefredakteurin der Zeitschrift "The Riveter" macht sie fremdsprachige Literatur in Großbritannien bekannt. "Ich bin mit der Hoffnung auf die Messe gekommen, dass das riesige und vielfältige Rahmenprogramm der LBF hier dominieren wird. Aber der Brexit überschattet alles. Für die Verlagsbranche ist es wie für alle anderen Gewerbetreibenden auch: Wir wissen nicht, was passieren wird", so Goldsmith. Viele ihrer Freunde würden zurzeit versuchen, sich vorzustellen, was geschehen könnte: "Viele bereiten sich auf ein Worst-Case-Szenario vor. Kulturell, sozial und politisch wird das Verhältnis insbesondere zwischen deutschsprachiger Literatur und britischen Verlagen sehr schwierig. Die internationale Förderung, die wir betreiben, ist notwendiger denn je. Leider sinken aber die Subventionen. Doch diese werden gebraucht, um die Phase der Unsicherheit zu überbrücken", so Goldsmith: "Ich bin sehr besorgt: Wir erleben einen 'big cultural shift' und die Bereitschaft der Briten, Fremdsprachen zu lernen, sinkt weiter."

It ain`t over till it`s over

Nicht wenige der LBF-Besucher folgen den Vorgaben der Messeleiterin Jacks Thomas und des Verlagsleiters Stephen Page von Faber & Faber, die beide vor der Messe an die Verlagswelt appellierten, sich auf die eigenen Fähigkeiten zu konzentrieren und weiterhin lösungsorientiert zu arbeiten. Das Rahmenprogramm demonstrierte dementsprechend bewusst eine Öffnung hin zu Europa. So war mit Simone Buchholz erstmals eine deutsche Schriftstellerin Author of the Day. Entspannt beurteilten viele LBF-Besucher die Situation: Michael Schweins, Verlagsleiter bei Ars Edition, relativiert: "Gottseidank sind Bücher keine schnell verderblichen Lebensmittel. Sonst könnte es passieren, dass sie nach dem Brexit an den Zollstationen verschimmeln. Aber ernsthaft: So richtig mag ich noch nicht an den finalen Brexit glauben. Frei nach dem Song Hotel California 'You can check out any time you like, but you can never leave' oder mit Lenny: 'It ain`t over till it`s over!'"

German stories

Panikmache wollen viele vermeiden und konzentrieren sich aufs Geschäft: "Im Vorfeld heißt es oft, es gibt nichts Interessantes. Dabei habe ich hier im direkten Gespräch mit Agenten und Verlegern von so vielen interessanten Projekten gehört. Man weiß gar nicht, wohin damit. Dass Literatur am Ende sei, ist eine Lüge", sagt Heyne-Hardcore Verlagsleiter Markus Naegele, der nicht selten im Agentenzentrum Bela B.‘s Bestseller "Scharnow" zückt, was das Ansehen seines Verlages weiter hebt und die Verhandlungsposition stärkt.

Andreas Rötzer, Verlagsleiter Matthes und Seitz stellt eine Brexit-Gegenreaktion im literarischen Bereich fest: "Es wird jetzt sehr viel mehr aus dem Deutschen ins Englische übersetzt. Die Neugier auf das Außen ist zumindest bei den Verlegern deutlich zu spüren. Ich hoffe, dieser Trend hält an." Die deutschsprachigen Gemeinschaftsstände waren allerdings kleiner als in den vergangenen Jahren, da Österreich auf eine Teilnahme 2019 verzichtet hat. Zwei österreichische Verlage fanden bei den deutschen Nachbarn Unterschlupf, die mit dem Besucherandrang und den Lizenzgesprächen sehr zufrieden waren. Besonders der Slogan "German Stories“ komme sehr gut an, so die Leiterin der internationalen Programme der Frankfurter Buchmesse Bärbel Becker: "Damit können die Verlagsmenschen auf aller Welt sofort etwas anfangen. 'German Stories' ist das ideale Motto, um in medias res zu gehen."

Die nächste London Book Fair findet vom 10. – 12. März 2020 statt.