Richard Wolff: Gelungen ist sehr relativ! Ich beobachte Unternehmen, die mit einer Belegschaft von 200 Mitarbeitern - warum auch immer – umziehen. Die 50 Prozent motivierten und entschlossenen folgen dem Unternehmen, 30 Prozent bleiben schlicht auf der Strecke und könnten durch frische Kollegen ersetzt werden und 20 Prozent stehen letztlich weniger auf der Payroll. Wenn die Kollateralschäden in einem vermeintlich kalkulierbarem Rahmen bleiben, kann das schon als Erfolg beschrieben werden – wenn auch sicherlich mit viel schöneren Formulierungen.
Doch viele Unternehmen denken schon sehr anders:
Der Umzug ist Teil einer angestrebten Veränderung um das Unternehmen zukunftsfähiger zu machen. Ein Investition von Ressourcen in neue Arbeitsformen, Organisationsstrukturen und eine effektivere Kultur. Die neuen Büros sind Ausdruck und Abbild einer Wunschkultur und der Weg dorthin Modell für den Wandlungsprozess überhaupt. Der Umzug wird als Lackmustest für die Führungsmannschaft gewertet und nicht als erzwungene Bewegung der Schreibtische durch (externe) Männer in blauen Anzügen, die Ihre Anweisungen auf einem Projektplan finden.
Wenn es um eine neue Welt des Arbeitens geht und der Umzug als Chance genutzt wird, verstaubte Stühle und unpraktische Prozesse durch modernes Arbeitsumfeld, Technik und effektives Zusammenarbeiten zu ersetzen, dann entsteht Nutzen. Bindet man die Mitarbeiter in diesen Prozess effektiv ein, macht man die Führung für die Erreichung der Ziele verantwortlich und misst sich das Management schließlich transparent und konsequent an den Ergebnissen, dann ist das für mich ein gutes Beispiel.
Prozesse verschlanken, Kosten senken welche Ziele verfolgen Unternehmen mit einem Umzug?
Wolff: Die Analyse von Kosten, sozialen, technologischen, politischen Trends, vermuteter Nutzen über Synergien und Standortimage, bestimmen die Arbeitswelt von morgen.
Welche erfolgskritischen Größen müssen verbessert werden – Wachstums- oder Sparkurs, Infrastruktur oder andere Arbeitsprozesse, Merger oder Verselbstständigung? Reduktion der real estate Kosten um 30 Prozent ?
Erhöhung der Produktivität und Leistung - Reduktion der internen operativen Kosten?
Reduktion der Mitarbeiter um 30 Prozent - anziehen und halten der besten Mitarbeiter als attraktiver Arbeitgeber in der Branche?
Zentralisierung und Kostenersparnis durch Shared Services?
Outsourcing von bestimmten Leistungen in der Anpassung der Organisation?
Alles Fragen, auf die die Strategie des Unternehmens und des Unternehmers Antworten geben sollte und durch die ein Umzug ggf. begründet werden könnte.
Oft ist die Zukunft, für die sich eine Organisation mit einer neuen Standortwahl entscheidet jedoch lange nicht so nachhaltig durchdacht, wie reflektierte Beobachter unterstellen würden. Mietverträge, Mitbewerberentscheidungen, persönliche Vorlieben des Managements, Mitarbeiterreduktion, die Hoffnung auf damit leicht gemachte Umorganisation und einfach das Zusammenbringen, was vermeintlich zusammen gehört, ist in der Regel Grund genug – und so kann es ja auch sein...
Was sind die Erfolgskriterien für eine gelungene Verbindung von Change und Umzug?
Wolff: Schlechte Beispiele gibt es leider als gute. Lassen Sie es mich daher kritisch formulieren:
- Keine sichtbare, nicht einmal unsichtbare Verknüpfung und damit konsequente und nachvollziehbare Umsetzung der aktuellen Strategie des Unternehmens. Dilettantische Kommunikationsstrategie, damit keine Akzeptanz und Verständnis in der Belegschaft – kein überfunktionales Alignment, wie man so schön sagt – keine Vermittlung der Visionen und Ziele dieser Anstrengung.
- Führungsmannschaft ohne Strahlkraft und Commitment für das neue Konzept. Inkongruenz und damit fehlende Glaubwürdigkeit des Top-Managements – löst mehr Skepsis als Enthusiasmus aus.
- Qualität der operativen Führungsebene – mangelndes Motivationsverhalten, selbst kein Modell für Veränderungswillen, schlechte führungshandwerkliche Grundlagen für Konflikt-, Motivations- ,Trennungsgespräche, Leitung von Workshops mit den Mitarbeitern, zu allem Überfluss auch keine externe Hilfestellung und Unterstützung für die Führungskräfte.
- Fehlende, ganz praktische Vorgaben zur neuen Welt an denen deutlich wird, das der Umzug und der neue Arbeitskontext eine wirkliche strategische, unternehmenserfolgsrelevante Veränderung ist und wenig dem Zufall oder ausgetretenen Gewohnheiten überlassen wird: (A-Z: Adresse, Arbeitsplatzausstattung, Arbeitsschutz, Archiv, Aufbewahrung, Beleuchtung, Berücksichtigung schwerbehinderter Mitarbeiter, Besprechungsräume, Büroflächen, Desksharing, Drucker, Erfahrungen anderer Mitarbeiter, Fahrrad , Farben ,Fenster, Feiern, Garderobe, Grünpflanzen, Ausstattung, Klima, Kommunikationstechnologie, Kopierer, Kantine, Lüftung, „Mecker-Freitag“, Meeting-Kultur, offene Bürowelten, öffentliche Verkehrsmittel, Parken, Platzwahl, Rauchen, Schallschutz, Steharbeitsplätze, Teeküche, Think Tanks, Umbau, Umgebung, Umweltschutz, Umzug, Verhaltensrichtlinien für die neuen Bürowelten, Welcome-Package, Zusammenarbeiten)
- Konfliktmanagement und das konstruktive Streiten um den besten Weg – aus den Fehlern lernen können und flexibles Reagieren auf Probleme.
- Keine modernen bzw. bedarfsorientierten Arbeitsplatzkonzepte: Home Office, Desksharing, alternative Formen von Arbeitsumgebungen, work-life-balance, Alles in allem: kein professionelles Change Konzept – hoher Verlust an Identifikation und Leistung, damit hohe Kosten – verschenkte Chancen.
Wie schafft man es, seine Mitarbeiter von der Notwendigkeit des Umzugs zu überzeugen?
Bei allen Veränderungsprozessen ist es wichtig, dass Akzeptanz, Verständnis und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung und damit das Finden eines individuellen Standpunktes des betroffenen Mitarbeiters durch eine professionelle Kommunikation möglich zu machen.
- Was ist der Nutzen für das Unternehmen und wird „Leidensdruck“ durch den Umzug behoben?
- Argumente dafür und dagegen, offenen Diskussion in geeigneten Foren. Klare Entscheidung des Managements, nachvollziehbar, reflektiert unter angemessener Einbindung der Mitarbeiten unter professioneller Moderation und funktionierenden Veranstaltungsformaten.
- Vision der neuen Welt: Was wird erwartet, wie wollen wir diese Zukunft managen, was wird aus den Verlierern?
- Persönliche Statement der Schlüsselpersonen im Verlag zu Fragen wie: Warum Umzug? Was macht die neue Bürowelt aus? Was bedeutet das für den einzelnen Mitarbeiter? Woran wollen wir (Führungskräfte) in diesem Prozess messen lassen?
- Transparenz, Ehrlichkeit und Klarheit sind die Erfolgsfaktoren – mit einer Führungsmannschaft, die für diese Werte steht. Nicht alle kann man überzeugen, aber eine kritische Masse muss sein.
Dreimal umziehen ist wie einmal abgebrannt - wie oft können sich Unternehmen neu erfinden, ohne dass ständige Veränderungsprozesse schaden? Bzw. wie lange brauchen Unternehmen, bis sie sich von einem Umzug erholt haben.
Wolff: Wandel heißt - Gott sei Dank- nicht immer Umzug. Mein erster Gedanke sind dabei die Ängste der Mitarbeiter, die mit ihrer Familie ihren Lebensmittelpunkt neu verorten müssen und sich mit dieser "Gefahr“ alle drei Jahre wieder auseinandersetzen zu sollen. Es gibt eine Reihe von großen Organisationen, in denen das wie selbstverständlich zur Karriere gehört.
Jedoch: Nichts ist so beständig wie der Wandel - in guten wie in schlechten Zeiten. Denn auch wer weiter wachsen will, muss sich immer wieder neu aufstellen. Genau wie eine Organisation, die in Schieflage geraten ist. Ein scharfer Blick und klare Analysen sind nötig, um immer wieder Struktur in Unternehmen zu bringen. Entschlossenheit und Durchhaltevermögen sind gefragt, um neue Wege einzuschlagen und weiter zu gehen. Und gewachsene Strukturen - wo nötig - immer wieder zu überdenken.
Drastische Veränderungen bedeuten immer einen vorübergehenden Verlust von Leistung. Wie viel Zeit in diesem Tal verbracht wird ist eine Frage der Qualität des Veränderungsprozesses.
Richard Wolff
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