Welche Vorteile bringt es, die Vielfalt durch zusätzliche Label zu bereichern, anstatt sich auf den Ausbau eines Verlagsprogramms zu konzentrieren?
Oehme: Ich sehe zwei Vorteile: Einmal lassen sich die Programme klarer strukturieren und voneinander abheben. Zum anderen bieten wir dem Handel sichtbar mehr aus einer Hand. Dabei bleibt der Eulenspiegel Verlag unser Hauptlabel und unsere Domäne für den Absatz ist wie bisher der Osten. Hier verkaufen wir noch immer rund 80 Prozent unserer Titel. Doch unser Ziel besteht darin, auch in den westlichen Bundesländern deutlich zuzulegen. Wir wollen also durch diese Programmerweiterungen auch unsere Vertriebskraft verstärken.
Lesern im Osten sind mehrere der Label aus der DDR vertraut …
Oehme: Ja, das spielt eine große Rolle für uns. Ich meine, mit den Programmen von Eulenspiegel und Das Neue Berlin konnten wir erfolgreich auf die Erinnerung an diese Verlagsprogramme setzen und auch neue Erwartungen erfüllen, die damit verbunden sind. Mit Neues Leben ist das noch nicht gelungen.
Der neue Eulenspiegel Kinderbuchverlag präsentiert bisher ausschließlich DDR-Klassiker. Wird es auch Novitäten geben?
Oehme: Auch hier knüpfen wir zunächst an Vorhandenes an. Das sind vornehmlich Klassiker der DDR-Kinderliteratur und Kinderbücher von Peter Hacks, die verstreut bei Eulenspiegel erschienen sind. Da es hier nicht besonders viele Substanzen gibt, nehmen wir auch Neuauflagen bekannter Titel auch aus nicht mehr bestehenden DDR-Verlagen hinzu, außerdem einige gezielt entwickelte Novitäten. Das Programm soll aus acht bis zehn Titeln pro Jahr bestehen.
Nach welchen Kriterien wählen Sie aus?
Oehme: Die DDR-Literatur sollte ihrem moralischen Anspruch nach ja immer friedliebend und völkerverbindend sein. Und das sind wohl Werte, die weiterhin gelten. Wir werden also sicher keine Pionier-Lehrbücher veröffentlichen. Aber eine Auswahl im Sinne einer ideologischen Zensur findet nicht statt. Zu den besonderen Qualitäten des DDR-Kinderbuchs gehörte die ästhetische Einheit von Bild und Text. Zusammen mit positiven Erinnerungswerten daran ist das für die Auswahl entscheidend.
Welche Marktchancen sehen Sie dafür in den alten Bundesländern?
Oehme: Viele DDR-Kinderbuch-Klassiker der frühen Jahre sind auch in der alten Bundesrepublik erschienen und heute nicht unbekannt. Das spüren wir beim Absatz unseres bisherigen Programms. Ich hoffe, dass das nachwirkt. Es kommt sicher auf die richtige Auswahl an.
Als eigenständiges Label wird jetzt auch der Aurora Verlag für Kunst und Wissenschaft geführt. Soll das Programm allein dem Werk von Peter Hacks gewidmet sein?
Oehme: Darin sollen kommentierte wissenschaftliche Ausgaben erscheinen, die bisher ja nicht vorliegen, in erster Linie aber Sekundärliteratur. Wir gehen davon aus, dass die Beschäftigung mit seinem Werk zunimmt. Die Theaterstücke von Hacks sind Gegenstand in der Hochschulausbildung, seine Lieder und Gedichte sind in den Schulbüchern präsent. Doch das Programm soll künftig nicht allein auf dieses Werk ausrichtet sein, sondern auch Kunst und Wissenschaft aus dem Umfeld einbeziehen.
Seit 1. Januar gehört auch der Postkarten- und Kalenderverlag Bild und Heimat aus dem Vogtland zur Verlagsgruppe, der in der DDR einen guten Namen hatte und bislang zum Leipziger Druckhaus Offizin Andersen Nexö gehörte. Ist das der Einstieg in die Regionalliteratur?
Oehme: Das ist der zweite Schritt, den wir gehen wollen. Zunächst wird das vorhandene Kalender- und Postkartenprogramm ausgebaut. Es gibt sieben neue Kalender, darunter einen in Medienkooperation mit der SUPERillu. Die Verlagsmannschaft bleibt unverändert in Reichenbach im Vogtland, nur Vertrieb und Marketing liegt in Berlin. Für den Buchhandel wie für Nebenmärkte haben wir das Vertreternetz ausgebaut. Inhaltlich geht es uns auch um die Auswertung der einzigartigen Bildarchive des Verlags. Dort liegen hunderttausende Fotodokumente zur ostdeutschen Landschaft, zum Städtebau oder zum Alltagsleben der letzten 50 Jahre. Aber wir wollen auch Bücher produzieren. Bisher gab es Regionalia nur verstreut in der Verlagsgruppe, meist bezogen auf Berlin.
Ganz frisch ist auch eine Vertriebskooperation der Eulenspiegelgruppe mit dem Verlagsneuling Allpart Media. Was ist das Ziel?
Oehme: Der Verleger Thomas Schneider hat Allpart als Verlag gegründet, der „Lesefutter für die ganze Familie“ anbietet. Wir sind eingestiegen, um für das klassische Jugend- und Abenteuerbuch, das wir über unseren Verlag Neues Leben nicht ausreichend absetzen können, einen weiteren Vertriebskanal zu öffnen. Das sind Titel von Robert Stevenson bis Jules Vernes, die wir einbringen. Wir werden dazu das Programm von Allpart Media mit in unseren Vertrieb für den Buchhandel nehmen.
Bestehen auch personelle Verlinkungen mit dem Verlag in dieser Vertriebskooperation?
Oehme: Ja, in der Vertriebskooperation gibt es diese Verbindung, ich bin Mitgesellschafter und unsere Geschäftsführerin Jacqueline Kühne ist auch dort kaufmännisch leitend tätig. Wir nutzen die Potenzen der Verlagsgruppe auch im herstellerischen und kaufmännischen Bereich.
Sind weitere Partnerschaften oder Programmerweiterungen vorgesehen?
Oehme: Konkrete Pläne gibt es nicht, aber wir wollen das Verhältnis der Vertriebsgebiete ausgewogener gestalten. So ist vorstellbar, dass das Programm von Bild und Heimat durch selbst entwickelte Originaltitel auch auf andere bundesdeutsche Regionen ausgerichtet wird. Der Verlag hat derzeit eine Reihe fremder Kalenderverlage mit im Vertrieb.