Gastspiel von Dido Nitz

Weniger Ich, mehr Wir

14. Mai 2020
von Börsenblatt

Wie plant man in diesen Zeiten die Kalender für 2022? Keine leichte Aufgabe, denn manches Bild, mancher Satz wird ganz anders konnotiert als noch vor zwei Monaten. Gedanken von Dido Nitz.

Wir alle können doch im Grunde gar nicht erfassen, was da gerade passiert. Das ist wie dystopisches Kino. Auch wenn wir hoffen, dass es glimpflich ausgeht: Wir sind unserer Verlässlichkeiten beraubt. In solchen Zeiten sehnen wir uns nach einem positiven Grundgefühl, nach Alltag, Routine, Gewohnheit – sich geborgen und aufgehoben zu fühlen. Es gilt, zu einer neuen Normalität zu finden. Hochzeiten im Autokino, Masken im Supermarkt, Unterricht am Bildschirm – all das hätten wir nicht für möglich gehalten, und jetzt gehört es zu unserem Alltag. Und wir fangen gerade an, vorsichtig aufzu­atmen, der Ausblick auf die kommenden Monate lässt wieder den Gedanken an altbekannte Regelmäßigkeiten zu.

Einen Kalender zu führen bedeutet auch, eine Routine zu pflegen. Der Kalender begleitet mich durch schöne und weniger tolle Momente im Jahr, er ist mein objektives Zeitraster. Und er ist mehr als nur ein flüchtiger Blick zu den Terminen: Ich nehme ihn täglich in die Hand oder werfe zumindest einen Blick darauf. Hier dürfen meine Augen kurz ruhen und können Energie tanken. Ich möchte sicher sein, dass mir gefällt, was ich da sehe. Ich möchte mich identifizieren. Wenn ich heute ein Katzenfan bin, bin ich es auch morgen, unbeeinflusst von äußeren Erschütterungen, Sorgen und Ängsten.

Gedankliche Stütze

Das Kalendersegment lebt im Grundsatz von wiederkehrenden Motiven; vielen Klassikerthemen, die sich zurückführen lassen auf beliebte Hobbys oder Sehnsüchte, die wir haben. Wir erwarten Bilder, die uns durch Ästhetik, Humor oder Ähnliches motivieren. Ein Kalender steht, hängt, liegt meist offen, anders als etwa ein Bildband, der mich auch mal verwundern, verblüffen oder gar verstören darf, da ich ihn wieder zuklappen kann. Ein Kalender ist eine gedankliche Stütze, nicht nur bei meinen Terminen, sondern auch im Meistern der täglichen Herausforderungen begleitet mich sein Design durch den Tag. Deswegen ist die Bildsprache von Kalendern meistens positiv.

Dadurch weist dieses Geschäft größere Erwartbarkeiten auf. Auch wenn wir hier durchaus Trends am Puls der Zeit aufgreifen, sind die Jahresproduktionen im Vergleich zu Büchern verhältnismäßig früh geplant und hergestellt. Die Kalender 2021 stehen jetzt in den Startlöchern, und wir entwickeln gerade die Kalender für 2022. Wir sind hier also thematisch nicht gerade tagesaktuell. Das Buchprogramm ist dagegen viel schnell­lebiger. In den vergangenen Krisenwochen sind wir immer mal wieder durch unsere Titel gegangen, wir hatten etwa »Fasten« geplant. Verzicht zu üben, sich zu beschränken – das jedoch bekommt aktuell eine ganz andere Konnotation. So haben wir das Thema geändert in ein anderes, das besser passt. Darüber hinaus haben wir zwei Schnellschüsse in Buchform herausgebracht, die den Menschen vielleicht ein bisschen dabei helfen, gut durch die Krise zu kommen.

Ob sich durch die Corona-Erlebnisse Bedürfnisse im Kalenderbereich ändern werden? Das können wir jetzt nicht wissen. Wir achten generell darauf, ein positives Grundgefühl zum Ausdruck zu bringen. Bei ästhetisch fokussierten Designs ist das auch nicht schwierig. Wir haben aber zudem sehr erfolgreiche Kalender mit knackigem Witz: schwarzer Humor immer gern, Respektlosigkeit nicht. Das haben wir schon immer so gehandhabt.

An einigen Stellen sind wir generell noch reflexiver geworden, bei den Themen weniger auf Selbstoptimierung fixiert, weniger Ich, mehr Wir. Das wäre überhaupt etwas Positives, was man aus diesen Tagen mitnehmen könnte.