Der Buchmarkt genießt in Deutschland noch immer einen Sonderstatus: Anders als auf Babynahrung wird auf Buchverkäufe der verminderte Umsatzsteuersatz erhoben, anders als in anderen Branchen erlaubt das Kartellrecht die Buchpreisbindung. Wir sonnen uns gern in der Wärme des »Kulturguts Buch«, und seine Vermittler sehen sich selbst irgendwo zwischen Priester und Lehrer. Doch was haben diese Vorstellungen eigentlich mit der Wirklichkeit zu tun?
Vor wenigen Wochen zitierte Kollege Gollhardt an dieser Stelle aus ersten Ergebnissen einer Fragebogenstudie, die den Auszubildenden konservative Einstellungen und geringes Interesse für neue Medien bescheinigt. Sollte das zutreffen, hätten wir es mit introvertierten Buchmenschen zu tun, die mit großer Gelehrsamkeit einer mehr oder weniger sakralen Vermittlungstätigkeit nachgehen wollen. Also alles in Butter? Doch da klingelt der Wecker, man reibt sich die Augen und wundert sich, woher wohl all die jungen Leute kommen mögen, die bei einem der Großfilialisten an der Kasse stehen, Bücher schleppen oder Regale einräumen. Wer käme schon auf die Idee, diese freundlichen Menschen zu den Proust-Übersetzungen von Keller und Kleeberg zu befragen? Zu Venedig im Spiegel der Weltliteratur oder auch nur zu einem Gegenwartsroman, der keine Familiengeschichte erzählt?
Wer konservativ und medienfeindlich die Berufsausbildung verlässt, ist kurz darauf Verkäufer, Lagerist oder EDV-Kraft in der Warenwirtschaft. Für die 16 Thalia-Geschäfte in Hamburg entscheiden 16 Personen über den Einkauf von Novitäten und damit das Profil des Sortiments. Der Rest des Personals packt Geschenke ein und hofft, irgendwann selbst eine oder einer dieser 16 zu werden. Wenn der neue Bundesvorstand des Börsenvereins Bildungsarbeit als strategisches Ziel seiner Arbeit formuliert, muss man fragen: Wer soll hier weitergebildet werden, und wozu? Wenn die Absolventen eines Ausbildungsberufs als Erfüllungsgehilfen im engen Korsett einer Firmenstrategie missbraucht werden, könnte man sich auf die Klugheit der Jesuiten besinnen, die gesellschaftliche Veränderungen durch Fürstenerziehung bewirken wollten. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob diese »Filial-Fürsten« nicht lieber mit Betriebsberatern reden als mit Kulturaposteln.
Gerade erst wurde das neue Berufsbild des Medienkaufmanns?/?der Medienkauffrau etabliert. Dringender als die Anpassung an ein verändertes Warenangebot scheint mir jedoch die Berücksichtigung eines grundlegend veränderten Arbeitsalltags zu sein. Zwar war gerade zu lesen, dass Thalia dem eingesessenen Buchhandel schon deshalb keine Kunden abzöge, weil man sich an ein gänzlich anderes Publikum wende. Dennoch basiert auch ein Buchhandel mit »gänzlich anderem Publikum« (was mag das sein? Nichtleser?) auf traditionellen Vorverständnissen von Buchkultur und muss sich deshalb fragen lassen, welchen Beitrag zum Erhalt dieses Vorverständnisses (oder gar dieser Kultur) er selbst leistet dies umso mehr, je stärker der Buchmarkt von Filialisten geprägt wird. Eine Antwort auf die Frage nach dem Beitrag des angestellten Filialbuchhändlers zum Kulturauftrag der Branche zu finden, wäre tatsächlich den Schweiß der Edlen wert!