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„Die Walserhaftigkeit Goethes“

28. Februar 2008
Redaktion Börsenblatt
Wer den Dichter will verstehen, muss in Dichters Lande gehen: „Ein liebender Mann“, Martin Walsers neuer Roman, feierte im Weimarer Schloss Premiere.
Slalomfahrende Taxifahrer, reichlich Polizeipräsenz und vorab fürs BKA erfragte Geburtstagsdaten: Im um diese Jahreszeit gewöhnlich leicht verschlafen wirkenden Weimar deutete vieles auf einen Staatsakt, und ein klein wenig fühlte man sich auch so, als am gestrigen Mittwoch, um kurz nach acht – „meine Damen und Herren, der Bundespräsident!“ – Horst Köhler mit seiner Entourage in den Festsaal des Stadtschlosses einzog. Köhler hatte seinen Urlaub im thüringischen Oberhof jedoch nicht für hochrangige Politikergäste unterbrochen, sondern, nicht eben alltäglich, wegen einer Buchpremiere. Martin Walser selbst hatte sich das Weimarer Stadtschloss für die „Urlesung“ aus seinem neuen Roman „Ein liebender Mann“ gewünscht. Eine perfekte Wahl: Der „Weiße Saal“ gilt als einer der schönsten Raumgestaltungen des frühren deutschen Klassizismus; seit 1789 war der Geheime Rat als Mitglied der Schlossbaukommission an den Planungen beteiligt. Entsprechend hoch gestimmt das Publikum unter den fünfgroßen Kronleuchtern – neben Walsers Verleger Alexander Fest und zahlreichen Edelfedern aus den deutschen Feuilletons waren etwa Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth, der Philosoph Peter Sloterdijk und ein echter Nachkomme Ulrike von Levetzows gekommen. Würden sie, wie der munter drauflos bloggende Matthias Matussek am Vortag in der Hamburger Wohnung von HoCa-Verleger Günter Berg, den Beginn einer neuen „Walser-Debatte“ erleben? In Weimar kreiste sie, literaturimmanent, hauptsächlich um die Frage, wie viel Goethe drin ist, wo Goethe draufsteht. „Wieso haben wir die Walserhaftigkeit Goethes noch nicht vorher bemerkt“, fragte Ijoma Mangold, Literaturredakteur der „Süddeutschen Zeitung“, am Ende seiner launigen Romaneinführung. Wie passt der ins Gelingen verliebte Geheimrat und Dichterfürst in den Kosmos der Walserschen „Verzweiflungsgenies“, wie kann ausgerechnet Goethe zu einer Walser-Figur werden? Die Liebe, auch wenn es dafür wieder strafende Adjektive von Kritikerinnen setzen mag, macht’s möglich. Für Mangold, den jungen Kritiker ist der neue Walser auch „die epische Ausformung der Marienbader Elegie – eine Gedichtverfilmung“. Mit der anschließenden Lesung eroberte der Autor, der den Auftritt sichtlich genoss, seinen Text mitreißend und pointensicher, im typischen Walser-Duktus „lebte“, das Publikum im Sturm. Kein Wunder, dass sich das anschließende Gespräch zwischen Walser und Mangold gerade am Sitz der Klassikstiftung Weimar an der Frage entzündete, was an der Romangestalt Goethe dokumentarisch, was fiktional sei. „Es ist alles Goethe“, so Walser schlagend, „weil alles Liebe ist. Mit diesem Stoff hatte ich die ungeheure Chance, zu erzählen, was Liebe aus einem Menschen machen kann. Auf den ‚wirklichen’ Goethe lasse ich mich nicht ein. Goethe darf so sein, wie er bei mir ist.“ Zusätzlich autorisiert sieht sich Walser durch die Tatsache, dass Ulrike von Levetzow, bis auf wenige von ihr überlieferte Sätze und ein Porträt, fast spurlos aus der Geschichte verschwunden ist. Die Liebesbriefe des alten Goethe soll sie, kurz vor ihrem Tod, verbrannt haben. „Die“, sagt Walser lächelnd, „habe ich jetzt geschrieben“.