Deutscher Buchpreis

»Soll ich aufstehen?«

22. Oktober 2007
Redaktion Börsenblatt
Nervosität und bleierne Ruhe. Julia Franck und ihr Verleger Jörg Bong über den entscheidenden Augenblick und die Gefühle danach.
Wer war aufgeregter am Montag von Ihnen beiden und wer hat sich enthusiastischer gefreut? Franck: (lacht) Wir saßen nebeneinander und ich merkte, dass Jörg sehr aufgeregt war. Irgendwann nahm er meine Hand und sagte: »Ich habe ein Gefühl. Ich habe ein Gefühl. Ich habe ein Gefühl.« Mich hatte hingegen schlagartig eine bleierne Ruhe erfasst. Es wurde dann ein Name verlesen, den ich aber nicht hörte. Jörg sah mich so aufgeregt und erfreut hat. »Bin ich das?«, überlegte ich daraufhin und fragte ihn: »Soll ich aufstehen?«. Er sagte: »Nein, nein bleib sitzen.« Und ich dachte: Schade, bin ich also doch nicht. Bong: Ich habe in den Wochen und Tagen vor der Preisverleihung versucht, mich nicht damit zu beschäftigen. Es ist auch nutzlos, man hat es nicht in der Hand. Auf dem Weg vom Verlag zum Römer hat es mich aber voll erwischt. Die Veranstaltung selbst ist so inszeniert, dass hinreichend Zeit gegeben ist, um systematisch Nervosität aufzubauen. Es geht schließlich auch um viel. Julia Franck, Ihr Buch ist herausgehoben als bester deutschsprachiger Roman der Saison. Was ist das für ein Gefühl, dieses Buch geschrieben zu haben? Franck: Es ist das Buch, das einer Jury von sieben Lesern am besten gefallen hat. Mit Objektivität hat das natürlich gar nichts zu tun. Ich habe mich trotzdem wahnsinnig gefreut und freue mich immer noch. Ich gebe unaufhörlich Interviews, spreche über das Buch, die Charaktere, die Komposition, die Sprache und über den Preis. Es gibt nur ganz kurze Augenblicke, in denen das Glücksgefühl auftaucht, weil ich so im Rhythmus des Worteerzeugens gefangen bin. Der Autor Thomas Glavinic, der mit seinem Buch auch auf der Shortlist war, sagte, Ihr Roman sei wunderbar, vor allem aber sei er buchpreiskompatibel. Glauben Sie das auch? Und was heißt das? Franck: Ich glaube, dass es so eine Kompatibilität nicht gibt. Ein komplexer Roman wird auf ganz unterschiedliche Weise gelesen und wahrgenommen. Bong: Wir erleben einen ungemein starken Bücherherbst mit einer beeindruckenden Vielfalt. Dieser Preis ist großartig, aber er hat auch etwas Problematisches. Denn all diese Texte sind so unterschiedliche Unternehmungen, die lassen sich eigentlich überhaupt nicht vergleichen. Jedes Buch ist sich selber der Maßstab. Das hat die Jury auch so ausgedrückt. Die Frage ist, gelingt es einem Buch, den Anspruch, den es mit den ersten Sätzen formuliert, zu erfüllen. Glauben Sie dennoch, dass dieser Preis eine bestimmte Art des Erzählens fördert – also die Verbindung eines hohen literarischen Anspruchs mit einer erzählerischen Kraft, die Leser zu fesseln vermag, ebenso wie bestimmte Sujets? Dass also Autoren auf den Preis hin schreiben und Verlage das goutieren? Bong: Ich fände es fürchterlich, wenn Autoren begännen, auf einen Preis hin zu schreiben und Verlage auf einen Preis hin Bücher machten. So kann nur ganz Schlechtes entstehen. Es ist immer eine großer Glücksfall, wenn ein Buch beides sein kann, überspitzt formuliert, Gegenstand eines Oberseminars an der Universität aufgrund einer hohen literarischen Komplexität und zugleich ein Buch, mit dem man sich abends auf ein Sofa setzt und die Lust der Lektüre genießt. Aber das zum Programm zu machen wäre absurd und ist unmöglich. Franck: Ich habe an dem Buch über vier Jahre gearbeitet. Als ich begann, gab es den Preis noch gar nicht. Und auch als ich Ende des vergangenen Jahres mit dem Roman abschloss, waren mir Gedanken an den Buchpreis fern. Erst als die Longlist bekannt wurde, habe ich mich damit beschäftigt. Ob Autoren darauf hinarbeiten, werden die nächsten Jahre zeigen. Ich denke, dass eine Jury gegen einen solchen Verdacht ausschließend reagieren würde. Ihr Buch hat sehr stark polarisiert, es ist hoch gelobt, aber auch heftig kritisiert worden. Hat Sie das verunsichert? Franck: Ich war am Anfang überrascht und auch erschrocken, mit welcher Heftigkeit und Leidenschaft die Feuilletons aufeinander reagiert haben. Es hat sich anhand der Shortlist ja regelrecht ein vier Wochen währendes öffentliches Gespräch über die sechs Titel, eine Art Literaturzirkel entwickelt. Aber diese polare Resonanz habe ich bei meinem zuvor erfolgreichsten Buch, »Bauchlandung«, auch erlebt. Vielleicht ist gerade das, die unterschiedliche Beurteilung und der Streit, Zeichen eines heranrollenden Erfolgs. Als jetzt die ersten Rezensionen erschienen, versuchte ich mich zu vergewissern, wie es damals bei den anderen Büchern war. »Die Mittagsfrau« hatte schon vor der Auszeichnung den Sprung auf die Bestsellerlisten geschafft. Wie hat sich die Auflage seit der Preisverleihung entwickelt? Bong: Die Wirkung ist immens. Die Auszeichnung vermag das Buch offenbar auch zu Lesern zu bringen, die selten und wenig lesen. Der Preis wurde um 19 Uhr am Montag vergeben. Bis 10 Uhr des darauffolgenden Tags hatten wir 37000 Bestellungen aus dem Buchhandel. Schon zuvor aber war das Buch in 27000 Exemplaren im Handel. Ich erinnere mich nicht, dass wir bei Fischer in so kurzer Zeit so viele Bestellungen hatten, auch nicht nach dem Nobelpreis. Julia Franck, dies ist Ihr vierter Roman, der erste, der bei S. Fischer erschienen ist. Zuvor waren Sie bei DuMont. Warum der Wechsel, und weshalb haben Sie sich für S. Fischer entschieden? Franck: Es gibt viele Gründe. Nachdem Fischer schon meinen ersten Roman im Taschenbuch gemacht hat, gab es immer einen sehr guten Kontakt. Es ist also ein Wechsel aus Sympathie; vor allem aber aus dem Bedürfnis nach Sicherheit. Die Kontinuität der verlegerischen Arbeit bei Fischer ist aufgrund der Tradition, der Breite des Programms und der Größe des Verlags sehr ausgeprägt. Sicherheit meint dabei ganz Verschiedenes. Da geht es nicht allein um Geld, sondern auch darum, wie funktioniert der Verlag, wie arbeitet der Vertrieb. Als Autor befindet man sich immer im wirtschaftlich freien Fall, man weiß nie, was wird aus dem nächsten Buch, gelingt es in meinen Augen und in denen des Verlags und welchen kommerziellen Erfolg erringt es. Das ist existenziell wichtig, ich lebe davon. Das Geld, das ich bekomme, ermöglicht es mir, weiter zu schreiben. Viele Autoren sind froh, wenn eine Agentur die Verträge mit dem Verlag aushandelt und sie sich aufs Schreiben konzentrieren können. Sie kümmern sich hingegen auch um den geschäftlichen Teil selbst. Warum? Franck: Als ich mit meinem ersten Buch 1996 auf dem Weg in den Verlag war – es ist dann 1997 bei Ammann erschienen –, wusste ich noch gar nichts von Agenten. Später habe ich immer mal wieder darüber nachgedacht, mit einer Agentur zusammenzuarbeiten; sie versprechen höhere Vorschüsse, bessere Konditionen und Bedingungen. Und natürlich gibt es auch schwierige Situationen, wo ein Dritter hilfreich wäre. Aber ich habe während des Studiums so viel und in so verschiedenen Bereichen gearbeitet und immer mein Einkommen verhandeln müssen. Ich hätte es seltsam gefunden, wenn ich das nun anderen überlassen sollte. Warum auch? Als Kellnerin unterhalte ich mich ebenso über das Honorar, da gibt es keinen Unterschied. Ich war jetzt in der glücklichen Lage, dass ich mich nicht für das meiste Geld entscheiden musste, sondern das Angebot, das mir am besten erschien, annehmen konnte. Jörg Bong, sind Ihnen das die liebsten Autoren? Bong: Das ist nicht die Sache des Verlags darüber zu befinden. Der Verlag tut gut daran, wenn er einem einzigen Kriterium folgt: der Qualität des Textes. Eine Mutter, Helene, lässt 1945 ihr Kind im Stich. So beginnt, Julia Franck, Ihr Buch, das dann zu erkunden sucht, warum diese Frau so handelt und also das Leben Helenes erzählt. Ist diese Nachforschung für Sie mit dem Buch abgeschlossen oder geht sie weiter, zumal es ja Parallelen zur Geschichte Ihrer eigenen Familie gibt? Franck: Die Fragen hören nicht auf. Ich habe deshalb den Roman bewusst porös gelassen. Und es ist nie mein Anliegen gewesen, die Lust am Fragen zu stillen. Grundsätzlich liegen dem Schreiben immer bestimmte Erfahrungen zugrunde. Es ist wie mit Träumen, die haben auch mit eigenen Erfahrungen zu tun, und den Bildern, die das Gehirn in der Lage ist, zusammenzusetzen. Schreiben funktioniert ähnlich, es ist nur kontrollierter. Ich denke, dass sich der autobiografische Fundus darunter nie erschöpft. Ist Schreiben für Sie immer eine Antwort auf eine Verstörung? Franck: Ja. Es ist eine Antwort oder auch ein Reflex auf eine Verstörung. Sie sind wohl die am häufigsten interviewte Autorin auf der Messe. Genießen Sie das riesige Interesse oder sind Sie auch und vor allem froh, wenn Sie den Trubel hinter sich lassen können? Franck: Ich bin froh, wenn ich am Wochenende meine Kinder wieder sehe, nach unglaublich vielen Gesprächen, die mich in andere Welten hineingezogen haben. Ich komme in diesen Tagen gar nicht dazu, für mich still zu reflektieren, genieße ich das oder leide ich darunter. Wenn ich abends ins Hotelzimmer komme, mache ich die Tür zu, lege mich hin und schlafe sofort ein, zufrieden, dass ich diese sechs bis sieben Stunden habe.