Interview mit Arnd Roszinsky-Terjung

"Die Großen haben unschätzbare Meriten erworben"

4. Februar 2010
Redaktion Börsenblatt
Der Branchenstratege Arnd Roszinsky-Terjung wird am 10. Februar 60 Jahre alt. Anlass. gemeinsam mit dem Experten einen Blick auf die Entwicklung der Branche zu werfen.

Sie beraten die Branche, vor allem den Buchhandel, seit vielen Jahren. Gibt es Themen, die immer wieder aufschlagen und die Sie die ganze Zeit über begleitet haben?

Roszinsky-Terjung: Auf der Ebene der Branchendiskussion begegnen mir in der Tat seit Jahrzehnten  einige Themen immer wieder neu: Die umstrittene Dreistufigkeit des Verbandes, die Suche nach einem „gerechten Rabatt“ für den Handel, die Klage über mangelnde Solidarität des Handels, der lange Zeit alle Kooperationsversuche ins Leere laufen lief. Franz Hinze, der Nestor der  Branchenberater, belegte diese wiederkehrenden Themen mit dem schönen Begriff der „perennierenden Stauden“: Wenn der Winter vorbei ist, spriessen sie wieder...

Auf der Ebene des Handels gibt es ebenfalls immerwährende Themen. Ich bezeichne sie gern als Mythen; sie liefern leichtverdauliche Erklärungen für zunächst irritierende Phänomene. Zum Beispiel wird gern bemüht, dass die  Großen finanziell aus dem Vollen schöpfen könnten – und die Kunden die „miserable Leistung“ der großen Sortimente nicht durchschauten. Da muss man sich doch auch die Frage gefallen lassen, wie denn die Großen groß geworden sind. Die Großen wie die Kleinen leben letztlich von der Gunst ihrer jeweiligen Kunden. Fakt ist, dass immer mehr Kunden von den Kleinen zu den Großen gewandert sind; ich vermute: aus freien Stücken.  

Wie sehen Sie denn dann die Zukunft des stationären, inhabergeführten Buchhandels? Und miit welchen Rezepten wird dieser erfolgreich sein?


Roszinsky-Terjung: Es gibt – schon seit Jahren – eine scharfe Selektion unter den Buchhandlungen. Etwas grobschlächtig kann man sagen: Die besten der inhabergeführten Firmen wurden wie die Rosinen aus dem Kuchen von den Filialisten herausgepickt. Am anderen Ende der Skala sind die schwächsten Buchhandlungen aus dem Markt verschwunden. Die verbliebenen sortieren sich gerade neu: Der Strukturwandel hat den Markt insgesamt verändert, aber die Kriterien für Aufstieg oder Fall eines Unternehmens sind die gleichen geblieben.

Der erfolgsbestimmende Schlüssel ist die Attraktivität der Gesamtleistung in den Augen der Kunden. Gemäß diesem Schlüssel entwickeln sich  nun wieder Aufsteiger genauso wie Absteiger. Konkret sehe ich nach wie vor blendende Chancen für Buchhandlungen in der Kategorie von vielleicht 200 Quadratmetern, die sich als eine Insel der Inspiration zwischen den Schlecker- und Kamps-Filialen dieser Welt positionieren. Man kann die Vorleistungen des Zwischenbuchhandels  für eine moderne, radikal kundenorientierte Form des Buchhandels heute gar nicht hoch genug einschätzen. Auch wenn einerseits gilt, dass der Wettbewerb des Handels untereinander extrem zugenommen hat, so sind doch andererseits die Möglichkeiten, einen „smarten Buchhandel“  zu gestalten, dank EDV und Logistik dramatisch gewachsen. Ich finde bewundernswert, wie einige Vorreiter im Handel diese Möglichkeiten inzwischen erproben.

Wie sehen Sie die Zukunft der Filialisten? Und wie sehen deren Rezepte aus?

Roszinsky-Terjung: Die Großen haben unschätzbare Meriten erworben allein dadurch, dass sie das Thema Buch auf die besten Standorte in den Städten getragen haben und dort erlebbar machen. Wir werden wahrscheinlich in ein paar Jahren alle dafür dankbar sein, dass an diesen Plätzen Bücher physisch präsent sind. Aber wo Licht ist, findet sich natürlich auch Schatten. Eine Wachstumsvoraussetzung in dieser Branche ist nach wie vor, dass durch das Konditionensystem der Verlage Größe überproportional belohnt wird. Die Großen schöpfen dadurch den Rahm ab, der Margenanteil für alle anderen (also auch für Verlage) schrumpft dagegen.


Aber auch für Große wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Thalia, DBH und Mayersche kämpfen – jeder auf seine Weise – mit dem gleichen Problem, der Komplexität ihrer Strukturen und Prozesse. Sie müssen viel Energie darauf aufwenden, sich nach Innen zu stabilisieren. Dabei kann leicht der Fokus von der Kundenorientierung zur Nabelschau wandern. Die Systeme sind wegen ihrer Größe alles andere als Selbstläufer. Das ist ihre interne Achillesferse.


Wenn nun, wofür manches spricht, in den nächsten Jahren das physische Buch als Medium genauso wie der Vertriebskanal Sortiment  von rückläufigen Tendenzen geprägt sein sollte, erwischt diese Entwicklung die Großen besonders. Nachdem in den zurückliegenden Jahren ihre Strategie darauf zielte, Standorte mit „Kings Stores“ zu besetzen, ist die spannende Frage, ob die Großen nun eher nach einer kleinflächigen Lösung suchen oder die großen Flächen anders zu bespielen versuchen.
 

 

Wenn Sie wissen möchten, was Arnd Roszinsky-Terjung über die Entwicklung des E-Book-Markts sagt, welche Rolle Google, Amazon und Apple dabei spielen werden – und wo der Buchhandel seine Position finden, dann lesen Sie weiter in der Printausgabe des Börsenblatts, die am heutigen Donnerstag erscheint