Leipziger Buchmesse

Buch, Bach & Europa

13. März 2008
Redaktion Börsenblatt
Die festliche Eröffnung im Gewandhaus ist Pflichttermin für Buchmesse-Profis. Der Jahrhundert-Biograf Geert Mak, frisch gekürter Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, sorgte mit seiner Dankesrede fürs erste Messe-Highlight.
Same Procedure as every year: Zur Eröffnung im Gewandhaus nimmt die Leipziger Buchmesse Betriebstemperatur auf. Für die feierliche Umrahmung sorgt ein phantastisch aufgelegtes und entsprechend bejubeltes Gewandhausorchester mit Stücken aus der h-Moll-Messe des berühmten Thomaskantors. Was passt in der Buch- und Bachstadt besser? Bevor der Startschuss zum geselligen Teil des Familientreffens der Branche fällt, Prominenz aus Politik und Wirtschaft bei Wein und Häppchen auf Tuchfühlung mit Verlegern, Autoren, Buchhändlern, Lektoren, Übersetzern und Buchgestaltern geht, Journalisten erste Witterung nach den Trends des Frühjahrs aufnehmen, selbst welche konstruieren oder jene des Vorjahrs recyceln, setzt die Dramaturgie des Abends einen Reigen der Grußworte. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, der am Messesonntag selbst vor Kindern aus seinen Lieblingsbüchern lesen wird, heißt die Branche mit einem schönen Jean-Paul-Wort („Bücher sind dickere Briefe an Freunde.“) willkommen, freut sich ganz besonders über den 10prozentigen Aussteller-Zuwachs im Messe-Segment Kinder – Jugend – Bildung und setzt mit seinem Statement gegen eine für den Messe-Samstag in Leipzig geplante NPD-Demonstration einen aus den üblichen Rederoutinen hervorstechenden politischen Akzent: „Diese Ewiggestrigen gehören nicht in diese Stadt.“ Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder spannt den Bogen von der anstehenden Bildungsoffensive für die Branche bis hin zu den Herausforderungen, die Konzentration und Verdrängungswettbewerb für die Zukunft der Bücherlandschaft, letztlich für das Selbstverständnis der Branche selbst, bedeuten – auch wenn in Leipzig traditionell die Großen etwas kleiner, die Kleinen aber ganz groß herauskommen. Und endet versöhnlich mit einem Plädoyer für eine „Bildungskultur“ à la Leipzig, die „Lust macht aufs Lesen“ und „Neugier auf Neues“ weckt. Bevor sich Gewandhausorganist Michael Schönheit mit fliegenden Frackschößen in die Tasten wirft, lässt Sachsens Landesvater Georg Milbradt wissen, dass es auch in entlegeneren Teilen des Freistaats gut um’s Buch bestellt ist: In Görlitz etwa steht Kate Winslet dieser Tage für die Verfilmung von Bernhard Schlinks Bestseller „Der Vorleser“ vor der Kamera – ein Hauch Hollywood für die deutsch-polnische Grenzstadt, die buchhändlerisch eher schweres Pflaster ist. Highlight des Abends ist die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, die seit einigen Jahren nicht mehr den Schlussakkord, sondern den medienwirksamen Auftakt der Messe setzt. Mit der Wahl des Holländers Geert Mak bewies die Jury erneut ein ausgezeichnetes Händchen: Mak ist ein wacher Chronist, brillanter Erzähler von Geschichte, ein nimmermüder Lobbyist der europäischen Idee. Ausgezeichnet wird Mak für sein Lebenswerk, namentlich die in den letzten zehn Jahren (auf deutsch bei Siedler) erschienenen Bücher: Schon mit seinem Debüt, einer Anatomie Amsterdams, die sich der gesamten Neuzeit widmete, gingen Maks soziologisches Interesse und sein schriftstellerisches Talent eine glückliche Verbindung ein. Später hat er am Beispiel eines kleinen Dorfs in seiner Heimat exemplarisch die rasanten Veränderungen des ländlichen Raums in Europa beschrieben und – vor dem Hintergrund der eigenen Familiengeschichte – die Entstehung der modernen niederländischen Gesellschaft. In seinem Opus magnum „In Europa“, in den Niederlanden längst ein Standardwerk, steckte er die Koordinaten des Kontinents auf dem Weg zu seiner Vereinigung ab. Johannes Willms, Kulturkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, preist Mak in seiner klugen Laudatio als „Publizist von hohen Graden“, als „Zwitterwesen aus Journalist, Historiker und Weltweisen, der die beneidenswerte Fähigkeit besitzt, gewissermaßen im Parlando komplexe Zusammenhänge oder auch vermeintlich spröde Themen in anschaulicher, in mitreißender und höchst unterhaltsamer Weise zu vermitteln“. Ein Exempel auf die Treffsicherheit dieses Lobs legt der Preisträger mit seiner warmen, auf Zwischentöne statt auf steile Thesen setzenden Dankesrede ab. Gleich mit den ersten Sätzen erobert Mak sein Publikum: „Als ich an jenem regnerischen Montagmorgen, am 4. Januar 1999, mit meinem kleinen Rollkoffer von zu Hause wegging, um Europa zu entdecken – meine Frau winkte mir auch bei diesem verrückten Abenteuer wieder mannhaft nach – hätte ich nie im Leben gedacht, dass ich einmal hier ankommen würde.“ Én passant wird der Geehrte selbst zum Laudator; sein poetisches Loblied auf die Kärrnerarbeit seiner Übersetzer prägt sich ein: „Übersetzer sind die großen europäischen Brückenbauer, die die Kulturen miteinander verbinden. Sie brechen andere Kulturen für uns auf, sie zurren unsere Schiffe aneinander, schieben die Gangways heran, halten in aller Ruhe und Stille unseren Kontinent beieinander. Dieser Preis ist mindestens genauso sehr ihr Preis.“ Mak spricht erst weiter, als sich einer von ihnen, Gregor Seferenz, vom obersten Rang meldet und seinen Extra-Applaus bekommen hat. Schöne Szene. In seiner Dankesrede handelt Mak von den Ansprüchen und Schwierigkeiten heutiger Geschichtsschreibung, die zwar stets eines „moralischen Rahmens“ bedürfe, dadurch aber auch Gefahr laufe, Geschichte mit einem „Vließ der Selbstzufriedenheit“ zu bedecken. Geert Mak läßt keinen Zweifel, dass wir uns in einem Jahrhundert befinden, in dem es – buchstäblich – ums Überleben geht; hinsichtlich der Eingriffsmöglichkeiten des Einzelnen in „mondiale Kräftefelder“ ist er eher skeptisch. Aber, so Mak: „Wir können den Ton angeben.“ In den wichtigen Entscheidungen, die in diesen Jahren getroffen werden müssen, spielen Worte, die Sprache, eine Schlüsselrolle. „Wir können uns für die Angst entscheiden oder für die Hoffnung. Wir können trennen oder verbinden.“ Eigentlich ist einem jetzt die Lust auf Small talk ein wenig vergällt. Man möchte tiefer eintauchen in die Welt des Jahrhundert-Biografen Geert Mak, seine Bücher lesen, am liebsten sofort damit beginnen. Die Leipziger Buchmesse nimmt Betriebstemperatur auf. Es wird, so viel scheint nach diesem Auftakt sicher, ein guter Jahrgang.