Zur Fraktion der rigorosen Buchmesseverächter gehöre ich nicht. Den Betrieb, in dem man nun mal tätig ist, gänzlich zu meiden, ist nicht unbedingt ein Zeichen von Souveränität. Es ist eher affig. Oder schick. Oder neurotisch. Auch muss man sich die Verweigerung leisten können. Die wenigsten Autoren sind so groß, dass sie durch Abwesenheit glänzen. Diese vornehme Tugend hat das Fernsehen zunichte gemacht. Wer nicht zu sehen ist, kann kaum mit Aufmerksamkeit rechnen. Das scheue Reh wird übersehen, die Platzhirsche röhren.
Wenn ein neues Buch von mir da ist, für das getrommelt werden muss, stürze ich mich daher ins Getümmel, mache alles mit und bin verständnisvoll selbst zu den Journalisten, die gestehen, sie hätten noch keine Zeit gehabt, den neuen Roman zu lesen, ob ich nicht einfach selbst ins Mikrofon sagen könne, was davon zu halten sei. Albern übrigens die Mode, die Leipziger Messe gegen die Frankfurter auszuspielen und in Solidaritätsaufwallungen für die benachteiligten östlichen Bundesländer schwärmerisch zu behaupten, im sächsischen Frühjahr stünde das Buch noch im Mittelpunkt, im hessischen Herbst hingegen nur das Büfett. Die Ansicht ist mir zu kitschig und zu beflissen. Als Fachbesucher, als welchen mich die Eintrittskarte ausweist, suche ich Tratsch und Zerstreuung und die Antwort auf die Frage, zu welchem Verlagsempfang ich am Abend gehen soll, um neben gutem Gratisfutter noch mehr Tratsch und Zerstreuung zu finden. Gelesen wird zu Hause.
Früher habe ich mich auch ohne aktuelles Buch auf der Messe herumgetrieben. Kein Verlag zahlt einem dann das grotesk teure Hotelzimmer. Man schläft bei Freunden, möglichst bei Nichtliteraten, weil nur die als Gastgeschenke Bücher akzeptieren, die einem auf der Messe in die Hand gedrückt wurden. Wenn keine Vermarktung ansteht, gibt es keine Interviewtermine, keine Auftritte. Man kann sich noch hemmungsloser den vollen Weingläsern widmen, die einem ständig gereicht werden.
In diesem Jahr habe ich kein neues Buch. Zu viel Zeitung gelesen und journalistische Brotarbeiten angenommen, zu viel geglotzt und gegoogelt und Musik gehört. Grille gewesen im Sommer, nicht Ameise. Keine Messe für mich. Keine Lust diesmal auf die ständige Frage, flüchtig aber doch lauernd, welches neue Buch man geschrieben habe. Wenn man zwei Dutzend Mal gesagt hat, dass nichts Neues von einem erschienen sei, fängt man an, sich wie ein Versager vorzukommen. Dabei will man doch bloß kein Karnickel sein, das unentwegt Junge wirft. Man tut was gegen Bücherflut und Beschleunigung!
Ich bleibe zu Hause und schau mir Buchmessensondersendungen im Fernsehen an: wie die Kollegen auf blauen Sofas sitzen und dort das Gleiche sagen, was sie zuvor auf einem gelben Sessel sagten. Vielleicht ist das Fernbleiben ein Fehler. Vielleicht hätte ich zwei Tage durch die Hallen streifen und den Kritikern so furchtlos und verheißungsvoll in die Augen blicken sollen, dass ihnen bei meinem nächsten Buch der wunderbar werbetaugliche Spruch einfällt, mit dem ein Autor nach zwei Jahren Publikationspause manchmal beehrt wird: Er hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet.