Prince Henry of Reinbek nannte ihn Henry Miller. Ledig (ohne Rowohlt) hiess er für seine Freunde. Er sei kein Mann der Feder, wehrte er ab, wenn Verlegerkollegen ihn in seinen späten Jahren zu überreden versuchten, die Geschichte seines Lebens aufzuschreiben. Eine Ausrede, denn er schrieb lebendig, einfühlsam, eindringlich aber über andere, über seine Autoren, zum Beispiel: so über Thomas Wolfe, den er 1936 als junger Lektor während der Berliner Olympiade in nächtlichen Kneipengesprächen vor den Nazis gewarnt hatte, über Hemingway, dem er mehrmals, zuletzt 1959 in Paris, begegnet war, über Vladimir Nabokov, dem er 1977 in Vevey die Grabrede hielt. Freunden schickte er zu besonderen Anlässen gereimte Gedichte, englische und deutsche.
Eigentlich war er der geborene Erzähler: er hatte gern Leute, Zuhörer um sich. In langen Buchmessenächten wurde er in Jimmys Bar im Hessischen Hof von Verlegern, Autoren und Agenten aus aller Welt umlagert und hielt sie redend in Bann: Ledig, der Entertainer, immer elegant, immer eine Spur extravagant gekleidet (maßgeschneiderte Anzüge aus London, mit aufeinander abgestimmten Kravatten, Hosenträgern und Socken in kühnen Farben, die rote Nelke im Knopfloch nicht zu vergessen). Ledig, Freund von Verlegern wie Roger Straus und George Weidenfeld, Peter Meier, Inge und Giacomo Feltrinelli, Claude Gallimard, Carlos Barral und vielen vielen anderen.
Im Verlag versammelte er gern Mitarbeiter um sich. Wenn sie morgens, von ihm bestellt, in sein Büro kamen, las er gewöhnlich, blätterte in Publishers Weekly oder im Bookseller oder in Verlagskatalogen, las sich irgendwo fest, die Seite dicht vor den halb zusammengekniffenen Augen, schien keinen der Eintretenden zu bemerken. Wenn aber einer der Wartenden sich aus dem Zimmer schleichen wollte, blickte er kurz auf: Bleib hier! Einen Moment noch. Gleich bin ich bei euch. Man konnte halbe Tage in seinem Büro verbringen. Der Schriftsteller Jürgen Becker, einst Rowohlt-Lektor: Wenn er weg war, konnten alle endlich arbeiten, aber los war dann eigentlich nichts mehr.
Ungebändigte Sprache
Auch im Verlag kam er ins Geschichtenerzählen, zum Beispiel wenn er eine der bis in die Nächte dauernden Schmonzen-Sitzungen (bei denen die Werbetexte für sämtliche Rowohltbücher umgeschrieben wurden) unterbrechen wollte. Dann erzählte er öfter Geschichten, die persönlicher (anrührend, manchmal einen Hauch traurig) waren als die vielen über ihn kursierenden Anekdoten und Legenden. Das besondere war die Art, wie er sie erzählte, seine eigenwillige, ursprüngliche Diktion, seine anders als in Briefen - ungebändigte Sprache. Eine filmreife Szene aus Kinderjahren: wie er es war im Ersten Weltkrieg - wütend und in Tränen aufgelöst seine zum Fronttheater aufbrechende Mutter, die Schauspielerin Ledig, auf dem Leipziger Bahnhof im Dampf der Lokomotiven entschwinden sah. Oder Geschichten, in denen das schwierige (traumatische)Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater, Ernst Rowohlt, deutlich wurde. Dann durfte die berühmte bb sekundieren, Ledigs Sekretärin, die ihn in seinen jüngeren Jahren zuweilen am Morgen von der Reeperbahn an den Schreibtisch geholt hatte, um ihn vor Zornausbrüchen des Alten zu bewahren.
Wer war Heinrich Maria Ledig-Rowohl? Henry Miller beschrieb ihn 1968 so: Ein wunderbarer Mann mit einer zarten Seele, einem verstehenden Herzen. Ein unersättlicher Leser mit einem starken Sinn für Qualität. Liest alles, sogar die New York Times. Kann nächtelang essen und trinken, singen, tanzen, Purzelbäume schlagen, vorwärts und rückwärts, kann sogar Cakewalk tanzen, wenn ihm danach ist. Morgens immer pünktlich an seinem Schreibtisch, wo er drei Sekretärinnen gleichzeitig diktiert.
Vital, kraftvoll und äußerst verletzlich
Die ihn etwas näher gekannt haben, ahnen, wissen, dass fast jeder einen anderen Ledig kannte. Er hatte so viele Seiten und konnte die überraschendsten Züge entfalten. Er konnte mit der Kaffeetasse nach einem Lektor schmeißen oder einem Autor, von dem er noch keine Zeile gelesen hatte, ein großzügiges Jahressalaire versprechen. Er gewann die Menschen mit seinem unglaublichen Charme und mit seinen Purzelbäumen, die er in Hotelhallen und Konferenzräumen schlug. Aber keiner durchschaute ihn wirklich, immer blieb er ein Geheimnis. Er war ein vitaler, kraftvoller und zugleich äußerst verletzlicher Mann, ein geschickter Skiläufer, ein ungeheuer fleißiger, disziplinierter Arbeiter, ein ausdauernder nächtlicher Leser und ebenso unermüdlicher Nachtschwärmer, ein Kunstsammler, ein verspielter Liebhaber von alten Uhren, von Aufziehspielzeug in seinem Verlagsbüro, an dessen eine Wand zig Autoren ihre Namen geschrieben hatten, bewahrte er in einem Schränkchen eine schaurig heulende Wildwest-Lokomotive auf und einen giftgrünen Kohlkopf, aus dem sich zögernd ein weisses Kaninchen erhob. Er liebte die kunstvoll-verspielten Zeichnungen von Thurber, Jan Effel, Saul Steinberg.
Siegfried Unseld, der wie kein anderer deutscher Verleger seinen Kollegen HMLR offen und in Zeitungen und Festschriften öffentlich bewunderte und rühmte, sprach fasziniert vom Geheimnis seiner Person, vom Charme seiner Persönlichkeit, von seiner verlegerischen Leidenschaft und Besessenheit. Unseld gehörte zu den wenigen, die wussten, dass die großen literarischen und finanziellen Erfolge des Verlegers Ledig-Rowohlt in der Regel nicht allein seinem Gespür und Glück zu verdanken, sondern mit harter Arbeit errungen waren. Ledig war noch ein wirklicher Büchermacher, einer, der sich um jedes Detail kümmerte. Er sah noch die Fahnen durch, redete bei der Werbung, der Gestaltung der Schutzumschläge mit. Details: In seinen Jahren durfte auf keinem Umschlag ein Foto von Hitler und seinen Kumpanen oder ein Hakenkreuz erscheinen.
Seine verlegerische Leidenschaft und Besessenheit hatte er richtig erst nach dem Krieg entfalten können. Als erster westdeutscher Verleger erhielt er - dank der politischen Integrität, die er in der Nazizeit deutlich bewiesen hatte - von den Besatzungsmächten die Publikations-Lizenz. In Jahren, in denen die von den Nazis vergewaltigte deutsche Sprache wieder zum Leben erweckt werden musste (Heinrich Böll), veröffentlichte er, anfangs in einer Rowohlt-Dependance in Stuttgart, ausländische Literatur, hauptsächlich amerikanische Short Stories - zuerst in der Zeitschrift Pinguin, dann in der damals heiß begehrten story. Zögernd ging er zurück zu seinem Vater, nach Hamburg, wo er den Verlag aus großer Finanzmisere führte (Kurt W. Marek).
Damals schon hat sich Ledig um die Literatur, auch um die deutsche Literatur verdient gemacht: seine Bücher von Hemingway, Faulkner, Thomas Wolfe, Saroyan, Steinbeck, später die Romane und Theaterstücke von Sartre und Camus, haben nachhaltig die deutschen Schriftsteller der frühen Nachkriegsjahre beeinflusst: Böll, Lenz, Andersch, Grass, Koeppen. Ein Neuanfang, zu dem Ledig als erfindungsreicher Verleger beitrug: es war seine Idee, angesichts der Papierknappheit und des Lesehungers der Deutschen nach den Jahren des Abgeschnittenseins, große Romane und philosophische Schriften im Zeitungsformat zu drucken und billig zu verkaufen. 1950 brachte er die ersten rororos auf den Markt.
Mit einem sechsten Sinn
Ledig liebte seine Autoren, die deutschen und österreichischen (er machte die Wiener Gruppe bekannt) wie die angelsächsischen und französischen, und war ihnen, soweit es in seiner Macht stand, ein treuer Verleger. Er war ein Entdecker mit besonderem Gespür für literarische Qualität - und für Erfolgschancen und blieb es bis zuletzt. Er war auch ein risikofreudiger Abenteurer. ledig hat den sechsten sinn, schrieb Oswald Wiener. Wenn Ledig mit bestimmten Büchern scheiterte, dann, weil er oder die Bücher der Zeit voraus waren. (John Irvings Garp wurde erst als rororo (nach der Verfilmung) ein Riesenerfolg. Isaac Bashevis Singer verlor er, kurz bevor der von ihm geliebte Autor den Nobelpreis bekam. Nicht selten bedrängt von seinen Geschäftsführern für Vertrieb und Finanzen, jonglierte er lieber statt aufzugeben: Sorgen Sie dafür, dass die Kalkulation aufgeht, konnte er einem Hersteller auftragen. Die oft unwahrscheinlichen Erfolge von ihm entdeckter Romane wie Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung (Eric Malpass) oder Wer die Nachtigall stört (Harper Lee) sind ebenso in die Geschichte des Rowohlt Verlags und der Bücherbranche eingegangen wie der Ruhm der unter seiner Ägide entstandenen Werkausgaben: Musil, Tucholsky, Sartre, Jouhandeau, Camus, Nabobov, Svevo.
Er war ein erstaunlicher Unternehmer, so Michael Naumann im Rückblick. Dazu gehören auch die Schritte, die ihm schwer gefallen sind: das die Rowohlt Verlage absichernde Zusammengehen zuerst mit Time/Life, später mit Georg und Dieter von Holtzbrinck, der Verkauf des Verlags an Holtzbrinck. Nicht erspart blieben ihm Enttäuschungen und schmerzliche Verletzungen, auf die er nicht vorbereitet, gegen die er nicht gewappnet war - trotz der ihm eigenen Lebensfreude und einer, wie Hans Mayer schrieb, ihm selbst nicht einmal bewussten integralen Anständigkeit. Die Rowohltkrise (Ballonaffäre) von 1969 schien einen Moment lang seine gelebte politische Integrität in Frage zu stellen. Es dauerte Jahre, bis er seine innere Sicherheit wiedergefunden hatte. Aber weil er ein großer Liebender war, konnte er auch ein großer Verzeihender sein, sagte Hans Joachim Schädlich in seinem Nachruf.
Ledig zog sich nie ganz zurück: In Lavigny, zwischen Jura und Genfer See, wo seine Frau (Lady Jane) und er sich niedergelassen hatten, empfing er Verlagsleute, übersetzte Theaterstücke von Harold Pinter, Gedichte von John Updike. Mit dem ihm eigenen Understatement erklärte er: Ich war eine große literarische Spielratze ... Das Ganze war ein wunderschönes Spiel. Er starb 1992 während eines internationalen Verleger-Kongresses in Neu Delhi.