Meinung

Die Angst des Lektors vorm Vertreter

27. März 2008
Redaktion Börsenblatt
Vertreterkonferenz: Eine Zeit zwischen Bangen und Hoffen. Von Katharina Raabe.
Neulich las ich in den Erinnerungen von J. Hellmut Freund, 40 Jahre lang Lektor bei S. Fischer. Seine Buchvorstellungen auf Vertreterkonferenzen waren legendär: Er sprach frei, formulierte druckreif und vermochte fesselnd zu erzählen. Niemand im Verlag ließ sich dieses Erlebnis entgehen. Freund schrieb wunderbare Briefe an die Vertreter, um ihnen die Eigenart und die Bedeutung einzelner Bücher nahezubringen, ausführliche Briefe, die er nicht mit »Liebe Kolleginnen und Kollegen im Außendienst« begann, sondern mit einer mehrzeiligen Anrede. Wie viel Zeit hat er sich genommen, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit gefordert! Unvorstellbar, dass er Bücher im Minutentakt, zielgruppengerecht und mit dem passenden Verkaufsargument versehen präsentiert hätte. Der Spagat zwischen »Pitchen« und Erzählen ist eine der vielen sportlichen Herausforderungen des Lektorenberufs. Auch wenn die Konferenz perfekt vorbereitet, die Vertreter frühzeitig mit Manuskripten, Informationen, Kurz- und Langtexten versorgt wurden ? sobald wir vor ihnen sitzen, zeigt sich, ob der Funke überspringt oder nicht. Triumphal rühmen wir unsere Entdeckung, arrogant oder kleinmütig reagieren wir auf Einwände. Wir sind abhängig von ihrer Gunst. Das Zwiespältige unserer Tätigkeit tritt nirgends krasser zutage als auf der Vertreterkonferenz, wenn wir, die »Hüter der Literatur«, die wir die Stärken und Schwächen eines Textes und seines Autors intimer kennen als irgendwer sonst, wenn ausgerechnet wir unsere Entdeckung in ein warenförmiges Objekt verwandeln. Wir »liefern es aus«, lange vor Erscheinen, indem wir aus seiner Zartheit etwas halb Vulgäres, aus seiner Kompliziertheit etwas möglichst Fassliches machen. Aber ist das wirklich unsere Aufgabe? Wollen nicht die Vertreter selbst die Formel finden, den einen Satz, der auf kein anderes Buch passt? Können sie das nicht besser als wir? An uns ist es, ihnen die Argumente zu liefern, sie für das Buch zu gewinnen, es ihnen absolut überzeugend vorzustellen. Endlich dürfen ja sie, die während der Reise pausenlos reden, einmal selbst zuhören und sich ihren Reim machen. Erzählen wir ihnen Geschichten von unseren Autoren, sprechen wir über das, worüber nur wir sprechen können. Diszipliniert, aber mit Feuer, strikt zur Sache, aber lebendig und niemals über ihre Köpfe hinweg. Vor allem aber: Lassen wir sie keine Sekunde im Unklaren darüber, was wir mit dem einzelnen Buch wollen, warum wir es machen. Dann wird der Satz, der zur Formel taugt, sich schon bilden. Wäre es nicht gut, einmal mit auf die Reise zu gehen? Die wenigen, die einmal einen Vertreter begleitet haben, empfehlen es nachdrücklich. Andere fürchten den »heilsamen Realititätsschock«. Ähnliche Meinungen höre ich auch von Kollegen im Außendienst. Wie wir Lektoren uns darum kümmern, dass Autoren vor bestimmten Zumutungen geschützt schreiben können, so wollen die Vertreter uns davor behüten, die Begeisterungsfähigkeit zu verlieren. Machen wir einander keine unnötige Arbeit. Bücher, deren Essenz wir nicht einmal unseren Freunden kurz und knapp erklären können, nehmen wir besser nicht ins Programm. Wann wird die Vertreterkonferenz zum Erfolg, wann zum Desaster? Diskutieren Sie mit uns!