Zur Kritik am Deutschen Verlagspreis

Verbessern statt verdächtigen

1. Oktober 2019
von Torsten Casimir
Als hier am 17. September die Preisträger des erstmals vergebenen Deutschen Verlagspreises gemeldet wurden, hagelte es umgehend Kritik an der Auswahl der Gewinner, am Auswahlverfahren, an den Vergabekriterien, an der Jury, an der handwerklichen Umsetzung und überhaupt an der ganzen Konfiguration des Preises. Alles bloß Neid und Missgunst derer, die leer ausgingen? – Eine Nachlese und ein Vorschlag.

Preisgeld, das die einen erhalten und die anderen nicht, führt in der Buchbranche öfters zu heiklem publizistischem Betrieb. Die laute Klage der wenigen übertönt die stille Freude der vielen. Das dabei öffentlich abgegebene Bild ist zum Fremdschämen peinlich. Zur Schadensbegrenzung gehört es dann, den Klagenden mindere Motive zu bescheinigen. Woraufhin deren Ärger noch ärger wird. Geld macht insgesamt einfach nicht glücklich.

Statistik scheint den entsprechenden Neid-Verdacht denn auch nahezulegen. Kritik am Preis kommt ausnahmslos von Verlagen, die ihn vorerst nicht bekommen haben. Zu den Verteidigern hingegen gehören durchaus Bewerberverlage, die beim ersten Mal kein Glück hatten. Ob dieser Zusammenhang ein zufälliger ist oder ein anderer, lässt sich aufgrund der kleinen Fallzahl nicht beurteilen. Wahrscheinlich besser so.

Aber zu den traurigen Details: Dass bei einer Preispremiere, der stabile Routinen noch fehlen, eine E-Mail versehentlich mit offenem Verteiler rausgeht; dass ein Verlag oberhalb der Umsatzgrenze kurzzeitig auf die Nominierungsliste gerät; dass irgendwo eine falsche Postleitzahl kursiert – geschenkt, liebe Leute! So etwas passiert, wo Menschen arbeiten. Wer das zum Inhalt Offener Briefe machen möchte, soll es tun. Mein Rubrikenvorschlag wäre: Pillepalle.

Schwer hingegen wiegt der verschiedentlich, erstmals am 23. September vom Smart & Nett Verlag erhobene Vorwurf, fünf der sieben Jurymitglieder stünden "in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu einem der Gewinner und profitieren von der Förderung". Damit insinuiert Smart & Nett weder smart noch nett, dass die Jury mehrheitlich im Interesse einer Selbstbegünstigung zu Werke gegangen ist. Wer so argumentiert, gibt – wahlweise – seine enorme Verdächtigungsbereitschaft zu erkennen oder seine Ahnungslosigkeit in Bezug auf praktische Juryarbeit und die dabei geltenden (geschriebenen wie ungeschriebenen) Regeln.

Zu den geschriebenen Regeln gehörte diesfalls eine übliche Befangenheitsklausel, der zufolge Jurymitglieder an der Beratung und Entscheidung in Einzelfällen immer dann nicht teilnehmen, "soweit sie selbst, Angehörige oder natürliche oder juristische Drittpersonen, zu denen eine spezielle Bindung oder Abhängigkeit besteht, vom Gegenstand der Entscheidung unmittelbar oder mittelbar betroffen sind". (Hätte man recherchieren können, hätte aber den verschwörungstheoretischen Impetus der Einwände geschwächt.)

Zu den ungeschriebenen Gesetzen der Arbeit in Preisgerichten gehört es, dass Jurymitglieder sich schon aus unmittelbarem Eigennutz hüten würden, als Parteigänger von Preiskandidaten zu argumentieren. Wer das als Juror einmal versucht, hat seine Karriere als urteilsfähiger und deshalb gefragter Experte wohl hinter sich. Man unterschätze nicht die kollegiale Hygiene (pathetisch: Berufsethos), die in solchen Gremien waltet.

Andersherum gedacht: Natürlich ließe sich eine Verlagspreisjury vorstellen, von der man sicher sein könnte, dass kein Mitglied in irgendeiner Verbindung zu einem sich bewerbenden Betrieb steht. Das wäre dann perfekt organisierte Wirklichkeitsferne und käme dem "Lostopf" (so lautet ein weiterer Vorwurf an das angeblich intransparente Vergabeverfahren) tatsächlich nahe. Die den Preis vergebende Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat sich erfreulicherweise klüger entschieden: für fachliche Expertise bei gleichzeitigen Schutzmechanismen im Fall möglicher Interessenkonflikte.

Ein zweiter wesentlicher Kritikpunkt ist ergiebiger. In seiner trivialen Variante geht der Vorwurf so: Die Kurt-Wolff-Stiftung (KWS), auf deren Initiative der Preis überhaupt erst zustande kam und die an der Konzeption der Teilnahmebedingungen mitgewirkt hat, sei das Zentrum einer "Klüngelwirtschaft" (Marc Berger von den fränkischen Schwarzdruckern), welche die Mitglieder der Stiftung begünstige, indem sie Nichtmitglieder ausgrenze. Beweis: Wer die Kriterien zur Aufnahme eines Verlags in der Stiftung mit den Teilnahmekriterien für den Deutschen Verlagspreis nebeneinanderlegt, sieht große Schnittmengen.

Die Behörde der Kulturbeauftragten versichert: Weder am Bewerbungsverfahren noch an der Jurysitzung oder anderen mit der Preisvergabe in Zusammenhang stehenden Vorgängen sei die KWS beteiligt gewesen. Auch sei für die Jury eine KWS-Mitgliedschaft (desgleichen eine Mitgliedschaft im Börsenverein) nicht relevant gewesen, sie sei im Bewerbungsverfahren auch nicht abgefragt worden. Das wird man vernünftigerweise nicht anzweifeln wollen.

Lohnenswert erscheint jedoch eine Debatte, die tiefer nachfragt: Ausdrückliches Ziel des Deutschen Verlagspreises ist die Diversität der Buchproduktion. Zudem soll die Wirtschaftlichkeit kleiner unabhängiger Verlagsunternehmen gestärkt werden. Das heißt implizit aber auch, die Förderung zielt auf Verlage, die erkennbar in wirtschaftlicher Absicht am Markt tätig sind. Eine gewisse Umsatzgröße, Kontinuität und Umfang der Produktion sowie ein Professionalisierungsgrad, der diese Zielgruppe jedenfalls von privater Gelegenheitspublizistik aus purer Liebhaberei unterscheidet (Indikatoren: ISBN, Auslieferungsstruktur, inhaltliches Profil), werden also gebraucht.

Die Frage ist nur: Welche konkreten Grenzziehungen sind im Sinne des Diversitätszieles funktional? Und wie viel Bürokratie im Bewerbungsverfahren ist erforderlich, um die richtigen Kandidaten gut erkennbar werden zu lassen?

Hier melden selbst Verlagsleute, die den neuen Preis gegen seine eilfertigen Kritiker verteidigen, Gesprächsbedarf an. Stellvertretend sei Satyr-Verleger Volker Surmann zitiert, der auf Facebook eine vehemente Kritikerkritik postete, darin allerdings auch anmerkt: "Ich wünsche mir einen Deutschen Verlagspreis, der weniger bürokratisch ist und breiter aufgestellt ist." Surmann regt an, das Bewerbungsverfahren zu "entschlacken". Er plädiert dafür, künftig "etwas weniger Richtung etablierten Literaturbetrieb" zu schauen "und offener gegenüber anderen publizistischen Feldern" zu werden.

So ist wohl auch Jana Reich vom Hamburger Independent-Verlag Marta Press zu verstehen, wenn sie, ihre Kritik an der ersten Preisvergabe resümierend, auf der eigenen Verlagswebseite schreibt: "Man hätte die Fördersumme von einer Million Euro auch anders verteilen können. Als Zeichen für die Anerkennung und Unterstützung der Vielfalt, nicht nur für 'Leuchttürme'." Die Liste der ersten Preisträger macht aus der Sicht von Jana Reich deutlich, "dass die wirklich kleinen Verlage noch keine eigenen hörbaren Netzwerkstrukturen haben". Netzwerkstrukturen ganz im Sinne eines Satzes der autistischen Schriftstellerin Donna Williams, den die Marta Press ihrer Website voranstellt: "Ich bin eine Kultur, die einen Ort sucht, an dem sie sich ereignen kann."

Einwände dieser Art und Begründungstiefe aufzunehmen und in Ruhe zu besprechen – ohne das unerfreuliche Gemisch aus Enthüllungsfuror, Verschwörungstheorie und Verdächtigungswut – wäre alle Mühen wert. Denn schließlich versteht sich auch der neue Deutsche Verlagspreis, wie fast jede Kulturförderung, als eine Maßnahme zur Stärkung von Diversität, Unabhängigkeit und Qualität. Er ist insoweit ein normatives Projekt. Vielleicht lassen sich mit etwas Kreativität die Zugangsbedingungen das nächste Mal noch stärker flexibilisieren. Und die Geldinfusionen in noch feinere Kapillaren des Verlagswesens pumpen.