20 Jahre Kurt Wolff Stiftung

Bunter Motor

30. Januar 2020
von Nils Kahlefendt
Seit 20 Jahren fördert die Kurt Wolff Stiftung die Vielfalt der Verlagsszene. Damit ist sie für die Indies der Republik heute wichtiger denn je.

"Wer fragt noch übermorgen danach, wer der Verleger von Kafka oder Trakl war", seufzte einst Kurt Wolff (1887 – 1963). Hier irrte der sonst so weitsichtige Mann, ausnahmsweise: Dank seiner Begeisterungsfähigkeit, seinem engagierten Eintreten für Neues und Unerhörtes gilt er heute als eine der großen Verlegerfiguren des 20. Jahrhunderts. Als ein Kreis von Indie-Verlegern um Manfred Metzner (Wunderhorn) und der damalige Kulturstaatsminister Michael Naumann im Oktober 2000 eine Stiftung zur Förderung unabhängiger Verlage aus der Taufe hoben, lagen die Gründer nicht fehl, das Kind nach dem berühmten Verleger des deutschen Expressionismus zu nennen, der unter anderem auch in Leipzig wirkte – der Stadt, in der seit März 2002 die Geschäftsstelle der Stiftung sitzt.

Als Vorstand und Kuratorium der neu formierten Kurt Wolff Stiftung im Januar 2001 im Bundeskanzleramt, damals noch im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude am Berliner Schlossplatz, erstmals zusammenkamen (seit 2012 tagt man im Berliner Büro des Börsenvereins), wehten die Winde des Wettbewerbs zwar auch schon rau, aber Marktkonzentration und Digitalisierung sollten erst in der Folgezeit richtig Fahrt aufnehmen.

Seit 20 Jahren setzt sich die Kurt Wolff Stiftung, in deren Freundeskreis aktuell 133 Verlage von Alexander bis zu Klampen assoziiert sind, für eine bunte Verlags- und Literaturszene ein: Sie hält die Fäden eines verzweigten Netzwerks aus Verlagen, Buchhandlungen, Bibliotheken und Medien zusammen; es werden Analysen, Konzepte, Empfehlungen und politische Forderungen im Verlagsbereich erarbeitet, Debatten angestoßen.

Mit Rat, Tat und Expertise stand die Stiftung an der Wiege von Förderinstrumenten wie dem Deutschen Buchhandlungspreis und dem Deutschen Verlagspreis. Von der Präsenz auf Auslandsbuchmessen bis zum Schulterschluss mit dem Branchennachwuchs auf dem Frankfurter mediacampus – immer geht es um Sichtbarkeit. Und, ja: Die 40 Verlage und Literaturzeitschriften, die bis heute mit dem Kurt-Wolff-Preis und dem Förderpreis ausgezeichnet wurden, bilden – von Merve und dem "Schreibheft" bis zu Arco und Hentrich & Hentrich – so etwas wie die Hall of Fame des erweiterten Indie-Verlegertums in Deutschland. Gar nicht zu unterschätzen ist die Wirkung des Katalogs "Es geht um das Buch", der seit 2006 jährlich erscheint und regelmäßig zur Frankfurter Buchmesse präsentiert wird. Dass die mehr als 30.000 Exemplare in die Buchhandlungen der Republik gelangen, ist der Unterstützung der Verlagsauslieferungen Prolit, sova und GVA sowie den Barsortimenten KNV Zeitfracht und Libri zu verdanken. In der aktuellen Ausgabe 2019/20 präsentieren sich 77 Verlage, so viele wie noch nie. 

Zur Leipziger Buchmesse 2015 ging erstmals das Veranstaltungs-Forum "Die Unabhängigen" an den Start. Das Gemeinschaftsprojekt von Kurt Wolff Stiftung und Messe schiebt nicht nur quasi nonstop die Programme von mehr als drei Dutzend Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz an die Rampe. Es gibt auch den Menschen hinter den Kulissen ein Gesicht: Verlegerinnen und Verleger moderieren die Veranstaltungen und schenken an der Bar den leckersten Kaffee der Messe aus. Forum, Katalog und alle weiteren Druck­sachen der Stiftung  werden von Designer Jakob Kirch gestaltet. Vorstandsvorsitzende Britta Jürgs (Aviva) weiß, was die Stiftung an dem Leipziger Gestalter hat: "Hier entspricht die Vielfalt der Farben und Formen ziemlich ideal der Vielfalt der unabhängigen Verlage."

Angesichts globaler Konzentrationsbewegungen setzen auch die in der Kurt Wolff Stiftung assoziierten deutschsprachigen Indie-Verlage stärker auf internationale Vernetzung. 2016 war Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag) als KWS-Vize erstmals zu einer Tagung der International Alliance of Independent Publishers gereist, einer 2002 in Paris gegründeten Non-Profit-Vereinigung, der inzwischen über 400 Verlage aus annähernd 50 Ländern angehören. 

Eines der Schlüsselthemen der Allianz ist die Idee von "Biblio­diversity", ein Begriff, der zuerst in den 1990er Jahren von chilenischen Verlegern aufgebracht wurde und ein "organisches" verlegerisches Konzept umschreibt, das sich von der bestsellergetriebenen Produktion der großen Konzerne unterscheidet: die Herstellung kultureller Vielfalt unter besonderer Berücksichtigung vermeintlich "kleiner" Literaturen, ökologisches Bewusstsein, die Überwindung des Nord-Süd-Gefälles – am Ende gar so etwas wie das neue "bio" der weltweiten ­Indie-Verlagsszene. Am 21. September 2017, dem – hätten Sie's gewusst? – Internationalen Tag der Bibliodiversität, ist die Kurt Wolff Stiftung der Internationalen Allianz der unabhängigen Verlage mit Sitz in Paris beigetreten. 

Als die Stiftung Mitte Januar mit mehr als 300 geladenen Gäs­ten in der Berliner Vertretung des Freistaats Sachsen ihr Jubi­läumsjahr einläutete, konnte man sich wie bei einer indianischen Potlatch-Zeremonie vorkommen, ausgerichtet vom segensreich wirkenden Referat K 32 der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Es gab Geschenke, und das reichlich. Besonders Christoph Haacker und Nora Pester, den Verlegern von Arco (Wuppertal) und Hentrich & Hentrich (Leipzig) dürften die Ohren geklungen haben: Zur Leipziger Buchmesse im März werden sie für den Kurt-Wolff-Preis beziehungsweise den Förderpreis satte 35.000 respektive 15.000 Euro erhalten. Das bisherige Preisgeld (26.000 und 5.000 Euro) wurde aufgestockt.

Dass Kulturstaatsministerin Monika Grütters zudem den Deutschen Verlagspreis mit einer halben Mil­lion Euro mehr in die zweite Runde schickt und die Landschaft der unabhängigen Verlage mit einer "umfassenden Markt­studie" vermessen lassen will, ist indes keiner Sektlaune geschuldet – denn die Lage der Indies hierzulande ist weiterhin ernst. Die Schmerzensliste reicht von den Nachwehen der KNV-Pleite bis zu den Portoerhöhungen der Deutschen Post und endet noch lange nicht mit den jüngsten Titel-Auslis­tungen beim Zwischenhändler Libri. Die kulturelle Vielfalt, ­vulgo: Bibliodiversität ist weiterhin bedroht; der seit 2015 arbeitende KWS-Vorstand mit Britta Jürgs, Jörg Sundermeier und Leif Greinus (Voland & Quist) ist noch lange nicht in der besten aller möglichen Indie-Verlegerwelten angekommen. 

"Nachdem der Deutsche Verlagspreis aufgesetzt ist und ge­stärkt in die zweite Runde geht, werden wir uns in der verbleiben­den Zeit keinem neuen derartigen Großprojekt widmen", sagt Leif Greinus stellvertretend für die drei KWS-Vorständler, die eben auf die Zielgerade ihres auf fünf Jahre befristeten Ehrenamts einbiegen. Bereits seit Herbst wird über das künftige Führungstrio beraten, das letzte Wort hat das Kuratorium. Im März 2021 wird die Staffelübergabe dann wohl offiziell. Trotz des jüngsten Geldsegens aus Berlin wird ein Thema weiter ganz oben auf der Agenda stehen: eine strukturelle Förderung der Arbeit unabhängiger Verlage auf Länderebene, transparent und nachhaltig. 

Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien in Hamburg, der das Thema als erster Vorsitzender der 2019 neu formierten Kulturministerkonferenz auf die Agenda brachte, hat den Vorsitz zwar eben an seinen bayerischen Kollegen Bernd Sibler ab­gegeben – nicht jedoch seinen Einsatz in Sachen Indies. "Die Förderung unabhängiger Verlage steht weiterhin im Fokus der Kulturministerkonferenz und wird federführend von Hamburg gemeinsam mit Thüringen vorangetrieben", erklärt Brosda auf Nachfrage. "Im Kreis der Länder besteht Konsens, dass wir unabhängige Literaturverlage als Mittler anspruchsvoller Literatur unterstützen wollen, um die Vielfalt zu erhalten. Momentan werden Möglichkeiten erarbeitet, wie das konkret ausgestaltet ­werden kann, und bei der nächsten Kulturministerkonferenz im März diskutiert." Nach ruhigem Lenz für die Kurt-Wolff-­Vorständler sieht das nicht aus. Die Arbeit wird ihnen und ­denen, die folgen, nicht ausgehen.

Das Thema Sichtbarkeit für kleine Verlage hat gerade durch die Vorwürfe des Unsichtbar-Verlegers Andreas Köglowitz wieder an Aktualität gewonnen. Zur anschließenden Diskussion gelangen Sie hier.

Kurt Wolff Stiftung

Die gemeinnützige Kurt Wolff Stiftung versteht sich als Interessenvertretung unabhängiger deutscher Verlage. Dem Freundeskreis der Stiftung gehören derzeit 133 Verlage an – darunter die Träger des Kurt-Wolff-Preises und Verlage, die auf Antrag des Kuratoriums aufgenommen wurden.
Aufnahmekriterien sind unter anderen:

  • Sie müssen konzernunabhängig sein.
  • Ihr Jahresumsatz muss unter fünf Millionen Euro liegen; sie müssen mindestens zwei Jahre am Markt sein.
  • Sie führen ein allgemeines Programm aus den Bereichen Literatur und Sachbuch (mindestens vier Titel pro Jahr).
  • Der Verlag "muss dem von den Kurt Wolff Verlagen vertretenen Geist und Anspruch entsprechen".

Mitglieder des Freundeskreises können das Logo der KWS verwenden, Titel im Katalog "Es geht um das Buch" eintragen und an Verlagstreffen und Messeauftritten der KWS teilnehmen.