Lesetipp: Andreas Breitenstein über Peter Handke in der "NZZ"

In der Falle der großserbischen Ideologie

10. Dezember 2019
von Börsenblatt
Heute erhält Peter Handke den Literaturnobelpreis 2019. Seit der Verkündung ist in aller Breite darüber gestritten worden, ob diese Auszeichnung gerechtfertigt sei. Der Journalist Andreas Breitenstein, Träger des vom Börsenblatt verliehenen Alfred-Kerr-Preises für Literaturkritik 2017, hat dazu in der "NZZ" einen luziden und scharfsinnigen Kommentar geschrieben.

Andreas Breitensteins gründliche Analyse in der "NZZ" Online ist eine Lektüre, die für Klarheit sorgt. Sie zeigt einen Dichter, der durch die Parteinahme für das Serbien Slobodan Milosevics in die Falle der großserbischen Ideologie tappte, der die Verbrechen an der bosnischen Bevölkerung – vor allem den Genozid von Srebrenica – zwar nicht leugnet, aber immer verharmlost und herunterspielt. Einen Dichter, der sich angesichts der grausamen Wirklichkeit in einen Ästhetizismus flüchtet, der die Welt entrückt und ihr nicht traut. Einen Dichter, der die Medien verhöhnt und einem aufklärerischen Journalismus den Kampf ansagt.

Dass Handke sich "nur verrannt hat, wie oft zu seiner Apologie angeführt wird, kann man schwerlich gelten lassen", schreibt Breitenstein. Wenn seine Parteinahme für die "großserbische Sache" auch kein "Wahnsinn" sei, so habe sie doch "Methode". Letztlich, so das Fazit des Kommentars, habe hier ein Dichter seine Unschuld verloren. Seine voreingenommene, einseitige Sicht auf die Ereignisse "komme einem Verrat an der eigenen heiligen poetischen Sache gleich", so Breitenstein.

Hier wie in anderen Kommentaren zu Handke geht es um die grundlegende Frage, ob die Integrität eines poetischen Werks durch das Zuwiderhandeln gegen eigene moralische Prämissen erschüttert oder sogar zerstört wird.

In Stockholm wird heute auch der Literaturnobelpreis 2018 an Olga Tokarczuk verliehen. Einen Beitrag zur Preiszeremonie lesen Sie später auf Börsenblatt Online.