Baier: Barsortimente übernehmen immer mehr buchhändlerische Aufgaben. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Keiper: Sorgen ist zuviel gesagt. Das Problem ist, dass wir nicht unter den Barsortimenten leiden, sondern darunter, dass es so viele Neuerscheinungen gibt. Die Auswahl wird immer schwieriger, je mehr Titel auf den Markt kommen. Ich finde bedenklich, dass uns Dinge abgenommen werden und nicht Systeme geschaffen werden, die uns die Arbeit erleichtern. Wer sich entmündigen lässt, ist selbst Schuld. Ich würde appellieren: Lassen Sie diesen Unsinn mit den Warengruppenpaketen. Sonst sind wir irgendwann keine Buchhändler mehr und die Barsortimente spielen die Rackjobber.
Baier: Rationalisierung ist wahrscheinlich eines Ihrer wichtigsten Themen bei der Beratung. Welche Rolle spielen dabei die Barsortimente?
Marx: Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zu den Barsortimenten. Sie haben viele Innovationen in die Branche gebracht, das stimmt. Heute gibt es ein Phänomen, dass gerade die Kunden, die mit Barsortimenten zusammenarbeiten, ein besseres Betriebsergebnis haben. Das rührt von den Bezugskosten. Hinzu kommt das Problem der Liquidität. Ich sehe die Macht der Barsortimente eher noch wachsen.
Baier: Was bedeutet die Konzentration im Handel für die Barsortimente?
Voerster: Für die Barsortimente gibt es drei Faktoren zu Existenzberechtigung: Hohe Anzahl von Titeln, Lieferanten und Kunden. Der Kunde ist immer der, von dem wir leben. Das ist unser wichtigster Punkt. Wir müssen alle an den Kosten arbeiten, am zukünftigen Vertriebskonzept. Wir sehen, dass kleinere und mittlere Buchhändler mehr mit den Barsortimenten zusammenarbeiten. Teilweise eine sehr enge Zusammenarbeit, uns liegen zum Teil die Bilanzen vor. Je höher der Barsortimentanteil, desto höher die Rendite. Es bleibt viel mehr Zeit für die Kunden.
Baier: Es wird immer wieder Kritik an den Barsortimenten geübt. Muss man die nicht ein Stück weit revidieren?
Mende: Das denke ich nicht. Ich bin ein Fan der Barsortimente, sie haben auf vielen Ebenen ihre unerlässliche Funktion. Auf der anderen Seite: Die beiden großen Barsortimente haben eine Einkaufsmacht, die sehr groß ist. Jeder hat einen immensen Einfluss gegenüber den Verlagen und nutzt das auch. Sie begnügen sich nicht mit 15 Prozent Funktionsrabatt, sondern fordern deutlich mehr. Barsortimente bemühen sich sehr um Großbuchhandlungen. Dort treten sie auf als Wettbewerber der Verlage. Das führt zur Konditionenspreizung.
Baier: Funktionsrabatte - Durch was begründen Sie sich noch heute?
Voerster: Die Funktionsrabatte gibt es nicht mehr. Ich weiß gar nicht, was Sie meinen. Auch der Begriff Meistbegünstigungsklausel ist falsch, sondern es ist ein Gleichbehandlungsgrundsatz.
Mende: Es ist nach wie vor von Funktionsrabatten die Rede. Die Mindestfunktion wird abgegolten mit einem Funktionsrabatt. Sie nutzen ihn, um die Verlage herauszudrängen und zum Monopolanbieter in den Buchhandlungen zu werden.
Marx: Noch gibt es auch zwei kleinere Barsortimente. Das sieht dort anders aus.
Baier: Wie wichtig ist es, nicht nur von einem Lieferanten abhängig zu sein?
Keiper: Ich arbeite mit mehreren Lieferanten zusammen. Sie rechnen knallhart und fordern Mindestumsätze. Ich habe zwei Barsortimente. Ich gebe auch zu, wenn ich auf eines angewiesen wäre, wäre es mir etwas unwohler. Ich hatte in den letzten Jahren ein Warengruppenpaket. Mir ist viel an Mainstream hereingeflattert. Das wollte ich so nicht. Es wird mit den Paketen honoriert, dass man weniger arbeitet. Das ist eine Entmündigung. Die Leidtragenden sind die Kunden, die weniger Angebot auf der Fläche haben. Für Betriebsberatung holt man sich einen Berater, der keine Partikularinteressen vertritt. Ich habe Angst, dass wir eine Situation bekommen, die wir beklagen.
Voerster: Die Buchbranche ist sehr durch Individualisten geprägt. Wir können nachweisen, dass Warengruppenpakete nicht zu einer Reduktion des Titelangebots geführt haben, sondern zu einer Erhöhung. Das haben wir analysiert. Viele Buchhändler haben Titel im Sortiment, die die Kunden gar nicht kaufen wollen. Damit ist das Lager verstopft und das ist nicht kundenorientiert. Dort die Schwächen zu erkennen und bessere Möglichkeiten zu suchen, den etwas professionelleren Dilettantismus der Barsortimente zu nutzen, das ist eine gute Möglichkeit.
Keiper: Das ist ein gutes Rechenbeispiel. Nur: Wo bleibt der Buchhändler mit seinem speziellen Profil? Ich musste viele Titel akzeptieren, die ich nicht haben wollte. Wenn alle Buchhändler die Pakete kaufen, dann ähneln sich die Profile. Die Individualität, mit der ich auch leben kann, geht unter Umständen verloren.
Marx: Die Profilbildung findet leider nur ihn rund zehn Prozent der Buchhandlungen statt. Die meisten sind allgemeine Sortimente, die das gleiche Profil haben wie Thalia. Von denen wird dann natürlich das gleiche erwartet. Bei den Paketen gefällt mir nicht, dass die Barsortimente sie als Innovation verkaufen. Das heißt nichts anderes als Päckchen packen. Was die Buchhändler brauchen, ist inhaltliche Kompetenz. Es wäre eine Innovation, Informationen zu liefern. Das funktioniert derzeit nur sehr rudimentär.
Baier: Am Angebot von KNV ruft auch Kritik hervor, dass Kassendaten zur Verfügung gestellt werden müssen ...
Voerster: Kassendaten müssen nicht zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein freiwilliger Akt. Wichtig ist doch, wie der Kunde das kleine und mittlere Sortiment wahrnimmt. Der Kunde nimmt 50 Prozent der Individualiät über das Personal wahr, 25 Prozent über das Ambiente und 25 Prozent sind das Sortiment. Die Informationen zu verarbeiten, ist ein wichtiger Punkt. Wir haben ein Buchhandelsportal, versuchen zu komprimieren, in der Zusammenarbeit die wichtigen Informationen mit den Verlagen herauszufiltern.
Mende: Ich halte das für gefährlich. Sortimenter kommt von sortieren. Das ist doch bedenklich, wenn die Buchhändler nicht mehr einkaufen sollen. Viele Buchhändler sehen sich nur noch aus Auspacker, Wegweiser. Die Kompetenz für Beratung geht doch verloren, wenn man nicht mehr im Einkauf verhaftet ist. Wer seinem Monopollieferanten seine Daten liefert, ist doch wirklich mit dem Klammerbeutel gepudert.
Keiper: Ich habe nichts dagegen, was Sie den Buchhändlern anbieten. Was ich irritierend finde: Wenn man das Angebot nicht nutzt, bekommt man keinen Sonderbonus. Darüber ärgere ich mich, denn man bezahlt etwas mit, das man nicht braucht.
Voerster: Die Buchhändler verdienen nicht durch den Einkauf, sondern durch den Verkauf. Dessen sollten sie sich bewusst sein. Den verkäuferischen Aspekt sollte man mehr in den Vordergrund stellen. In anderen Branchen sind noch viel höherer Abhängigkeiten von den Lieferanten. In anderen Branchen wird diese Abhängigkeit so nicht empfunden.
Keiper: Wir haben eine andere Situation in der Branche, etwa die Preisbindung und der reduzierte Mehrwertsteuersatz.
Baier: Erkennen Sie die Abhängigkeit in Ihrer Beratung?
Marx: Grundsätzlich muss sich der Buchhändler das Know-how über die Bücher erwerben. Die Inhalte erschließt man sich in der Regel beim Einkauf. Ich mache die Erfahrung, dass Quereinsteiger sehr erfolgreich sind mit den Paketen. Man stößt an die Grenzen, wenn ein Profil kommuniziert werden soll. Zum Start ist es sehr sinnvoll, langfristig reicht es nicht aus. Alteingesessenen Buchhandlungen würde ich abraten.
Mende: Es ist richtig, dass zu wenig Zeit für die Kunden verwandt werden. Die erforderlichen Rationalisierungsinstrumente müssen sich woanders geholt werden.
Baier: Durch die Belieferung von Hertie und dem neuen Angebot gehen Sie in Richtung Buchhandlung. Können Sie sich vorstellen, eine KNV-Buchhandlung zu eröffnen?
Voerster: Die Diskussion um Hertie hat Spekulationen ausgelöst. Wir sehen unsere Kernkompetenz in allem, was mit Ware zu tun hat. Ich glaube der Buchhandel ist die einzige Branche, in der so viele Menschen einkaufen wollen. Wie verkaufen denn die anderen Branchen, ohne dass sie eingekauft haben? Da scheint es doch Alternatien zu geben. Man muss auch mal etwas verkaufen über den menschlichen Kontakt und nicht nur über den Inhalt.
Baier: Buchhandel muss Kernkompetenz abgeben ....
Keiper: Ich hoffe, dass ich anders überleben kann. Meine Leute kaufen ein für meine Kunden. Wir haben beim Durchschauen der Vorschauen die Kunden vor den Augen. Im Berufsbild haben wir das Verkaufen leider etwas untergewichtet.
Marx: Ich möchte noch etwas zum Serviceverhalten im Buchhandel sagen. Es ist nicht richtig, dass jeder Kunde in kleinen Buchhandlungen intensiv betreut werden muss. Besser ist es, dass die Kunden sich selbst orientieren können.
Mende: Ich stehe ja auch für Verlage. Wir werden irgendwann eventuell zehn zentrale Einkaufsabteilungen haben. Diese werden entscheiden, welche Bücher die Verlage überhaupt noch machen werden.
Keiper: Bei mir kommen auch gut informierte Kunden, denen ich trotzdem noch etwas verkaufe. Das geht nicht nur über die Präsentation. Sie sind glücklich darüber, wenn wir sie beraten.