Frankreich

Antoine Gallimard: "Unabhängige sind unverzichtbar"

11. Februar 2010
Redaktion Börsenblatt
Der Verleger Antoine Gallimard trommelt für das unabhängige Sortiment in Frankreich, setzt sich aber auch für eine reduzierte Mehrwertsteuer auf E-Books ein. Warum er das tut und wie seine Bilanz für 2009 aussieht? Ein Interview.

Den unabhängigen Buchhandlungen zu helfen hat in Frankreich Tradition. Gemeinsam mit anderen Verlagen haben Sie bereits vor mehr als 20 Jahren einen Verein gegründet, der diese Handelspartner mit frischem Geld versorgt. Aus welchem Grund legen sich Verlage so für die Unabhängigen ins Zeug?
Gallimard: Gerade für Verlage mit einem kulturellen Profil sind sie als Vermittler absolut unverzichtbar. Sie sind neugierig, aufmerksam und offen für ein diversifiziertes Angebot. Wenn man sieht, in welchem Umfang heute in den USA oder Großbritannien Buchhandlungen sterben, dann sieht man, dass es ohne Buchpreisbindung und Unterstützer wie unseren gar nicht geht, und das auch in eigenem Interesse. Gallimard nehme ich da gar nicht aus. Wir machen eben nicht nur „Harry Potter“, sondern auch Bücher mit ganz kleinen Auflagen. 


Ginge es nicht auch ohne solche Hilfsmaßnahmen?
Gallimard: Ich kenne die Problematik. Gallimard betreibt in Paris vier Buchhandlungen, in Straßburg drei und eine in Montreal. Die Rentabilität liegt zwischen zwei und vier Prozent – leicht über dem Durchschnitt. Aber prinzipiell ist die Rentablität im Buchhandel gering. Zudem fehlt es dem Buchhandel angesichts von Mieten, Lohnkosten und dem in Büchern festgelegten Kapital an Investitionsmitteln.

Ihr Verein heißt L'Association pour le développement de la librairie de création (Adelc) – zu deutsch: Verein zur Förderung des kreativen Buchhandels. Wie kam es dazu?
Gallimard: 1988 übernahm ich den Verlag von meinem Vater. Der Buchmarkt war Mitte der Achtziger schwach und die 1981 beschlossene Buchpreisbindung geriet unter Beschuss. Damals kam Jérôme Lindon von Editions de Minuit und Editions du Seuil zu mir mit dem Vorschlag, einen Verein zur Förderung von Buchhandlungen zu gründen. Lindon hatte den Erfolg seines Titels „Das Badezimmer“ von Jean Philippe Toussaint untersucht und dabei festgestellt, wie wichtig die unabhängigen Buchhandlungen sind – doch gerade sie waren es, die sich wegen Kapitalmangel nicht vergrößern konnten und bei denen sich die Übernahme eines Betriebs finanziell oft besonders schwierig gestaltete. So gründeten wir den Verein. Unser Beispiel machte Schule: Mehrere Verlage und sehr bald auch der Staat schlossen sich an.

Wie sieht das Konzept des Vereins aus?
Gallimard: Wenn Banken nicht helfen wollen, sind wir da: Wir geben Kredit.

Nach welchen Kriterien?

Gallimard: Bei den materiellen Sicherheiten sind wir nicht so anspruchsvoll. Was bei uns stärker zählt, ist die Professionalität des Buchhändlers: wie viele und welche Bücher sein Sortiment umfasst, ob er sich kulturell engagiert usw.

Und wie hoch ist der Etat?
Gallimard: Dem Verein stehen jedes Jahr Mittel in Höhe von bis zu einer Million Euro zur Verfügung. Gallimard trägt etwa 80.000 Euro dazu bei – das entspricht dem festgesetzten, auf maximal 100.000 Euro begrenzten Mitgliedsbeitrag von 1,4 Prozent des Umsatzes. Seit der Gründung konnten insgesamt 23 Millionen Euro verteilt werden, überwiegend als rückzahlbare Mikrokredite.

Auch der französische Staat will unabhängigen Buchhandlungen unter die Arme greifen. Mehr als 400 Sortimente sollten einen Nachlass auf die Gewerbesteuer bekommen – auch Sie haben sich für die Idee stark gemacht. Greift die Förderung denn?
Gallimard: Bislang kaum. Die Maßnahme ist zwar beschlossen, aber von den zuständigen Behörden nur selten umgesetzt worden.

Warum?
Gallimard: Weil die Gewerbesteuer politisch zur Debatte steht. Sie soll verändert werden – und so wartet man jetzt erst einmal ab.

Sind Sie enttäuscht?
Gallimard: Was erreicht wurde, ist besser als nichts – außerdem zeigt ein anderer, älterer Vorschlag gute Wirkung: Im Herbst 2008 wurde eine neue Subventionslinie mit dem Namen VAL geschaffen, um Sortimente beim Marketing finanziell zu unterstützen. Damit hat der Staat in anderthalb Jahren die für den Buchhandel bereitgestellten Mittel deutlich erhöht – statt 1,5 Millionen Euro sind es heute 3,5 Millionen Euro, wovon eine Million als Val-Subventionen verteilt wurde.

Ein ganz anderes Thema: Sie haben jetzt gefordert, die für Bücher geltende Mehrwertsteuer von 5,5 Prozent auch auf elektronische Bücher anzuwenden. Was versprechen Sie sich davon?

Gallimard: Elektronische Bücher werden zunehmend wichtiger – und auch wir, als traditionellen Akteure auf dem Buchmarkt, müssen diesen Sektor besetzen. Buchhändler sehen das genauso: Sie planen für 2010 ein gemeinsames Internet-Portal, über das Leser sowohl Bücher in gedruckter Form als auch E-Books beziehen können. Mit einer Senkung der Mehrwertsteuer von 19,6 auf 5,5 Prozent würden elektronische Bücher nicht nur billiger. Sie würden auch nicht mehr länger als Dienstleistung, sondern als kulturelle Ware eingestuft. Dann wäre ein Verkauf zu Dumpingpreisen, wie das Amazon in den USA praktiziert, verboten.

Den bei Gallimard erschienenen Roman der Goncourt-Preisträgerin 2009 Marie Ndiaye „Drei starke Frauen“ („Trois femmes puissantes“) haben Sie als E-Book allerdings fünfzehn Prozent billiger angeboten als die gedruckte Version. Schaden Sie da nicht dem Buchhandel? 

Gallimard: Das ist nur ein kleines Experiment. Wir haben über eine halbe Million gedruckte Exemplare verkauft – und etwa achtzig als elektronische Bücher. Die Lektüre auf einem E-Reader ist bislang marginal. Auch ich habe noch nie wirklich einen benutzt.

Wie verlief das vergangene Jahr für Ihren Verlag insgesamt?

Gallimard: Besser als erwartet, aber natürlich nicht so wie 2007. Mit einem Umsatz von 290 Millionen Euro war das wirklich ein Rekordjahr; dank Muriel Barberys „Die Eleganz des Igels“, Daniel Pennacs „Schulkummer“ und „Harry Potter“ verzeichneten wir ein Plus von 15 Prozent. 2008 ging es dann fünf bis sechs Prozent abwärts, und dieses Niveau haben wir 2009 gehalten. Damit sind wir sehr zufrieden.