Preisbindung

"Bei der Verfolgung falscher Preise ist Augenmaß gefragt"

28. Januar 2010
Redaktion Börsenblatt
Die Buchhandlung Schopf aus Brunsbüttel hat vor dem Landgericht Hamburg ein Urteil gegen fehlerhafte Preise bei Amazon erstritten. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über einen Sieg, der für die Branche auch Probleme mit sich bringen kann.

Stimmt es, dass der Börsenverein mit dem Prozess des Mitgliedsbuchhändlers Wienecke gegen das Nichtmitglied Amazon nicht glücklich ist?
Sprang: Was den generellen Punkt der Verbesserung der Preisdatenqualität bei Amazon betrifft, konnte und kann man der Initiative von Herrn Wienecke und der Genossenschaft ebuch nur applaudieren. Es bestand nie ein Zweifel, dass das eine notwendige Sache ist, und es hat sich als wichtig erwiesen, dass nicht nur Börsenverein und Preisbindungstreuhänder - die gegen Amazon z.B. die Verhängung einer 10.000 Euro-Buße für einen gravierenden vorsätzlichen Preisbindungsverstoß mit einem "Biss"-Titel durchgesetzt haben - in diese Richtung agiert haben. Wir halten allerdings die von Wienecke und ebuch für diesen Zweck gewählten juristischen Mittel für sehr problematisch.


Warum?

Sprang: Dies hängt damit zusammen, dass es unmöglich ist, zu hundert Prozent richtige Preise gebundener Bücher in Datenbanken sicherzustellen. Eine falsche Preismeldung eines Verlags, ein Vertipper bei der Katalogaufnahme, eine Serverschwäche bei der Übernahme einer ONIX-Meldung mit Preisänderungen - und schon ist ein Verstoß gegen das Buchpreisbindungsgesetz begangen, ohne dass eine echte Vorwerfbarkeit gegeben wäre. Diese Tatsache muss der Ausgangspunkt bei der Verfolgung von falschen Preisen in Online-Buchhandlungen sein. Hier ist Augenmaß gefragt, um den Umständen des Einzelfalls gerecht werden zu können. An diesem Augenmaß hat es nach unserer Auffassung bei dem Hamburger Prozess gefehlt.


Welche Risiken befürchten Sie denn?

Sprang: Wenn aufgrund der Entscheidung Abmahnanwälte - und solche Versuche gab es leider bereits - wegen 4 Cent-Abweichung bei einem C-Titel dreißig 600 Euro-Abmahnungen an online-Kunden eines Barsortiments versenden, dann werden es insbesondere die kleinen Anbieter sein, die das nicht lange durchstehen können. Auch liegt die Gefahr nahe, dass durch ein Ping-Pong von Abmahnungen und Gegenabmahnungen das ganze Preisbindungssystem auf den Kopf gestellt wird. So hatte Amazon zwischendurch ja schon einmal den Spieß umgedreht und faktisch die vorübergehende Abschaltung des Online-Auftritts einer abmahnenden Buchhändlerin erzwungen. Wir favorisieren daher den Weg, bei derartigen Preisbindungsverstößen von dem Betreffenden konkrete Maßnahmen für nachhaltige Verbesserungen einzufordern. Diese Strategie hat zum Beispiel im Fall Amazon bereits zu signifikanten Verbesserungen der Datenbankqualität geführt.


…und welche sind das?

Sprang: Amazon hat inzwischen automatische Preisabgleiche mit dem VLB eingeführt und deren Ergebnisse übernommen, einen Notifizierungsbutton für die Meldung falscher Preise auf seine Website gesetzt und durch sein Gesamtverhalten bewiesen, dass man sich ernstlich und erfolgreich um durchgreifende Verbesserungen der Preisdatenbank bemühte. Das klare Verdienst von Herrn Wienecke daran liegt übrigens darin, Amazon Systemfehler und damit ein Organisationsverschulden nachgewiesen zu haben. Diese Systemfehler sind mittlerweile weitgehend abgestellt worden.


Soll der Buchhandel denn dulden, dass Amazon ihm mit falschen Preisen Kunden abzieht?
Sprang: Grundsätzlich sollte ein Buchhändler überhaupt keinen Preisfehler seiner Mitbewerber durchgehen lassen, und erst recht keinen von Amazon. Deswegen gehen die Rechtsabteilung des Börsenvereins und die Preisbindungstreuhänder ja auch Jahr für Jahr tausenden solcher Fälle bei Verlagen und Buchhandlungen bzw. sonstigen gewerblichen Anbietern nach. Bei der Sanktionierung differenzieren wir allerdings: Haben vierhundert Barsortimentskunden mal einen falschen Preis für ein Buch, weil ein Verlag erstmals vergessen hat, eine Preiserhöhung einheitlich korrekt weiterzugeben, dann muss es keine Abmahnung sein, weder gegen die Händler noch gegen das Barsortiment oder den Verlag. Verschafft sich hingegen ein bestimmter Händler bei einem relevanten Titel bewusst einen Wettbewerbsvorsprung durch Gesetzesbruch, dann sollte beim Sozialwerk schon die Kasse klingeln.


Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen: Haben Sie Verständnis für solche Vorwürfe?
Sprang: Natürlich sehe ich, dass dieser Eindruck entstehen kann und hoffe sehr, Inhalte und Vorteile unserer Strategie hier noch einmal verdeutlichen zu können. Uns geht es darum, in Sachen Preisbindung langfristig für die Branche das Bestmögliche zu erreichen. Die mit uns eng zusammen arbeitenden Preisbindungstreuhänder haben die Gefahren für die Preisbindung durch das Aufkommen der Internet-Marktplätze bereits früh erkannt und Preisbindungsverstöße von Anfang an konsequent verfolgt. Heute wird ihnen gleichzeitig vorgeworfen, zu viel und zu wenig tun. Dabei haben die Treuhänder wichtige Grundsatzurteile gegen Amazon und andere erstritten und eine Vielzahl von Unterlassungserklärungen durch Amazon und andere durchgesetzt.

Die weitaus meisten Abmahnungen ergehen übrigens gegen branchenfremde Unternehmen und Personen. Unterschieden wird dabei nicht nach Größe oder Mitgliedschaft im Börsenverein, sondern danach, ob sich beim Händler Datenbankfehler Dritter ausgewirkt haben. Nur in diesem Fall belassen es die Preisbindungstreuhänder bei der Aufforderung, den falschen Preis zu berichtigen, das ist bei Amazon nicht anders als bei kleinen Buchhändlern. Die Rechtsabteilung des Börsenvereins stellt sich in jedem einzelnen Fall einer Abmahnung durch die Preisbindungstreuhänder der Diskussion mit den betroffenen Mitgliedern. Meine daraus gewonnene Erfahrung ist die, dass wir nur in einer vernachlässigbaren Anzahl von Fällen entschieden haben, Sanktionen zu reduzieren, weil uns zunächst nicht ersichtliche Sachverhaltselemente bekannt wurden.


Müsste Amazon seine Probleme nicht alleine lösen?
Sprang: Wir müssen hier differenzieren zwischen einer Lösung individueller Probleme von Amazon, die der Börsenverein weder beabsichtigt noch je mit eigenen Mitteln unterstützen würde, und der Erhöhung der Datenrichtigkeit bei den verschiedenen Katalogen preisgebundener Bücher, die ein Branchenanliegen ist. Es ist zwar richtig, dass das VLB die Kosten für den ersten großen Preisabgleich mit Amazon im Herbst nicht weiterbelastet hat. Dies bezog sich aber nur auf diesen Testlauf, dessen Verbesserungspotential im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht absehbar war, während für die im Erfolgsfall in der Endstufe vorgesehenen täglichen Datenbankabgleiche eine angemessene Kostenregelung selbstverständlich ist.

Übrigens gleicht das VLB seine Preise regelmäßig mit Libri, Umbreit und Thalia ab und belastet dort die entstehenden Kosten von vorneherein nicht weiter. Das hat damit zu tun, dass man letztlich mit derlei Abgleichen einen Service gegenüber den Datenmeldern, d.h. den Verlagen, erbringt, auf die nun einmal 95 Prozent der falschen Preise zurückgehen. Die Abgleiche zeigen im Übrigen, dass in allen Katalogen etwa derselbe Anteil falscher Preise existiert. Deshalb kann nur die aktive Rückfrage beim Verlag Aufklärung bringen, wie sie Standard beim VLB ist. Obwohl die Fehlerhäufigkeit des VLB bei barsortimentsgängigen Titeln nur etwa 0,4 Prozent beträgt - bei den kompletten 1,2 Millionen Titeln einschließlich der Artikel mit unverbindlichen Preisempfehlungen sind es 0,6 Prozent -, wird bei jedem Abgleich eine große Zahl solcher Rückfragen nötig. Wenn Sie dann zusätzlich in jedem Einzelfall noch ermitteln wollen, ob der Fehler vom Verlag oder vom Barsortiment bzw. Online-Händler oder beim VLB selbst verursacht wurde, generieren Sie Personalkosten, die in keinem Verhältnis zu dem zu erreichenden Gerechtigkeitsgewinn stehen.


Wie geht es denn jetzt weiter?

Sprang: Da die Hamburger Entscheidung bislang nicht rechtskräftig ist, ist mit ihr auch noch nicht aller Tage Abend: Wir jedenfalls hoffen, dass es noch gelingen wird, den Konflikt in einer Weise beizulegen, die für die ganze Branche befriedigend ist. Wichtig ist, dass wir alle die jetzige Diskussion mit Augenmaß führen. Sonst könnte in der Öffentlichkeit schnell der Eindruck entstehen, das gesamte Buchpreisbindungssystem werde von Datenbankproblemen gefährdet. Dabei sind diese Datenbanken qualitativ mit Abstand das Beste, was sich weltweit im Buchhandel finden lässt.