Urteil zu Preisbindungsverstoß von Amazon / Diskussion um Datenbanken

"Ein Vergleich mit Amazon wäre im Sinne der Sortimenter"

28. Januar 2010
Redaktion Börsenblatt
Das Urteil des Landgerichts Hamburg gegen Amazon wegen falscher Preisangaben im Online-Buchshop scheint das zugrundeliegende Problem – die teilweise ungenügende Qualität der Preisdaten in verschiedenen Datenbanken – nicht gelöst zu haben. Die Rechtsunsicherheit für kleinere Buchhändler bleibt. Interview mit Lorenz Borsche, Generalbevollmächtigter der eBuch.

War die Klage des Buchhändlers und eBuch-Mitglieds Dietrich Wienecke ein Fehler, und hätte man sich nicht von vornherein außergerichtlich mit Amazon einigen können – auch im Interesse vieler kleiner Buchhändler, die mit Abmahnwellen zu kämpfen haben?

Borsche: Die eBuch hat selbst nicht geklagt, aber Herrn Wieneckes Vorstoß "moralisch" unterstützt. Und in der eBuch sind auch Kollegen Mitglied, die vom Preisbindungstreuhänder wegen eines einzigen falschen Preises auf dem Amazon Marketplace mit einer teuren Abmahnung überzogen worden waren – als Mitglied des Börsenvereins, während das Nichtmitglied Amazon trotz zahlloser Verstöße bisher nur selten hat zahlen müssen. Den Unmut kann man sich vorstellen, und auch, dass das Maß voll war, als der Börsenverein dann noch versucht hat, Herrn Wienecke zu bewegen, eine schon erfolgreiche Abmahnung gegen Amazon zurückzuziehen. Darüber hinaus hat Herr Wienecke ständig angeboten sich zu vergleichen – Amazon hat den schon ausgehandelten Vergleich in letzter Minute gekippt.

Das Urteil gegen Amazon ist noch nicht rechtskräftig. Sehen Sie noch Chancen für einen Vergleich?

Borsche: Wir hoffen und beten darum. Und wir bitten die Rechtsabteilung inständig, sich nun endlich auf Herrn Wieneckes Seite und die der Sortimenter zu schlagen, um Amazon zu einem solchen Vergleich zu bewegen. Stattdessen hat die Rechtsabteilung nämlich bislang Herrn Wieneckes Bemühungen um einen solchen Vergleich eher verhindert – leider.

Fühlen Sie sich, jetzt für die eBuch gesprochen, vom Verband in der Sache nicht richtig vertreten?

Borsche: Die eBuch zahlt als Zwischenbuchhändler hohe Jahresbeiträge im Börsenverein. Und in dieser Angelegenheit betreibt der Verband eindeutig Politik gegen die Interessen der Mehrheit seiner zahlenden Mitglieder, der Sortimenter!

Ist es nicht vielmehr so, dass Sie der Branche einen Bärendienst erweisen, indem Sie die Debatte um fehlerhafte Buchpreise in Datenbanken, die prinzipiell nie zu 100 Prozent aus der Welt zu schaffen sind, vor marktfernen Gerichten verhandeln? Laufen wir da nicht allesamt Gefahr, dass die Preisbindung politisch Schaden nimmt?

Borsche: Wenn ein Marktteilnehmer beweisen kann, daß in Deutschland die Preisbindung nur mangelhaft eingehalten wird, dann kann er mit guter Aussicht auf Erfolg dagegen in Brüssel klagen - und diese Befürchtung stammt nicht von mir, sondern aus dem Börsenverein. Der Verband, der in der Leitdatenbank eine Fehlerrate akzeptiert, die zehn- bis 100-mal höher ist als das bei manueller Dokumenterfassung auf dem freien Markt angeboten wird, gefährdet die Preisbindung!

Zumal es so einfach ist, 99,99 Prozent Fehlerfreiheit zu erreichen: Das von uns realisierte Preisradar vergleicht die Preise von Amazon, VLB, Libri und KNV. Und markiert Zeilen, bei denen eine Abweichung auftritt: Wenn zum Beispiel beim Titel "Lucian" von Isabel Abedi, immerhin Platz 33 der aktuellen SPIEGEL-Bestseller-Liste, drei denselben, das VLB aber einen anderen Preis hat. Das VLB bietet dieses Buch derzeit noch 1 Euro zu billig an – und damit auch Dutzende von buchhandel.de-Webshops, die damit akut abmahngefährdet wären. Wir haben diese sehr einfache technische Möglichkeit seit Juli 2009 sowohl amazon wie auch dem Börsenverein angeboten – ohne Erfolg.

Wie bewerten Sie die Preisdatenqualität des VLB – auch im Vergleich zu anderen Datenbanken?

Borsche: Bei unseren ersten Tests mit dem "Preisradar" waren wir über die enorm hohe Fehlerquote doch sehr überrascht. 300 Fehler bei 20.000 im Sortiment normal verkauften und bei den Barsortimenten korrekt gelisteten Titeln, das ist mehr als ein Prozent – deutlich zu viel, denn das ließe bei 800.000 Titeln auf mindestens 8.000 falsche Preise im VLB schließen. Amazon hatte zu dieser Zeit ca. 0,5 Prozent Fehler – auch zu viel. Bei Tests mit längst gültigen Preisänderungen aus der "Gelben Beilage" ergab sich dann noch eine absurd hohe Fehlerquote im VLB und bei Amazon. Nachdem wir das kritisiert hatten, hat Amazon offenbar dazugelernt, es gibt dort kaum noch Abweichungen. Beim VLB beträgt die Fehlerquote aber aktuell immer noch 22 Prozent bei den 130 Meldungen aus der Gelben Beilage, die zum 13.1.2010 gültig geworden sind. Das ist nicht hinnehmbar, denn am VLB hängen einige Internetshops, die mit solchen falschen Preisen akut bedroht sind.

Ist das nicht ein von Ihnen völlig willkürlich gegriffener Wert? Entscheidend sind doch die 0,6 Prozent Fehlerquote über alles, die sich beim Abgleich des VLB mit anderen Datenbanken immer
wieder bestätigt?

Borsche: Wenn die Gelbe Beilage NICHT entscheidend sein soll, warum wird sie dann von den Verlagen teuer bezahlt und regelmäßig mit dem Börsenblatt verschickt? Sind Preisänderungen plötzlich irrelevant, nur weil sich – und das ist der eigentliche Skandal – das VLB im Gegensatz zu allen anderen Markteilnehmern jahrelang die Freiheit herausgenommen hat, die Gelbe Beilage zu ignorieren? Wenn ein DUDEN, der ab 1.1.2010 via Gelbe Seiten mit 29,95 gekennzeichnet wurde, im VLB noch am 18.1.2010 mit 25.- Euro steht, ist das etwa irrelevant?

Leider hat der Verband die Forderung Wieneckes an Amazon, genau diesen Datenabgleich zu realisieren, mit seinem eigenen, untauglichen Abgleichsmodell unterlaufen – woraufhin Amazon den Vergleichsvorschlag abgesagt hat. Das Urteil hätte nicht sein müssen, aber dank der Unterstützung des Verbands hat sich Amazon jedem angebotenen Vergleich entzogen. Schade eigentlich.

Wie könnte die Datenqualität aus Ihrer Sicht weiter verbessert werden?

Borsche: Indem mit einem Tool ähnlich unserem Preisradar alle relevanten Datenbanken permanent miteinander abgeglichen und Auffälligkeiten nachrecherchiert werden. Wenn ich das mit einem Laptop bewerkstelligen kann, warum sollten das nicht alle können?

Sehen Sie Ansätze dafür, dass eBuch, VLB, MVB und Börsenverein die Kuh gemeinsam vom Eis holen?

Borsche: Ja, die Chance sähe ich schon. Allerdings wäre es am Börsenverein, jetzt die entscheidenden Schritte zu tun – wir wären ganz sicher dabei und würden unser Preisradar-Tool im Rahmen eines Vergleiches auch kostenlos zur Verfügung stellen.

Interview: Michael Roesler-Graichen