Ökonomische Erfolge und politische Freiheiten

4. April 2008
Redaktion Börsenblatt
Die Ereignisse in Tibet werfen in den westlichen Demokratien wieder alte Fragen nach der Menschenrechtssituation in China auf. Der wirtschaftliche Aufschwung und die rasante Modernisierung des offiziell kommunistischen Landes täuschten in den letzten Jahren darüber hinweg, dass sich politisch in China wenig getan hat. Wie ist die Situation vor Ort tatsächlich? Wie stehen die Chancen, dass sich die politische Situation in China in der Zukunft verändert?
Die Menschenrechtslage in China wird von Amnesty International als beschämend bezeichnet. Die Lage in Tibet habe sich dramatisch verschlechtert, ebenso die Situation von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Die chinesische Regierung versucht jegliche oppositionellen Aktivitäten im Vorfeld der Olympia-Feierlichkeiten zu unterdrücken. In den letzten Monaten wurden die Sicherheitsmaßnahmen in Tibet drastisch verschärft. Die Aufstände in Tibet wurden also zum Teil auch von der Führung in Peking hervorgerufen. Gleichzeitig verstehen die Menschenrechtsaktivisten und Tibeter die internationale Aufmerksamkeit für sich zu nutzen. Erschreckend mutet die Zahl von 10.000 bewaffneten Protesten und Aufständen in China an, die es nach inoffiziellen Schätzungen jedes Jahr in China geben soll. Diese seien jedoch fast ausschließlich die Folge von lokalen sozialen Konflikten und kaum organisiert oder vernetzt. Denkbar sei jedoch eine Vernetzung und Solidarisierung der Oppositionsbewegung durch die harte Vorgehensweise der Führung in Peking. Die wachsende Mittelschicht hat andere Interessen als sich gegen die in Wirtschaftsfragen äußerst erfolgreiche Partei zu stellen. Auf der Prioritätenskala der neuen Mittelschicht steht der Konsum und der persönliche Erfolg ganz oben. Hinzu kommt, dass viele Angehörige der Mittelschicht stark am herrschenden System partizipieren. Sie sind häufig in staatlichen oder staatsnahen Organisationen und Betrieben tätig und befinden sich damit in einer gewissen Abhängigkeit vom Staat. Allerdings ist es fraglich, ob die chinesische Bevölkerung mit steigendem Wohlstand auch stärkere politische Freiheiten einfordern wird. In den beiden wirtschaftlich erfolgreichen Nachbarn Taiwan und Südkorea, die bis Anfang der 1990er Jahre autokratisch regiert wurden, war dies der Fall. Beide Länder können heute als nach westlichen Maßstäben demokratisch konsolidiert gelten. Das Gegenbeispiel bietet Hongkong: Mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von über 25.000 US Dollar herrschte dort weder vor noch nach der Übergabe an die VR China Demokratie. Auf Druck von Außen reagierte die Führung in Peking bislang allergisch. So muss auch ein Olympia-Boykott als größtenteils politisch wirkungslos eingeschätzt werden. Er würde mehr der Beruhigung unseres eigenen schlechten Gewissens dienen als der Herbeiführung von Veränderungen in Tibet. Ob sich überhaupt etwa verändern kann? Für die chinesische Regierung wäre eine Demokratisierung ein gewagter Schritt. Die Abwicklung der Sowjetunion in den 90er Jahren wirkt als abschreckendes Beispiel. Auch die Frage der regionalen Autonomiebestrebungen, wie in Tibet oder der mehrheitlich muslimischen Region Xinjiang bleibt ein heißes Eisen. Die territoriale Integrität besitzt für die Führung absolute Priorität. So bleibt auch die Taiwan-Frage ungelöst. Taiwan ist faktisch ein unabhängiger Staat, wird aber von den meisten Regierungen der Welt immer noch nicht offiziell anerkannt und bleibt für Peking ein integraler Bestandteil der Volksrepublik China. Dies hat auch damit zu tun, dass die politische Führung die ideologische Grundlage des Kommunismus durch einen starken chinesischen Nationalismus ersetzt hat. Das Reich der Mitte versteht sich als zukünftige Supermacht, ein Auseinanderdriften der einzelnen Volksgruppen passt nicht in die Planung. Die chinesische Bevölkerung folgt dieser Vorgabe größtenteils. Vorstellbar wäre maximal eine gewisse kulturelle Autonomie für Tibet, aber auch diese Zugeständnisse scheinen momentan noch in weiter Ferne zu liegen. Was bedeutet das für das Mediensystem in China? Solange die kommunistische Partei mit den momentanen Mitteln weiter regiert und die angesprochenen Themen nicht offener angeht, wird sich voraussichtlich auch das Mediensystem nicht fundemental ändern. Mehr darüber erfahren Sie im nächsten Beitrag: Kontrollzwänge - Warum die Kontrolle der Medien für die kommunistische Führung so wichtig ist.