Interview mit Mathias Schreiber

"Die Menschen suchen Geborgenheit in ihrem privaten Schneckenhaus"

10. Dezember 2009
Redaktion Börsenblatt
Was sich aus Glücksbüchern lernen lässt und was nicht und warum Ratgeber so gefragt sind. Ein Interview mit dem Autor von "Das Gold in der Seele. Die Lehren vom Glück" (DVA).Weitere Beiträge zum "Besseren Leben" finden Sie in der aktuellen BÖRSENBLATT-Ausgabe.

Warum gibt es eine derartige Konjunktur von Glücksbüchern?

Mathias Schreiber: Unser Leben war lange geprägt durch die Konkurrenz zweier Systeme – eines Modells, das ausschließlich den sozialen Fortschritt im Auge hatte, und eines anderen, das eher den technischen Fortschritt unter kapitalistischen Voraussetzungen meinte. Das eine ist an Ineffizienz gescheitert, das andere ist durch abenteuerliche Finanzjongleure in eine Krise geraten, die noch andauert. In solchen Umbruchzeiten suchen die Menschen Geborgenheit in ihrem privaten Schneckenhaus. Das war schon in der Antike so: Epikur hat viele Jahre mit anderen Denkern in seinem privaten Garten am Rand von Athen existentielle Fragen wie die nach der Vermeidung von Furcht oder der Bedeutung des Todes diskutiert – und dabei die Turbulenzen der großen Politik fast ganz ignoriert. Die intensive Beschäftigung mit dem Glück hat sicher auch mit einem neuen Hedonismus zu tun. Gerade die Deutschen hatten damit lange Schwierigkeiten, sie mussten, bis dies anders wurde, als pathetische Geschichtsveränderer erst zwei Weltkriege hinter sich bringen. Jetzt erleben wir eine biedermeierliche Phase. Es geht nicht mehr darum, den Rest der Welt zu besiegen oder mit großen Ideologien zu beglücken, man schaut aufs Private.

 

Lässt sich dies private Glück aus Büchern lernen?

Mathias Schreiber: Nein, aber es macht glücklich, wenn man sich, wie Bertrand Russell es empfohlen hat, möglichst „umfassend" für die Welt interessiert, wenn man versucht, ein leidenschaftlich teilnehmender „Bürger des Alls" zu werden. Wer das tut, der liest auch gern Glücksbücher. Das Durchforsten dieser Literatur hat mich nicht unfroher gemacht, im Gegenteil.

 

Sie sind also durch die Arbeit an dem Buch glücklicher geworden?

Mathias Schreiber: Ja, auch gelassener, weil ich gelernt habe, die anderen wissen es auch nicht. Es gibt nicht die eine große Lösung, aber einige sehr vernünftige Vorschläge, wie man glücklicher lebt – von Epikur bis zu Russel oder auch bis zum Buddhismus. Die Gedanken verschiedener Philosophen setzen sich für mich zusammen zu einem Glücksmosaik, wer sie studiert, auch in ihren Widersprüchen, ist geistig so bereichert, dass er auch mit Problemen leichter fertig wird.

 

Aber bleibt nicht die Schwierigkeit, diese Gedanken in praktisches Leben zu überführen?

Mathias Schreiber: Es geht immer nur darum, etwas glücklicher und nicht absolut glücklich zu sein. Das endgültige Glück gibt es nur im Himmel.

 

Der Ratgeberliteratur mit ihren Handlungsanweisungen trauen sie praktische Hilfestellung eher nicht zu ...

Mathias Schreiber: Nein, denn nach Ansicht der Forschung ändern Menschen ihr Verhalten im erwachsenen Alter maximal zu 20 Prozent; 80 Prozent bleiben konstant, daran scheitern ja alle Revolutionen, die einen neuen Menschen erzwingen wollen. Der durchschnittliche Ratgebertitel empfiehlt: »Du musst umkehren!« Und man denkt: »Ja, ja, ich muss verzichten lernen, mehr laufen, gelassener werden.« Und nach drei Monaten ist man wieder der Alte und kauft sich den nächsten, hoffentlich besseren Ratgeber – weil sie also nicht wirklich helfen, gehen diese Bücher so gut.

 

Die Leute haben es eben gern bequem ...

Mathias Schreiber: Ja, aber ich glaube, ein relativ anspruchsvolles Buch ernsthaft durchzuarbeiten, ist ein Teil der Arbeit am Selbst. Wenn man Empfehlungen liest und sie nicht befolgt, ist es natürlich schlecht, aber deswegen war es noch kein Fehler, sie gelesen zu haben. Das buddhistische Gebot täglicher „Achtsamkeit" auf die vielen kleinen Dinge des Lebens verändert unseren Blick auf die Welt, selbst wenn wir diese Achtsamkeit nicht wirklich zustande bringen.

 

Sind die Menschen, die kluge Bücher übers Glück geschrieben haben, glücklich gewesen?

Mathias Schreiber: Ob das Leben insgesamt gelungen ist, kann man erst im Nachhinein feststellen. Und wir haben oft keine Memoiren dieser Leute. Jemand wie Epikur war zumindest nach den Aussagen seiner Schüler ein zufriedener Mensch. Russell hat mit 80 Jahren zum vierten Mal geheiratet und erst diese Ehe glücklich genannt.

 

Ist nicht der wahrhaft Zufriedene einer, der über sein Glücklichsein, weil es ihm natürlich ist, gar nicht weiter nachdenkt?

Mathias Schreiber: Dies sozusagen naive Glück ist ein schicksalhaftes Geschenk, wohl auch genetisch bedingt. Wer weniger begünstigt ist als diese Natur-Glücklichen, der ist auf's Nachdenken nun mal angewiesen.

 

Was hat den Anstoß gegeben zu Ihrem Buch?

Mathias Schreiber: Nach dem Fall der Mauer hat der damalige Berliner Bürgermeister Walter Momper einen für deutsche Verhältnisse mutigen Satz gesagt: Die Deutschen seien »das glücklichste Volk der Erde.« Das hat mich nicht mehr losgelassen seit der Wende. Auch die Frage, warum sich die Deutschen bis heute so schwer damit tun; die spontane Freude war ja schnell vorüber.

 

Aber so schwer tun sie sich offenbar gar nicht mehr: Sie zitieren eine Umfrage, nach der 24 Prozent der Deutschen sich als sehr glücklich und noch einmal 58 Prozent sich als „ziemlich glücklich" bezeichnen. Ist solchen Zahlen zu trauen?

Mathias Schreiber: Die Umfrage von 2007 wurde ja 2009 wiederholt, mit sehr ähnlichen Resultaten. Im Wesentlichen geht es ja dabei um die Frage, ob man mit seiner Lebensführung einverstanden ist – und bei der Antwort spielt gewiss auch der Wunsch eine Rolle, im Prinzip alles richtig gemacht zu haben, auch wenn einzelne Dinge schief gegangen sind. Und vergessen wir nicht: Trotz aller Probleme ist Deutschland eines der wohlhabendsten Länder der Erde, insofern ist die Voraussetzung dafür, dass Leute, die hier leben, nicht total unglücklich sind, gut. Die sehr Glücklichen, die haben sich vielleicht gerade verliebt, ein Kind gezeugt oder einen Job bekommen.

 

Und wie ist Ihre Antwort?

Mathias Schreiber: Ich würde mich zu den ziemlich Glücklichen zählen. Ich betrachte mein bisheriges Leben als recht gelungen, aber es gibt immer dunkle Dinge, die man nicht in der Hand hat und die man nicht loswird, auch wenn man es möchte.