Für die Arbeitstagung am 23. und 24. Juni in Stuttgart zum Thema "Wie Online unsere Verlage verändert hatten sich 136 Interessenten angemeldet, mehr als dreimal soviel wie sonst. Für Gudrun Bolduan, Geschäftsführerin des Verleger-Ausschusses, ein klares Signal: Daran sehen Sie, wie sehr allen das Thema am Herzen liegt. Und tatsächlich schlugen die Herzen höher das aber nicht aufgrund freudiger Erwartung, sondern eher aufgrund ungewisser Aussichten.
Einen Weg in die Zukunft weisen: Das war das Ziel der Veranstaltung. Es ging darum, Ratgeberverlagen die Augen für neue Marktchancen zu öffnen, für Alternativen zum Hier und Heute. Bevor es jedoch um konkrete Ideen und Geschäftsmodelle ging, bat der Organisator Matthias Ulmer (Ulmer Verlag) am Montag Nachmittag einen Mann aufs Podium, der mit seinen unbequemen Thesen zur Zukunft der Medien schon bei vielen Bauchschmerzen ausgelöst hat: Daniel Tschentscher.
Tschentscher ist Partner bei der Frankfurter Unternehmensberatung TIMElabs. Seit Jahren beobachtet er intensiv den Medienmarkt. Er bezeichnet sich selbst als "digitalen Migranten und meint: Online Medien würden weiter zunehmen und die gedruckten zusehends verdrängen. Die Zukunft gehöre digitalen, vernetzten Medien, in denen Anwendungen, Inhalte und Werbeformate on demand zusammenfließen würden.
Schon heute bedroht die Digitalisierung alle Stufen der verlegerischen Wertschöpfung, sagte er und empfahl: Stellen Sie sich darauf ein: Informationen verlieren an Wert. Im Internet gibt es sie in Hülle und Fülle und zwar kostenlos. Paid Content tauge nicht als Geschäftsmodell, selbst eBooks seien keine echte Alternative, sondern nur eine Option unter vielen. Und nun? Es gibt keinen Königsweg, stellte Tschentscher klar. Geschäftsmodelle für die digitale Welt müssen individuell entwickelt werden. Was Verlage in erster Linie brauchen würden, seien deshalb Leute, die die Technologie verstehen und kreativ damit umgehen können. Fangen Sie besser heute an als morgen, so Tschentscher. Es geht nicht über Nacht und sicher auch nicht, ohne dafür Lehrgeld bezahlen zu müssen.
Das Impulsreferat dauerte knapp 90 Minuten und es war keine Minute zu lang. Zwischendurch hätte mancher vielleicht gern schon eingepackt, doch am Ende wurde Tschentscher versöhnlich. Bleiben Sie beim Buch, riet er und seine Zuhörer atmeten auf. Damit verdienen Sie ihr Geld, heute, morgen und vielleicht auch noch in zwanzig Jahren. Eines Tages werde aber damit garantiert Schluss sein. Vergessen Sie nicht, parallel neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Einige Verlage tun das bereits, zum Beispiel Droemer Knaur und MairDumont. Sie stellten ihre Community-Plattformen vor Arne Schäffler berichtete über den Status quo des Droemer Knaur-Projekts "Gesundheit heute (
www.gesundheit-heute.de), Stephanie Mair-Huydts über die ersten Schritte, die MairDumont in der digitalen Welt geht (
www.marcopolo.de).
Der Dienstag gehörte einzig und allein dem eBook ein Thema, das längst konkret Gestalt annimmt, und das nicht nur in Form der Branchenplattform libreka!. Wie sieht das Geschäftsmodell hinter libreka! aus? Welche juristischen Fallen gibt es allgemein und welche Preismodelle sind denkbar? Was ändert sich an den Verlagsverträgen? Wie organisiere ich die Herstellung optimal? Auf alle Fragen gab es eine Antwort.
Die Ratgeberverlage warfen einen Blick in die Zukunft, ohne jedoch die Gegenwart aus den Augen zu verlieren. Günter Kopietz von Gräfe und Unzer etwa informierte über den Stand der Dinge in Sachen Ratgeber-Bestsellerliste. Er schlug neue Maßnahmen vor, um die Liste im Handel noch stärker zu verankern, und votierte dafür, ihre Finanzierung auf mehr Schultern zu verteilen bisher zahle Gräfe und Unzer den Löwenanteil (Investitionsvolumen laut Kopietz: 10.000 bis 12.000 Euro pro Jahr).
Aktuelles über den Ratgebermarkt, die Backlist-Quote, Remissionen und Restauflagen steuerte Matthias Ulmer bei. Laut GfK, so Ulmer, würden die meisten Segmente ganz gut dastehen. Und doch: Seit April gehe das Barometer deutlich nach unten. Ulmer spricht von Umsatzrückgängen um insgesamt zwei Prozent seit Jahresbeginn, vor allem die Barverkäufe im Sortiment seien im Minus. Ich hoffe, dass ist nur eine kurze Delle. Außerdem: Rund zwei Drittel der Ratgeber, die laut GfK im vergangenen Jahr verkauft wurden, seien vor dem 1. Januar 2007 erschienen, so Ulmer. Die Backlist-Quote habe bei 64,2 Prozent gelegen (2006: 65,2 Prozent).
Die Zahlen überraschten im Auditorium niemand, Ulmers Zuhörer nickten einmütig. Als er über Remissionen sprach, veränderte sich die Stimmung deutlich. Schnell wurde klar: Für jeden bedeuten sie Kosten, doch jeder macht andere Erfahrungen und zieht daraus letztlich auch andere Schlüsse. Während der Buchhändlertage in Berlin habe das Branchenparlament bereits mehrere Vorschläge diskutiert, erzählte Ulmer darunter auch der, künftig bei allen Büchern, die weniger als 20 Euro kosten, eine vereinfachte Rückgabe mit dem Sortiment zu vereinbaren. Die Teilnehmer warfen sich daraufhin die Bälle hin und her, am Ende konnte jedoch keiner alle überzeugen. Ulmer versprach eine detaillierte Kostenanalyse. Dann werden wir sehen, ob wir die Idee weiter verfolgen.
Last not least: Gudrun Bolduan brachte am Montag Nachrichten aus dem Verband mit nach Stuttgart. Sie berichtete unter anderem über den neuen Internetauftritt des Börsenvereins und bat um Mithilfe bei der Gestaltung des internen Bereichs, der im Oktober online gehen soll. Sie stellte eine Umfrage in Aussicht, die zeigen soll, wie Lehrbüchern an Hochschulen heute genutzt werden, und sie klärte noch einmal darüber auf, dass die jüngst mit den Übersetzern getroffenen Vereinbarungen nicht für Ratgeberverlage gelten.
Mehr über die Arbeitstagung, die Thesen von Daniel Tschentscher und die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Ratgebermarkt erfahren Sie nächste Woche im BÖRSENBLATT (Heft 27/2008).