Interview zur APE-Konferenz

"Content bleibt der Kern der verlegerischen Wertschöpfung"

21. Januar 2010
Redaktion Börsenblatt
Wie arbeiten Verlage in zehn oder 20 Jahren? Der Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinoldt wagt auf der Konferenz Academic Publishing in Europe (APE) mit dem Future Lab einen Blick auf das wissenschaftliche Publizieren von morgen. Boersenblatt.net hat mit ihm gesprochen.
Stellen sich die deutschen Wissenschaftsverlage der digitalen Zukunft?

Heinold: Unbedingt. Es gibt Bereiche, die sehr weit vorne sind, andere arbeiten noch traditionell. Das liegt nicht sosehr an der mangelnden Innovationskraft der Verlage, sondern eher an den Märkten, in denen sie tätig sind. Man muss den STM-Bereich, die Gesellschaftswissenschaften und die Geisteswissenschaften klar voneinander unterscheiden. In den Geisteswissenschaften spielt die gedruckte Monographie immer noch eine sehr große Rolle, während sich in der Physik sogar der Aufsatz in einzelne Daten aufzulösen beginnt. Dort ist man stark daran interessiert, unabhängig von der Form so frühzeitig wie möglich Forschungsergebnisse zu publizieren.

Kann man denn heute schon sagen, wie Publikationen in zehn oder 20 Jahren aussehen werden?

Heinold: Es gibt eindeutige Tendenzen: Bei der Nutzung von wissenschaftlichen Informationen – vor allem durch Studenten und Wissenschaftler – geht die Richtung ins Digitale. Im STM-Markt werden wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher elektronisch genutzt – als E-Journal und E-Book. Eine Sonderstellung hat schon aus didaktischen Gründen das Lehrbuch. Aber die Entwicklung könnte noch weitergehen – in dem Sinne, dass sich Dokumente in der klassischen Form überhaupt auflösen. Unter dem Stichwort „Living Documents“ wird schon lange darüber diskutiert, ob es den klassischen Aufsatz künftig noch geben wird. Vielleicht haben wir es mit PDF-Dokumenten oder HTML-Dokumenten zu tun, die in eine Community eingebettet sind und von der Community kommentiert werden – ein lebendes Dokument, in dem sich Daten ständig erneuern können.

Wird das Internet noch eine wesentlich wichtigere Rolle spielen – auch mit den Mitteln der Echtzeitkommunikation?

Heinold: Ja. Elsevier hat beispielsweise die Plattform 2collab aufgesetzt. Es gibt kleine wissenschaftliche Communitys, die ihre Produktion bis hin zum Peer Reviewing auf diese Weise organisieren.

Müssen sich Verlage von ihrem überlieferten Rollenbild verabschieden?

Heinold: Nur bedingt. Auch Open Access-Befürworter haben inzwischen verstanden, dass Publizieren ein komplexer Prozess ist, der Geld kostet, der technisch und organisatorisch anspruchsvoll ist. Da stellen sich Fragen: Wer wird diesen Prozess künftig am besten managen? Und wer wird was dafür bezahlen? Ich bin davon überzeugt, dass die Verlage weiterhin die Rolle des effizienten Managers des gesamten Publikationsprozesses behalten, zumal sie auch die Kunden- und Nutzerperspektive einbringen, die beim Open Access-Modell fehlt. Ich glaube aber nicht, dass die Entlohnung immer nach dem klassischen Modell funktionieren wird. Es wird zum Teil dahin gehen, dass Verlage für Services bezahlt werden. In Ansätzen sieht man das heute schon im klassischen Dissertationsdruck. Ich zahle als Autor dafür, dass ich eine Veröffentlichung bekomme. Das ist eine Dienstleistung, weniger eine verlegerische Leistung. Im großen Maßstab heißt das, dass ein großer wissenschaftlicher Verlag diese Dienstleistungen erbringen könnte. In diese Richtung geht auch der Vertrag, den Springer Science + Business Media mit der Max-Planck-Gesellschaft abgeschlossen hat. Da ist Open Access als Dienstleistung integriert.

Was ändert sich künftig für die Bibliotheken?

Heinold: Bibliotheken haben traditionell zwei Aufgaben: Archivieren und Bereitstellen. Doch wenn jetzt die Deutsche Digitale Bibliothek aufgebaut wird, welche Rolle spielen Bibliotheken dann noch in der Archivierung? Muss jede Bibliothek ein digitales Archiv aufbauen– oder reicht ein zentrales Archiv für alle? Ähnliches gilt für die Bereitstellung: Viele Studenten suchen ihre komplette Literatur über Google und leihen sie in der Bibliothek aus. Wenn es künftig einen direkten Link zu einer elektronischen Buchsammlung gibt, braucht man die Bibliothek gar nicht mehr (oder nur noch als Back Office).

Die Bibliothekare müssen sich also neu erfinden …

Heinold: Ja, es kommt noch eine Komponente hinzu, die früher gar nicht interessiert hat: das Thema Nutzung. Früher gab es einen möglichst universalen Sammelauftrag. Heute müssen sich alle Bibliotheken fragen: Was brauche ich eigentlich noch? Da gibt es elektronische Messinstrumente, die den tatsächlichen Nutzungsbedarf genauer erfassen als alles, was es bisher gab. Die Bibliotheken werden sich zudem weiter vernetzen. Bibliotheken können auch digitale Inhalte austauschen oder auf dem Wege einer Konsortiallizenz nutzen.

Wird das Internet als Suchmedium für bibliographische Information und Inhalte im Zuge des Semantic Web noch wichtiger?

Heinold:
Es gibt ja schon das mit vielen Millionen Euro geförderte Vascoda-Projekt – eine Suchmaschine für wissenschaftliche Veröffentlichungen. Trotz aller Probleme, die Vascoda hat, funktioniert es besser als Google. Es konsolidiert Bibliothekskataloge. Die Nutzungsfrequenz von Vascoda ist allerdings immer noch bescheiden.

Werden Verlage in zehn oder 20 Jahren überhaupt noch mit Content Geld verdienen?

Heinold: Content wird immer den Kern der verlegerischen Wertschöpfung bilden. Aber es wird nicht nur Content sein, der gekauft wird, sondern auch der Service.

Siehe PaperC …

Heinold: PaperC ist ein servicebasiertes Geschäftsmodell. Da ist der Content frei – ebenso wie der Content für den Studenten in der Bibliothek frei ist. Sobald ich die Inhalte aber nutzen will, muss ich dafür zahlen. PaperC ist ein Blick in die Zukunft.