Dem Thema Preisbindung schenkt die Branche erhöhte Aufmerksamkeit. Übertriebene oder berechtigte Sorge?
Ruge: Wenn man heute darüber spricht, wie es wohl aussehen könnte, wenn in Deutschland die Buchpreisbindung fällt, wird einem sofort attestiert, dass man ein absoluter Schwarzmaler sei so schlimm werde es schon nicht kommen. Ich staune über solche Reaktionen. Immerhin ist die Preisbindung in der Schweiz de facto abgeschafft. Die Chance, das rückgängig zu machen, halte ich für sehr gering. Da muss man sich doch fragen, wie realistisch es ist anzunehmen, dass ein großer deutschsprachiger Markt noch lange an der Buchpreisbindung festhalten wird, nachdem sie im Teilmarkt Schweiz bereits gefallen ist.
Wäre ein Fall der Preisbindung auch in Deutschland und Österreich denn wirklich so verheerend?
Ruge: Um das zu beantworten, reicht ein genauer Blick nach England. Dort haben wir ganz ähnliche Eckdaten: im Konsumverhalten, im Anteil von Lesern in der Bevölkerung. In England haben sich die Buchhandelsstrukturen nach dem Ende des Net Book Agreement in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert zum Schlechten. Das Verschwinden des unabhängigen Buchhandels war ja nur der erste Schritt. Inzwischen treten dort Supermarktketten wie Tesco an. Das sind Läden, die würden unsere großen Filialisten wie Hugendubel oder Thalia schwer zu schaffen machen so wie es in England Waterstones ergangen ist. Eine Waterstones-Filiale war vor zehn Jahren das, was ich heute über Thalia oder Mayersche sage: eine lebhafte Boulevardbuchhandlung, in die man gerne rein ging, eine gute Buchhandlung mit einem ansprechenden Sortiment. Heute ist sie eine erschreckende, öde, tote Angelegenheit.
In England hat also nicht nur der sogenannte unabhängige Buchhandel verloren?
Ruge: So ist es. Auch die Ketten sind in ihrem Angebot absolut verflacht. Ein Großteil des Geschäftes ist an jene Leute gegangen, die ausschließlich von der Frontalpräsentation leben, die nur an ganz wenigen Büchern interessiert sind, mit denen allerdings einen Löwenanteil des Umsatzes machen. Das ist die Gefahr, die ich auch für Deutschland sehe: Ohne Buchpreisbindung würden wir auch viele unserer Ansprechpartner in den großen Ketten verlieren, die es im Augenblick durchaus noch gibt.
Hörnemann: Der Mechanismus ist brutal einfach: In dem Augenblick, in dem die Preisbindung fällt, wird nicht mehr über den Inhalt eines Buches gesprochen, sondern nur noch über den Preis. Wenn Sie in England in einen Tesco-Markt hinein gehen, können Sie genau das beobachten: Da gibt es kein Verkaufspersonal mehr. Das Maximum an Service dort ist, dass irgendjemand an der Kasse sitzt und die Ware über den Scanner zieht.
Wird denn das Gespräch über Bücher im Wesentlichen vom stationären Buchhandel lebendig gehalten?
Hörnemann: Vielleicht war der Anteil früher noch höher, aber er ist auch heute noch ganz wesentlich. Nehmen Sie nur die vielen Lesungen im Buchhandel. Das sind die Veranstaltungen, in denen es noch um Inhalte geht. Auch große Verkaufserfolge wie in unserem Beispiel etwa Khaled Hosseini kann man zwar im Vertrieb anstoßen, aber die Empfehlungen gehen dann vom Buchhandel aus, ein Titel spricht sich rum, und so erst wird ein Erfolg daraus.
Spielen die Medien aus Ihrer Sicht gar keine Rolle?
Hörnemann: Natürlich spielen die auch eine Rolle. Meistens gibt es eine Mischung aus unterschiedlichen Erfolgsfaktoren. Was man nur sehen muss: Wir haben in Deutschland noch die Möglichkeit, einen Titel über den Buchhandel groß zu machen.
Man kann auch die These vertreten, dass das nach einem Fall der Buchpreisbindung nicht so viel anders wäre. Denn die großen Filialisten müssen auch weiter die inhaltliche Kompetenz anbieten schon wegen der Konkurrenz im Online-Buchhandel, wegen der schnell wachsenden Leserzirkel im Internet.
Ruge: Das mag vielleicht sein. Meine Sorge ist nur, dass inhaltliche Gespräche nolens volens eine immer geringere Rolle spielen werden, wenn erst einmal der Preis das entscheidende Argument für oder gegen ein Buch ist. Das hat uns Tesco in England gezeigt. Die machen Kampfpreise eben gerade bei den wenigen Büchern, mit denen Verlage ihren Hauptgewinn erwirtschaften wollen.
Hat die deutsche Öffentlichkeit, insbesondere die politische, dieses England-Szenario überhaupt auf dem Schirm?
Ruge: Ich fürchte eben: nein. Viele Leser wissen nicht, dass gute Beratung ihren Preis bzw. ihre Basis in der Preisbindung hat. Deshalb muss hier unser Kampf um den Erhalt der Preisbindung ansetzen. Wir müssen den Leuten klar machen, dass uns ohne Preisbindung nicht einfach ein paar weniger unabhängige Buchhandlungen und ein paar mehr Hugendubels oder Thalias erwarten, sondern dass die Buchhandelslandschaft dann bald grundlegend anders aussehen wird.
Können Sie Ihre düstere Prognose an einem Buch, das preisgebunden heute noch funktioniert, erläutern?
Ruge: Am besten nehme ich das Beispiel Richard Ford, Die Lage des Landes, das bisher dickste, schwierigste, teuerste Werk des Autors. Ein fabelhaftes Buch, aber überhaupt keine leichte Lektüre. Dennoch ist es sein in Deutschland bestverkauftes Buch bislang. Das ist uns in erster Linie mit Hilfe des unabhängigen Buchhandels gelungen, aber auch, weil unter anderem Thalia gesagt hat: Dieses Buch erscheint uns vielversprechend, da steigen wir ein.
Hörnemann: Nur mit einem Spagat, der das unabhängige Sortiment und die Filialisten hinter einem Titel versammelt, können Sie solche Bücher mit Bestseller-Potenzial unterhalb der Top Ten noch machen.
Nun wachsen in Deutschland aber trotz Preisbindung die Spannungen zwischen Verlagen, großen Filialisten und kleineren Sortimentern. Stichwort: Konditionen.
Ruge: Ach, immer dieses Lamento über Konditionen. Das ist nur die halbe Wahrheit, selbstverständlich muss auch eine kleine Buchhandlung kaufmännisch stärker überlegen in diesen Zeiten. Doch die Konditionen sind im Rahmen der Preisbindung nicht unendlich dehnbar und die Abstände oft überschätzt. Es gibt schon ein recht festes System der Handelspreise, und das bleibt bestehen, solange wir die Preisbindung haben. Immerhin weiß so jeder, womit er kalkulieren kann. Aber es stimmt: Weiter ausreizbar ist der Konditionenrahmen sicherlich nicht.
Na ja, die Marktmacht wird schon gern in Profite verwandelt. Das findet doch täglich statt. Und in dem Spiel haben Kleinere zunehmend schlechte Karten.
Ruge: Kein Zweifel. Für uns Verlage ist es heute nötiger denn je, dass wir uns unter diesen Bedingungen fortschreitender Konzentration für jedes einzelne Buch eine jeweils passende Strategie ausdenken. Sie haben in Ihrem Programm vielleicht eine Handvoll Bücher, die für die Filialisten interessant sind. Die müssen Sie denen vermitteln und sich gut überlegen, was Sie ihnen an Hilfen mit an die Hand geben. Gleichzeitig brauchen Sie etwas, das fast schon Dinosaurier-Status erlangt hatte, was uns aber enorm hilft: eine sogenannte Midlist. Wir haben wieder Titel, die sich in einem Bereich verkaufen, wo sie sich selbst tragen.
Ein Beispiel?
Ruge: Etwa das Buch über Martin Kippenberger von seiner Schwester Susanne Kippenberger, über 600 Seiten stark, 7000mal verkauft, kein Mensch hätte sich gewundert, wenn es nur 1800mal passiert wäre. Oder Andreas Weber, Alles fühlt, das Buch eines sehr interessanten, literarisch begabten, aber auch visionären Biologen, 12.000mal als Hardcover verkauft. Das sind allerdings Bücher, die wir nicht mit den Filialisten groß gemacht haben, sondern mit dem wirklich engagierten unabhängigen Sortiment.
Hörnemann: Wir setzen dabei auf eine gut geplante Informationspolitik. Wir machen einen erheblichen Teil unseres Umsatzes mit relativ wenigen Ansprechpartnern. Mit einem guten Dutzend Telefonaten habe ich einen Großteil unseres Potenzials ausgeschöpft. Aber auch die Nachhaltigkeit spielt eine Rolle. Andreas Weber gibt dafür ein gutes Beispiel: Ist nach vier bis sechs Wochen schon alles vorbei, oder geht der Titel länger? Hierfür ist es wichtig, die Sortimente in der Breite zu informieren und ihnen auch ein Instrumentarium an die Hand zu geben, das ihnen das Engagement für einen Titel interessant macht und erleichtert.
Was sind das für Hilfen?
Hörnemann: Gar nichts revolutionär Neues, aber man muss es gut in den Buchhandel kommunizieren. Für den neuen Richard Sennett, Handwerk, haben wir zum Beispiel ein Autorenmagazin gemacht. Das bieten wir dem Buchhandel auch mit individuellem Eindruck an. Das ist ein Engagement für den unabhängigen Buchhandel außerhalb der Konditionenfrage. Hier geht es um Kommunikation für ein ganz bestimmtes Buch.
Nur für den unabhängigen Buchhandel?
Ruge: Wir bieten das allen an. Aber Filialisten reagieren seltener darauf. Ein solches Autorenmagazin muss auf einen Buchhändler treffen, den das inhaltlich interessiert, der viel mit seiner Kundschaft spricht, der sich freut, dass er so etwas seinen Kunden mitgeben kann.
Nach welchen Kriterien stellen Sie solch ein Magazin zusammen?
Hörnemann:Wir fragen uns, was wir selbst gern lesen würden, wenn wir in eine Buchhandlung gingen.
Machen Sie das selbst?
Ruge: Ja. Ich halte es auch für sehr wichtig, dass man so etwas nicht raus gibt. Wir sitzen da alle gemeinsam dran. Unsere Stärke ist, dass wir das Buch einfach am besten kennen. Eine Werbeagentur hätte das Ding vielleicht etwas schnittiger gestaltet, aber nicht diese Stimmigkeit erzielt. Da geht es eben auch um Handwerk.
In welcher Stückzahl ging das Sennett-Magazin in den Handel?
Hörnemann: Davon haben wir jetzt 130.000 Stück in Umlauf gebracht. Alle, die sagen, ich will das haben, bekommen es umsonst. Der Aufwand lohnt sich. Die Buchhändler nehmen das gern als Verkaufs- und Informationshilfe. Und wir beraten sie im Vorfeld intensiv: Leg das nicht nur auf den Tisch, pack es bei einer bestimmten Kategorie Kunde vielleicht auch in die Tüte, und so weiter. Auf diese Weise sehen auch die Kunden: Aha, dieses Buch ist also einer der Favoriten hier im Laden.
Sie machen auch DVDs, Sie machen Mailings etwa über die Presseresonanz zu bestimmten Titeln. Ist das alles nicht viel zu viel für den einzelnen Buchhändler?
Ruge: Man muss bei der Gestaltung der verschiedenen Werbemittel sehr genau auf die Schwierigkeiten schauen, die die Händlerseite haben könnte. Da geht es einfach um die Details: dass man zum Beispiel nicht ein so großes Plakat macht, das extra in der Rolle verschickt werden muss und damit hohe Portokosten vermeidet. Im Grunde geht es hier schon ins Konditionengefüge hinein. Wir wollen eben nicht allein das Bestellvolumen honorieren, sondern den Einsatz und die Leistung des einzelnen Buchhändlers für unsere Titel. Das ist ja im Übrigen ein ausdrückliches Desiderat des Preisbindungsgesetzes.
Wenn Sie schon die Konditionen ansprechen: Haben Sie dieses Geben und Nehmen irgendwie operationalisiert?
Hörnemann: Im Herbst 2003 haben wir ein Konditionenmodell gestartet. Wer sich von unseren Vertretern beraten lässt, wer unser Programm kennenlernen will, den belohnen wir damit, dass der Reiserabatt für ein Jahr zur Festkondition wird. Damit honorieren wir die Leistung, dass sich der Händler mit unserem Programm auseinandersetzt.
Gehört zu den Leistungen, die Sie honorieren, auch die besondere Bemühung um einzelne Titel am Point of Sale? Zahlen Sie für herausgehobene Inszenierungen Ihrer Titel?
Hörnemann:Wir kaufen definitiv keine Regalmeter ein. Es gibt einen Kern buchhändlerischer Aktivität, für den Verlage nichts bezahlen sollten. Sagt die Buchhandlung mir aber, ich möchte auf diesen Titel mit 2000 Lesezeichen aufmerksam machen, dann mache ich so etwas gerne. Das verstehe ich, das ist ein Extraaufwand, der getrieben wird.
Wie läuft Ihre Zusammenarbeit mit den Verbünden wie eBuch, LG Buch und AUB?
Hörnemann: Insbesondere mit der LG Buch arbeiten wir gerne und intensiv zusammen. Ich halte Kooperativen wie diese für eine sehr wichtige Entwicklung.
Ruge: Die AUB ist da etwas anders gelagert. Das schauen wir uns noch mit einer gewissen Skepsis an. Mir hat neulich erst ein AUB-Vorstandsmitglied gesagt, dass wir ja kein A-Verlag seien und deshalb keine Gespräche mit uns geführt werden. Mein Eindruck ist, das bestätigen mir auch Kollegen, dass die AUB ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Konzernverlage richtet. Das halte ich für eine etwas schiefe Orientierung.
Hörnemann: Die AUB verlangt, portofrei beliefert zu werden, und zwar grundsätzlich. Die Begründung Wir sind schließlich der unabhängige Buchhandel ist aber kein gutes Argument. Man muss einem Verlag, der portofrei liefern soll, schon etwas deutlicher seine Zuneigung erklären und wenigstens mal die Verlagsvertreter empfangen.
Politisch muss man doch aber all diesen Bemühungen um bessere Selbstorganisation der kleineren Marktteilnehmer die Daumen drücken.
Ruge: Auf jeden Fall. Die politische Diskussion ist ein wichtiger Aspekt. Hier werden wir in den Ring steigen, und zwar möglichst mit allen Teilnehmern am Buchmarkt. Die so genannten Wettbewerbshüter dürfen nicht die alleinigen Richter über Kulturgüter sein. Allerdings ist meine Erfahrung, dass es am Ende nicht nur um die große politische Kommunikation geht, sondern um Verständigung im Detail. Wir sind dort interessiert, wo die Buchhändler direkt mit uns arbeiten wollen und nicht von Dritten sich ihr Sortiment zusammenstellen lassen. Die Frage lautet immer: Wie viel wirkliche, hilfreiche Kommunikation findet statt?
Miteinander reden scheint mir ein recht allgemeingültiges Rezept zu sein.
Ruge: Es klingt vielleicht langweilig, aber es ist entscheidend. Und hier kommt wieder die Bedeutung der Preisbindung ins Spiel. Diese auf persönlichem Gespräch beruhenden Geschäftsbeziehungen sind bei uns in Deutschland eben noch möglich. Unter Marktbedingungen wie in England sind sie nicht mehr möglich. Dort heißt der Partner dann Tesco.
Auch unsere Filialisten machen den Verlagen die Kommunikation nicht immer leicht.
Ruge: Das stimmt. Und das halte ich auch für einen Fehler. Kommunikation muss auch im Interesse der Filialisten sein. Ich sehe mit Interesse, wie die guten alten Börsen heute wieder wichtiger werden.
Hörnemann: Das kann ich nur bestätigen. Ich habe gerade ein paar ganz beeindruckende Einkaufsbörsen hinter mir. Man steht da ja enorm unter Zeitdruck, muss binnen 60 Minuten seinen ganzen Berg vorstellen. Aber man trifft dort auf geneigte Gesprächspartner. Die Regionalbörsen sind wieder im Kommen. Thalia macht sie schon. Und Hugendubel hat sich jetzt von den guten Erfahrungen, die Weiland mit regionalen Börsen gemacht hat, überzeugen lassen. Mich freut das, denn diese Börsen sind wirklich Orte, an denen man über das Buch noch ins Reden kommt. Man sieht das übrigens nicht nur an den Einkaufsbörsen der Filialisten. In Nordrhein-Westfalen gewinnt gerade die Bücherbörse Gelsenkirchen wieder stark an Bedeutung, nachdem sie zeitweise marginalisiert war.
Das Stichwort Kommunikation hat ja auch eine Endkunden-Seite. Glauben Sie, dass sich beim Buchkäufer eine neue Wertschätzung von persönlicher, individueller Beratung entwickelt, dass man der Ketten-Abfertigung doch zunehmend überdrüssig wird?
Hörnemann: Ich denke darüber ziemlich unromantisch. Wenn ohne Preisbindung die Preisunterschiede zu groß werden, fällt es schwer, beim Fachhändler zu bleiben. Ich glaube schon, dass man mit Werbepower und starken Preisargumenten viele Buchleser zum Discount-Käufer wandeln kann. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Preisbindung erhalten bleibt, damit die Inhalte und die Kenntnis um diese weiter die Institution Buchhandel erhalten, dezentral und vielfältig.
Ruge: Ich glaube, dass Leser auch in Zukunft in eine gut sortierte Buchhandlung gehen, einfach weil Bücher dort sinnvoll und ansprechend präsentiert werden und eine qualifizierte und engagierte Beratung stattfindet. Das findet man bei uns zum Glück noch immer in vielen Buchhandlungen, kleinen und großen, sowohl bei den unabhängigen, als auch bei den Filialisten. Um dieses buchhändlerische Niveau, das uns Verlegern ermöglicht wirklich interessante Programme mit einer großen Vielfalt zu machen, gilt es zu kämpfen, alle gemeinsam.