"Wenn die Erinnerung kommt" - Joachim Güntner schreibt in der NZZ über die Friedenspreisverleihung:
Welch grausame Ironie: Hätten Saul Friedländers Eltern nicht mit aller Leidenschaft das Überleben ihres Sohnes betrieben, hätten sich alle drei wohl vor der nationalsozialistischen Verfolgung retten können. So aber wurden Jan (Hans) und Elli Friedländer im Konzentrationslager ermordet. Als Prager Juden waren sie nach der Annexion der Tschechoslowakei aus ihrer Heimat nach Frankreich geflüchtet, doch 1942, als das Vichy-Regime mit der Massendeportation staatenloser Juden begann, drohte der Familie auch in ihrem Exil höchste Lebensgefahr. Den Knaben brachten die besorgten Eltern in einem katholischen Internat unter, wo der Zehnjährige eine neue Identität und die Taufe erhielt. Sie selber wandten sich nach der Schweiz, wurden beim Grenzübertritt aufgegriffen und abgeschoben. ... Im Vorfeld der Verleihung war spekuliert worden, Friedländer würde seine Dankesrede zu einer scharfen Replik auf die Rede nutzen, die Martin Walser vor neun Jahren an gleicher Stelle gehalten hat und die vielfach als Verlangen nach einem «Schlussstrich» unter die Vergangenheit aufgefasst worden ist. ... Saul Friedländers Replik sah anders aus. Gegen jene, die über eine sogenannte Holocaust-Industrie schimpfen, machte er zwar geltend, dass wir es nicht mit einem «ritualisierten Gedenken» oder einer kommerziellen Manipulation zu tun haben, wenn uns die Stimmen der von den Nazis Verfolgten auch nach sechzig Jahren noch anrühren. Daran knüpfte er aber keine argumentative Gegenrede, sondern lieferte Kostproben dieser Stimmen gab. Er zitierte aus brieflichen und archivalischen Zeugnissen, die sich von seinen Eltern und ihrer Flucht erhalten haben.
"Was den Amseln nicht schmeckt" - für die "Frankfurter Rundschau" berichtet Harry Nutt von der Friedenspreisverleihung:
Texte ganz anderer Art stellte schließlich Saul Friedländer dem Publikum vor, darunter Bundespräsident Horst Köhler. Dabei war es weniger eine Rede, die er vortrug. Mit den Auszügen aus unveröffentlichten Briefen seiner Eltern aus den Jahren 1941 und 1942 an Freunde und Verwandte breitete er Dokumente von großer menschlicher Intensität aus, mit der das Grauen - die Trennung und bevorstehende Ermordung der eigenen Familie - bekämpft oder auch nur verdrängt werden sollte.... 1941 schreibt die Mutter aus Frankreich an die Großmutter nach Stockholm. "Bezüglich der Sardinen wollte ich noch sagen, dass sie alle in Tomatensauce sind. Wenn ihr die Möglichkeiten habt, Ölsardinen zu schicken, so wären die natürlich viel erwünschter. (...) Ginge nicht Kondensmilch?" Und im April 1942 schreibt sie erneut nach Schweden. "Ich habe bereits ein paar Frühkartoffeln gesät und werde nächste Woche den Rest stecken. (...) Leider kommen auf mein Feld Hühner zu ihrer Belustigung und haben meine Erbsensaat ausgescharrt. Ich werde daher weiter nur Kartoffeln säen (...) das schmeckt den Amseln nicht." Vor das erträgliche Ringen mit der Natur schiebt sich bald der Kampf ums eigene Leben. "Wenn wir zugrundegehen müssen, so haben wir das eine große Glück, unser geliebtes Kind gerettet zu wissen. Der Junge ist sehr reichlich versorgt mit Kleidern, Wäsche und Schuhen." Es ist die so sorgfältige wie klare Sprache der elterlichen Briefe, die auch den fremden Hörer erschüttert. Beim Hören der bewegenden Briefe wird noch einmal deutlich, was das wissenschaftliche Werk Friedländers so einzigartig macht. Aus der nicht zuletzt literarisch einfühlsamen und textkritischen Konzeption seines großen historischen Werks spricht insbesondere die Verpflichtung des überlebenden Kindes, die Stimmen der Opfer erklingen zu lassen. Aus den Briefen seiner Eltern gewann er die für ihn wesentliche Aufgabe des Historikers: im Sinne von Interpretation und Narration die richtige Balance zu finden.
"Wie Sammeltassen im Regal" - für die "taz" berichtet Wiebke Porombka von der Frankfurter Buchmesse:
Wer wollte, hätte ewig dahingleiten können auf den geräuschlosen Rollbändern, die steilen Rolltreppen hinauf- und hinunterfahren und durch die breiten Fensterfronten auf das Karree der vier Messehallen blicken, in deren Mitte, auf einer riesigen steinernen Freifläche, Menschen klein wie Ameisen umherlaufen. Vielleicht macht es die Größe der Buchmesse, dass man mit den roten Drehkreuzen am Eingang auch das Empfinden für Zeit und Alltag hinter sich lässt. ... Seltsam verloren wirken - darin wiederum glichen sich die Verlage - die als "Autoren am Stand" Angepriesenen, die mit ihrer Anwesenheit so etwas wie die Authentizität der Bücher rundum bezeugen. So recht scheinen sie nicht zu wissen, wozu sie geladen sind. Deshalb sitzen sie herum, trinken Wasser aus Sektgläsern oder Espresso, den nahezu jeder Verlag an der standeigenen Maschine brüht, und man wünschte ihnen, nicht plötzlich von den vorbeiziehenden Besuchermassen geschluckt zu werden. Ab und zu bilden sich in den Gängen zwischen den Ständen kleine Ansammlungen, bringen den Besucherstrom für kurze Zeit zum Erliegen und dem einen oder anderen Autor die ersehnte Aufmerksamkeit. Julia Franck, die Gewinnerin des Buchpreises, lächelt freundlich in die Kameras der Fotografen und in die Gesichter der Gratulanten. In der Mehrzahl sind es allerdings Politiker, die man inmitten dieser kleinen Trauben erblickt, etwa den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer, der nonchalant über eine gerade erschienene Biografie plaudert, oder den gegenwärtigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der die eigene Lesebeflissenheit kundtut. Wer nun all diesem Trubel und Aufwand mit vollkommener Gelassenheit trotzt, sind die, über die noch gar nicht gesprochen wurde, obwohl das Ganze doch um sie kreist: die Bücher.