Leser-Mail

Nur Stroh im Kopf?

18. März 2008
Redaktion Börsenblatt
An Thalia-Buchhändler werden ganz eigene Anforderungen gestellt, denn sie agieren im engen Korsett der Firmenstrategie, meint Männerschwarm-Verleger Joachim Bartholomae. Birgit Grundler, Auszubildende bei Thalia in Osnabrück, sieht das völlig anders:
Ich finde es ja durchaus sympathisch, dass Herr Bartholomae sich um das Wohl der Jungbuchhändler bei Thalia sorgt. Hiermit kann ich ihn beruhigen: Diese Sorge ist vollkommen unbegründet. Ich bin eine dieser jungen, freundlichen Menschen, die nach Herrn Bartholomaes Meinung nur Stroh im Kopf haben, einer massiven Gehirnwäsche in Sachen Unternehmensideologie unterzogen wurden, um anschließend von ihrem Arbeitgeber in einer gesichtslosen Großflächenbuchhandlung verheizt zu werden. Sie haben es sicherlich schon erraten: Ich bin Auszubildende bei Thalia. In einem muss ich Herrn Bartholomae allerdings Recht geben: Ich könnte ihm nicht Auskunft über die Proust-Übersetzungen von Keller und Kleeberg geben. Ich wurde auch noch nie danach gefragt. Aber schließlich kaufen bei uns ja auch nur Nichtleser. Bei all dieser Inkompetenz fragt man sich, warum Thalia sich überhaupt den Luxus leistet, ausgebildete Buchhändler einzustellen und Buchhändler auszubilden. Ungelernte und Verkäufer würden es ja auch tun und wären viel billiger. Könnte das etwa ein Zeichen dafür sein, dass Thalia nur auf diese Weise ein kompetentes und individuelles Sortiment und eine entsprechende Beratung gewährleistet sieht? Bei uns in Osnabrück hat nämlich jeder Buchhändler Warengruppenverantwortung, d.h. er besorgt die Disposition und den Novitäteneinkauf. Auch ich als Auszubildende bekam nach einem halben Jahr Ausbildung bereits die Leitung einer Warengruppe als Aufgabe. Wer Herr Bartholomaes 16 Einkäufer in Hamburg sein sollen, ist mir schleierhaft. Etwa die Filialleiter? Die würden sich bedanken! Schon einmal versucht, eine über 1000 qm-Fläche ganz alleine mit Büchern zu versorgen? Dafür wären ja Superman-Qualitäten notwendig. Ich will ja auch gar nicht abstreiten, dass Thalia eine Einkaufsabteilung hat. Aber deren "Sortimentsmacht" beschränkt sich auf die Disposition für das Zentrallager, die Durchführung von Dachaktionen, den Einkauf von MA, DVDs und PBS und natürlich die Konditionsverhandlungen. Das für Thalia-Mitarbeiter fühlbare "Korsett" wäre somit: Erstzuteilung von Zentrallager-Novitäten (das sind Bestseller wie der neue Ken Follett, "Biss zum Abendrot" usw., die man ja sowieso in einer großen Stückzahl eingekauft hätte, also ist hier wohl kaum von Bevormundung zu sprechen), Zuteilungen für bestimmte Aktionen sowie Erstzuteilungen im Bereich DVD, MA und PBS. Wobei immer noch genug Platz ist für dezentrale Aktionen (Aktionstische und darüber hinaus natürlich Lesungen, Schaufenstergestaltung ...) und eigenverantwortlichen Einkauf von MA, PBS und DVDs, deren Nachdisposition sowieso der verantwortliche Warengruppenleiter vor Ort übernimmt. Natürlich gibt es Buchfilialisten, die ihren Einkauf total zentralisiert haben, was ich traurig finde, denn die Aufgabe des Sortimenters ist es, auszuwählen und mit der dadurch entstandenen Sortimentskenntnis den Kunden fachkundig zu beraten. Thalia hat das offensichtlich erkannt. Außerdem sollte Herr Bartholomae nicht vergessen, dass es auch im unabhängigen Buchhandel Ansätze zur Zentralisierung gibt: Die Warengruppenpakete der Barsortimente. Und über standing order und die automatische Disposition der Pressegrossisten rümpfen auch nur wenige die Nase. Zu den seltsamen Leuten, die beim Buchfilialisten kaufen: Wo sind die eigentlich hingegangen, bevor es in unserer Stadt Thalia gab? Genau: In den unabhängigen Buchhandel, dessen Kunde sie ja zum Teil immer noch sind. Also gibt es bei 90 % der Kunden, die im stationären Buchhandel kaufen, keinen Unterschied zwischen Filial- und unabhängigen Buchhandelskunden. Unsere Kunden aber überspitzt als "Nichtleser" zu bezeichnen, empfinde ich als Beleidigung. Nicht für uns, sondern für unsere Kunden. Natürlich bedienen Thalia und die anderen Filialisten vorwiegend den Mainstream. Ist das etwa verwerflich? Ist das etwa nicht auch der Hauptumsatzbringer des unabhängigen allgemeinen Sortiments (mehr Breite statt Tiefe)? Das Verdienst von Thalia, Hugendubel, Mayersche & Co. ist es auch, dem Kunden die Schwellenangst zu nehmen und ihm im Gegensatz zum Warenhaus- und Bahnhofsbuchhandel ein Vollsortiment inklusive Beratung zu bieten. Nun noch einige Worte zu Herrn Bartholomaes Buchhändlerbild, Kaum hat sich die Diskussion um den ach so wirklichkeitsfernen, d.h. kaufmännisch uninteressierten Buchhändlernachwuchs beruhigt, wärmt hier jemand das Bild vom Buchhändler als verkappten Intellektuellen auf, der in diesem Fall Experte für Proust-Übersetzungen ist. Solche Buchhändler gibt es bestimmt und diesen gilt meine ehrliche Bewunderung. Solch eine Universalbildung und solch ein literarisches Wissen ist erstrebenswert, keine Frage. Sie ist sogar mit betriebswirtschaftlichem Know-how zu kombinieren. (Das wäre ja wirklich der absolute Super-Buchhändler.) Doch nicht jeder Buchhändler (Azubi) ist ein Akademiker und schließlich hat man sich auch etwas dabei gedacht, dem Beruf des Buchhändlers eine Ausbildung und kein Studium vorauszusetzen. Was ich damit sagen will: Auch ohne dass ich über Venedig im Spiegel der Weltliteratur (mir fiele da mit meiner bürgerlichen Halbbildung nur Manns "Tod in Venedig" ein) oder Proust-Übersetzungen referieren kann (dann doch lieber über den Gegenwartsroman ohne Familiengeschichte), fühle ich mich als vollwertiger (angehender) Buchhändler. Ich bezweifle außerdem, dass die Mehrheit der Azubis im unabhängigen Sortiment zu solch speziellen literaturwissenschaftlichen Fragestellungen Auskunft geben könnten. So etwas lernen wir weder in der Berufschule noch im Betrieb, also müsste es uns privat interessieren. Wichtiger ist es doch, dass wir als Buchhändler Menschen für Bücher und Kultur (auch dieser Begriff ist kein Fremdwort für mich) begeistern wollen. Dafür verräumen wir auch gerne Bücher, hauen in die Tastatur, kassieren, knacken die schwierigsten Kunden, schlagen uns in der Berufschule mit Recht, BWL und VWL herum und packen die unmöglichsten Dinge als Geschenk ein. Alles aus Liebe zum Buch. Auch bei Thalia. Die Meinung von Joachim Bartholomae lesen Sie unter folgendem Link: