Das Literaturcafé im Leipziger Haus des Buches war heillos überfüllt, als der Berliner Verleger Christoph Links am gestrigen Abend unter dem Titel „Verramscht?“ seine soeben im eigenen Verlag erschienene Untersuchung über „Das Schicksal der DDR-Verlage nach 1990“ vorstellte. Der Ort der Debatte über die Privatisierung und ihre Konsequenzen hätte nicht besser gewählt sein können: Ein Großteil der ehemals 78 staatlich lizensierten Verlage der DDR waren in der Ex-Buchstadt beheimatet, viele der Zuhörer haben das, was hier aus dem historischen Abstand von fast 20 Jahren verhandelt wurde, selbst miterlebt, erlitten und durchgekämpft. „Heute“, so Links, „existieren in Leipzig noch zwei Verlage mit mehr als 20 Mitarbeitern“. Dass Links auf Einladung des Leipziger Bibliophilenabends nach Leipzig kam, mag man als bittere Pointe auffassen, denn „buchgeschichtlich“, so der Verleger, handele es sich beim Gegenstand seiner Forschungsarbeit „um ein weitgehend abgeschlossenes Sammelgebiet“. Ganze acht ehemalige DDR-Verlage hätten bis heute ohne zwischenzeitliche Insolvenzen aktiv am Markt überlebt; von den ehemals rund 6500 Beschäftigten im DDR-Verlagswesen würden heute weniger als ein Zehntel in der Branche arbeiten. Selbst mit den nach 1990 neu gegründeten Verlagen zusammen betrage der Umsatzanteil der Branche in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) magere 0,9 Prozent.
Links, dessen Erkenntnisinteresse als Sohn des ehemaligen Leiters der Verlagsgruppe Kiepenheuer Roland Links und Ex-Mitarbeiter des Aufbau-Verlags auch biografisch geprägt ist, hat seinen faktenreichen Überblick sowohl aus den zugänglichen Akten wie aus Zeitzeugenbefragungen entwickelt. Dass er bei seinen Gesprächspartnern auf „überraschende Offenheit“ gestoßen sei, erklärt er sich – neben dem Mitteilungswillen der inzwischen zum Teil hoch betagten Akteure - auch mit dem Umstand, dass deren Aussagen angesichts einer zehnjährigen Verjährungsfrist bei Wirtschaftsdelikten heute nicht mehr juristisch zu verwerten sind. Als Ursachen für die seit 1990 erfolgte „strukturelle Verschiebung der deutschen Verlagslandschaft Richtung Westen“, an der, wie Links mit ironischen Seitenhieb auf aktuelle Debatten feststellte, „auch einzelne Umzüge vom Main an die Spree“ nichts ändern könnten, machte der Autor im Wesentlichen drei Komplexe dingfest: Das schwierige Umfeld, in dem sich die mit dem Mauerfall praktisch in die Marktwirtschaft katapultierten DDR-Betriebe befanden, die übereilte und zum Teil chaotisch abgelaufene Privatisierungspolitik der Treuhand sowie das Verhalten der meisten Neueigentümer, das, wie Links maliziös formulierte, „weitgehend von betriebswirtschaftlichen Eigeninteressen“ geprägt gewesen sei. Gerade die von Links dargebotenen, akribisch recherchierten Fallbeispiele für die beiden letzten Thesen muten nicht selten an wie Drehbuchvorlagen für schwarze Kriminalkomödien – was die Tragik für die Betroffenen nicht eben mildert.
Spannend auch viele Ergebnisse, die Links in der Gesamtschau gewinnt: So seien, obwohl sich viele ostdeutsche Verlage selbst nach kompetenten Partnern umgesehen hätten, Kaufangebote gerade aus anderen europäischen Ländern systematisch abgeblockt worden. Mehrheitlich, so Links, „wurde an die direkten Konkurrenten auf dem deutsche Markt verkauft“. Dabei hätten, so der Verleger weiter, gerade die wenigen zum Zuge gekommenen branchenfremden Unternehmer und Institutionen nach 1990 mehr Bücher produziert und Arbeitsplätze erhalten, als die von „Branchenkennern“ aus dem Westen übernommenen. Links’ Fazit: Der De-facto-Abbruch-Ost muss als Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen gewertet werden; mit der Entscheidung, die gesamte DDR-Volkswirtschaft dem Bundesfinanzministerium zuzuschlagen und auf die viel gepriesenen Selbstheilungskräfte des Markts zu hoffen, hätten die Marktteilnehmer getan, was zu tun war: den Markt neu gestaltet. „Unsere Branche“, so Links, „hatte extrem schlechte Karten“ – auch der Börsenverein, der bei der Privatisierung des Buchhandels durch ausdauernde Lobbyarbeit eine Änderung der Treuhandpolitik erreichen konnte, habe hier genuin ostdeutsche Interessen zu wenig unterstützt.
Elmar Faber war es, der sich in der - trotz der im Raum mit Händen zu greifenden Emotionalität - weitgehend sachlich ausgetragenen Diskussion gegen eine vorschnelle Generalverurteilung der Treuhand wandte: „So wie das Volk auf die D-Mark zugelaufen ist, sind viele Autoren und Verlagsmitarbeiter auf die neuen Eigner zugelaufen. Der Vereinigungsdruck war enorm.“ Die Diskussion, die der Berliner Verleger mit seiner Arbeit neu aufgenommen hat, wird uns noch beschäftigen. Viele Spezialthemen blieben in der Diskussion nur angerissen, so etwa Management-buy-outs oder die Fälle der deutsch-deutschen Parallelverlage. Links hin und wieder polemische, jedoch immer spannende Überblicksdarstellung kann die nun anstehenden Einzeluntersuchungen nicht ersetzen. Der Autor, augenzwinkernd: „Wenn wir noch mal zehn Jahre warten – so lange wird die Historische Kommission des Börsenvereins wahrscheinlich brauchen, bis sie bei der DDR-Geschichte angekommen ist – können wir auch die Treuhand-Akten einsehen.“ Bundesdeutsche Akten unterliegen – anders als die der verblichenen DDR – einem 30jährigen Sperrvermerk.