Spätestens beim traditionellen Messevorabend des Berlin Verlages im Frankfurter Hof, bei dem die Verlegerin Elisabeth Ruge vor internationalem Publikum mit einem energisch vorgetragenen Plädoyer für die Preisbindung und den Traditionsbuchhandel begeisterte Zustimmung auslöste, wurde deutlich, dass ein gesellschaftlicher Wandel sich die Branche handstreichartig einverleibt hat. Das jüngst eingeführte Rauchverbot im Frankfurter Hof (und nicht nur dort) führte dazu, dass ein Gutteil der Gäste des Verlages draußen vor der Tür palaverte was wiederum das Hotel ärgerte, weil der Eingang praktisch versperrt war. Ein ähnliches Bild zeigte sich in der legendären Autorenbar des Hotels, die ebenfalls zu einer Nichtraucherzone mutiert ist. Auch hier sorgte die erträgliche Außentemperatur in Tateinheit mit dem unverbesserlichen Genussbedürfniss vieler Gäste für eine Verlagerung der messeüblichen Kontaktpflege an die frische Luft. Bei gutem Wetter ist das eigentlich eine schöne und gerechte Lösung. Drinnen wird die Luft auch ohne Rauch binnen kürzester Zeit unerträglich, draußen kann man die Herbstmilde genießen und anregende Gespräche führen, ohne sich anbrüllen zu müssen. Doch was tut der Raucher bei Regen? Diese Frage wird zukünftig wohl durch das individuelle Suchtpotential jedes Einzelnen entschieden werden.
Verträglicher Widerstand auf der Buchmesse
Am nächsten Tag war man auf die Befolgung des Rauchverbotes in den Messehallen gespannt. Ein Testrundgang ergab schnell, dass es keinesfalls strikt befolgt wird. Mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit, Autorinnen und Autoren das Rauchen am Stand zu verbieten, trifft man beispielsweise bei einem Kölner und einem kleinen, aber feinen Frankfurter Verlag (deren Namen hier selbstverständlich nicht preisgegeben werden dürfen) auf Widerstandsinseln des Rauchens im Meer der verordneten Volksgesundheit was bei den Autorinnen und Autoren dieser Verlage eine wesentliche Steigerung der Wertschätzung ausgelöst hat, die vermutlich beim Abschluß weiterer Verträge keine unwesentliche Rolle spielen wird.
Verfolgung und Profit
Für alle Raucher, die mangels fumarischen Insiderwissens in den Messehallen auf ihre Passion verzichten müssen, hält ein kurzer Rückblick in die Geschichte des Rauchens so schreckliche Begebenheiten bereit, dass einer Versöhnung mit der nun eingetretenen Situation eigentlich nichts im Wege stehen dürfte.
So ließ Sultan Murad IV., der von 1623 bis 1640 in der Türkei herrschte, in seiner Amtszeit etwa 20.000 Rauchern kurzerhand den Kopf abschlagen wohl kaum aus gesundheitspolitischen Überlegungen, denn ihr Hab und Gut fiel der Staatskasse zu. Ähnlich drastisch ging ein Zeitgenosse des Sultans, der russische Zar Michael Fjodorowitsch Romanow, gegen die Raucher vor. Adam Olearius, der Moskau im Jahr 1643 besucht hat, berichtet, daß Raucher durch Auspeitschen oder Aufschlitzen der Nase bestraft wurden. Auch Verbannungen nach Sibirien und die Todesstrafe wurden verhängt. Vermögensbeschlagnahmungen waren dort ebenfalls üblich. In Persien wurden Raucher mit ihren Tabakvorräten kurzerhand auf dem Scheiterhaufen verbrannt, oder es wurden ihnen die Lippen aufgeschlitzt. In China bestrafte man 1635 sogar den Verkauf von Tabak mit »Kopf ab«.
In den europäischen Staaten erfand man etwa gleichzeitig eine andere Tortur für Raucher: die Tabaksteuer. Den Zwiespalt der Staaten in der Tabakfrage bis ins 20. Jahrhundert hinein brachte der französische Staatsmann Talleyrand schon 1814 auf den Punkt, als er einer Dame, die ihn aufforderte, gegen das lasterhafte Rauchen vorzugehen, antwortete: »Sie haben recht, Madame, Rauchen und Schnupfen sind zwei Laster, und ich werde mich bestimmt dagegen einsetzen, sobald Sie mir zwei Tugenden nennen, die der Staatskasse jährlich einhundertzwanzig Millionen Franc einbringen.«
Die Mörfelder Landstraße 277b: Ein abendliches Refugium für Raucher
Nun durfte man nach dem ersten Messetag auf den Abend bei Bernd F. Lunkewitz gespannt sein, der ja bekanntlich in seinem Privathaus empfängt, das als solches nicht vom gesetzlichen Bann des Rauchverdikts betroffen ist. Erfreulich, daß eine unter strikter Geheimhaltung abgeschlossene Wette mit einem ahnungslosen Nichtraucher sicher gewonnen werden konnte: Selbstverständlich durfte beim Aufbau-Verleger geraucht werden. Lunkewitz ließ es sich bei seiner wie immer kurzen, aber prägnanten Ansprache nicht nehmen, auf das inzwischen nicht mehr heimliche Messethema einzugehen. Zum besonders betonten Abschluß seiner Rede wies er darauf hin, dass in seinem Haus geraucht werden dürfe, zumal ja für Nichtraucher alternativ auch der großzügig bemessene Frischluftbereich seines Anwesens zur Verfügung stünde.
Die Bekanntgabe dieser eindeutigen Nachricht wird wohl das Begehren der rauchenden Branchenmitglieder, im nächsten Jahr auf der Gästeliste zu stehen, erheblich steigern, und auch die Autorinnen und Autoren des Hauses dürften beglückt sein sofern sie es mit Friedrich Torberg halten, der in seinem »Sylvester-Plädoyer für einen ungesunden Lebendwandel« 1978 folgendes formuliert hat: »Ich für meine Person muß, um leben zu können, schreiben, und um schreiben zu können, muß ich rauchen und schwarzen Kaffee trinken. Vom Gesundleben allein kann ich nicht leben.« Der Titel des Buches, in dem dieser Satz steht, lautet übrigens »Auch Nichtraucher müssen sterben.«