Hugo Setzer und Jessica Sänger über das Urheberrecht im globalen Maßstab

"Wir werden weltweit noch viel zu tun haben"

27. August 2019
von Börsenblatt
Wie steht es um das Urheberrecht im globalen Maßstab? Und wie lässt sich der Einfluss der Internetgiganten begrenzen? Hugo Setzer, Präsident der Verleger-Union IPA, und Jessica Sänger vom IPA-Urheberrechtsausschuss über ihren Handlungsspielraum.      

GAFA, die Big Four der Internetwirtschaft von Google bis Amazon, betreiben in ihrer Lobbyarbeit viel Aufwand, um Gesetzesinitiativen zum Urheberrechtsschutz oder zur (angemessenen) Vergütung kreativer Leistungen zu Fall zu bringen. Dabei schrecken sie auch vor einer massiven Beeinflussung von Organisationen der Zivilgesellschaft oder Regierungen nicht zurück. Was kann die IPA dagegen tun?
Hugo Setzer: Es ist nicht einfach, wenn man bedenkt, dass es sich um die größten und reichsten Unternehmen in der Geschichte der Menschheit handelt. Wie schon der Journalist Robert Levine sagt: »Google hat so viel Interesse an freien Inhalten wie General Motors an billigem Benzin. Deswegen gibt die Firma Millionen Dollar für Lobbying aus, um das Urheberrecht zu schwächen.« Was wir in der IPA dagegen tun, obwohl wir keine Millionen Dollar zur Verfügung haben, ist, mit der WIPO, der Weltorganisation für geistiges Eigentum, und mit nationalen Gesetzgebern weltweit zusammenzuarbeiten, um den regulatorischen Rahmen zu verbessern – häufig mit Erfolg. In Europa arbeiten wir sehr eng mit der Federation of European Publishers zusammen.
Jessica Sänger: Unsere Lobbyarbeit ist ­zuverlässig und glaubwürdig. Das erreichen wir auch durch das Einbinden der Verleger selbst, die den Entscheidungs­trägern am besten erklären können, welche Auswirkungen zum Beispiel eine Schranken­regelung hat.

Hat die IPA Verbündete im Kampf gegen die Internetgiganten?
Hugo Setzer: Ja, im Prinzip sind das alle Rechte­inhaber der Buchbranche – Autoren und Verwertungsgesellschaften –, aber auch die Rechteinhaber anderer Branchen, wie zum Beispiel der Musik- und Filmbranche.
Jessica Sänger: Verbündete sind sehr wichtig – insbesondere natürlich die Urheber. Die IPA hat die kluge Initiative ergriffen, die bei der WIPO aktiven Verbände regel­mäßiger miteinander ins Gespräch zu bringen.

Verfügt die World Intellectual Property Organization, kurz WIPO, als Arm der Vereinten Nationen über Mittel, die Konzerne in die Schranken zu weisen?
Hugo Setzer: In beschränktem Maße. Die WIPO wird ja von den Mitgliedstaaten gesteuert, und die sind sich da nicht immer einig.
Jessica Sänger: Die WIPO kann nur im Bereich des geistigen Eigentums tätig werden, eine umfassende Regulierung müsste aber auch andere Bereiche erfassen, wie Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie unter anderem das Steuerrecht.

Wie unmittelbar kann man überhaupt auf Google & Co. einwirken? Muss man immer den Umweg über Gesetzgeber oder Regulierungsbehörden nehmen?
Hugo Setzer: Der beste Weg ist definitiv über Gesetzgeber und Regulierungsbehörden. Was auch interessant ist, ist dass sich immer mehr Menschen dafür aussprechen, diese riesigen Konzerne stärker zu regulieren.  
Jessica Sänger: Ja, wir brauchen Regelungen, die mit den Entwicklungen Schritt halten können, und das ist eine große Herausforderung. Ich fürchte, auch kritische Verbraucher haben es selbst nicht mehr in der Hand, allein durch Verhaltensveränderungen wirklich etwas zu bewirken.

Innerhalb der WIPO wird seit Jahren über globale Schrankenregelungen dis­kutiert und verhandelt, wie sie etwa im Marrakesch-Vertrag vereinbart wurden. Wie geht die IPA mit den Forderungen nach weiteren Schranken für Bildung, Wissenschaft und Forschung um?
Hugo Setzer: Diese Diskussion verläuft schon seit Jahren im Ständigen Ausschuss für Urheberrechte (SCCR) der WIPO. Dieses Gremium tagt zweimal im Jahr, und bei jeder Sitzung hat die IPA eine starke Delegation im Saal. Unsere Position, die wir bisher erfolgreich verteidigen konnten, ist eindeutig: Obwohl wir den Marrakesch-Vertrag unterstützen, sind wir klar gegen weitere globale Schrankenregelungen, insbesondere im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Jessica Sänger: Es ist wichtig zu verstehen, dass der Marrakesch-Vertrag mit seiner Regelung für eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen mit Behinderungen die Ausnahme darstellt. Die besondere Situation dieser Leser bedurfte einer besonderen Lösung, keineswegs kann man diese jedoch einfach auf andere Bereiche ausdehnen. Wir erklären bei der WIPO vor allem, welche Auswirkungen so etwas haben könnte, insbesondere im Hinblick auf kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie die Qualität der Bildung, zu denen eine gesunde Verlagslandschaft in den einzelnen Ländern einen entscheidenden Beitrag leistet.

Sind die WIPO- bzw. IPA-Mitglieder in ihrer Mehrheit an einem effektiven Urheberrechtsschutz mit entsprechenden Mitteln zur Durchsetzung interessiert? Oder zieht sich ein Graben durch die jeweilige Mitgliedschaft?
Hugo Setzer: Bei WIPO gibt es so einen Graben durchaus. Er verläuft zwischen den Europäischen Staaten mit den USA und Japan auf der einen und vielen Staaten Lateinamerikas und Afrikas sowie teilweise auch Asiens auf der anderen Seite. Die IPA-Mitglieder treten dagegen vollkommen einhellig für einen effektiven Urheberrechtsschutz ein.

Gibt es eine Frontstellung von Schwellen- und Entwicklungsländern auf der einen und den starken Volkswirtschaften des Nordens und Westens auf der anderen Seite?
Hugo Setzer: Bei der WIPO ist dies in der Tat teilweise feststellbar. Dieses Jahr gab es drei regionale Seminare der WIPO, bei denen die Mitgliedstaaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas über globale Schrankenregelungen etwa für Bibliotheken sowie Bildung, Wissenschaft und Forschung diskutierten. Die Seminare fanden in Singapur, Nairobi und Santo Domingo statt. Hier konnte die IPA viele Delegatio­nen aus Staaten, die bislang für weltweit harmonisierte Schranken plädiert hatten, mit einheimischen Verlegern in Kontakt bringen, was das Verständnis für die Bedürfnisse der jeweiligen heimischen Branche spürbar erhöht hat. Auch deshalb sind die Staaten auf diesen Konferenzen letztlich nicht zu dem Ergebnis gelangt, weltweite Schranken zu empfehlen.
Jessica Sänger: Leider wird tatsächlich manchmal mit dem Finger auf die Industriestaaten gezeigt und behauptet, der Schutz des Urheberrechts diene nur ihren Interessen und ermögliche ihnen, den globalen Süden weiter auszubeuten wie zu Zeiten des Kolonialismus. Solche Behauptungen kommen allerdings oft von US-Amerikanern oder Europäern, die eine urheberrechtsfeindliche Position vertreten und die Staaten gegeneinander aufbringen wollen. Ich finde das traurig.

Wäre es nicht gerecht, die Zugangsmöglichkeiten zu geschützten Inhalten in armen, wenig entwickelten Ländern zu erweitern, um sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen?
Hugo Setzer: Die Entwicklung eines Landes wird nicht gefördert, indem man Schrankenregelungen einführt, sondern indem man das Urheberrecht schützt. Damit unterstützt man einheimische Kreativität und ermöglicht Investitionen durch eine heimische Kreativwirtschaft. Außerdem kann jedes Land die Schrankenregelungen, die dort angemessen sind, selbst einführen, solange diese mit dem Berner Abkommen in Einklang stehen. Dabei muss sichergestellt sein, dass diese Schrankenregelungen die Erstellung lokaler Werke nicht beeinträchtigen, wie es etwa in Kanada zurzeit der Fall ist.
Jessica Sänger: Entwicklungshilfe braucht ganz andere Mechanismen als das Urheberrecht. Weicht man dieses auf, nimmt man den Urhebern und Kreativbranchen auch in diesen Ländern die Grundlage für ihre Entwicklung – und gerade in weniger entwickelten Ländern stehen diese Branchen oft noch am Anfang. Zudem würde der kostenlose Zugang zum Beispiel zu Lerninhalten der großen europäischen Verlage in Konkurrenz treten zu den Produkten, die von Bildungsverlagen vor Ort in den Muttersprachen der Kinder und in Abstimmung mit dem jeweiligen Lehrplan entwickelt werden. Das würde allen Beteiligten schaden.

Wenn man wie Sie, Frau Sänger und Herr Setzer, die Entwicklung des Urheberrechts im globalen Maßstab betrachtet: Wird man da gelassener, oder treten einem, umgekehrt, mehr Sorgenfalten auf die Stirn?
Hugo Setzer: Wir machen uns eher Sorgen. Auch wenn wir uns ständig dafür engagieren, das Urheberrecht zu schützen, sehen wir große Herausforderungen, insbesondere wegen der Lobby der GAFA, die ja auch einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinung hat.
Jessica Sänger: Auch ich fürchte, dass wir weltweit noch viel zu tun haben werden, insbesondere um schädliche Schranken­regelungen abzuwehren – Gelassenheit wird aber nicht ausreichen, um hier weiterzukommen.

Wie schätzen Sie die Zukunft der WIPO ein? Welche Schwerpunkte werden Sie in den kommenden Jahren beschäftigen?
Hugo Setzer: Das ist auch eine Frage, die uns beschäftigt. Was passiert, wenn die Diskussion um globale Schrankenregelungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung vorbei ist? In unserem Urheberrechtsausschuss befassen wir uns bereits mit dieser Frage und haben auch mehrere mögliche Themen besprochen.
Jesica Sänger: Wir könnten uns zum Beispiel gut vorstellen, dass aktiv darauf hingewirkt wird, dass mehr Staaten die existierenden Verträge über die Rechte von Urhebern ratifizieren und umsetzen. Bei der WIPO schaut man sich zudem sehr genau die technologischen Entwicklungen an. Ich denke, künstliche Intelligenz wird ein Bereich sein, der auch im Hinblick auf das geistige Eigentum diskutiert werden wird. Die WIPO wird überall da eine Rolle spielen wollen, wo neue Herausforderungen und Fragen rund um das geistige Eigentum entstehen.

Hugo Setzer ist CEO des mexikanischen Verlags Manual Moderno und seit Anfang dieses Jahres Präsident der IPA (International Publishers Association).

Jessica Sänger ist Direktorin des Stabsbereichs Europäische und Internationale Angelegenheiten beim Börsenverein und seit Mai 2019 Vorsitzende des Urheberrechtsausschusses der Internationalen Verleger-Union IPA.