Meinung

Auslieferung: Gelesen wird das ganze Jahr über

4. Februar 2010
Redaktion Börsenblatt
Warum die strenge Aufteilung in Frühjahrs- und Herbstprogramme ausgedient hat. Von Lutz-W. Wolff.
Am 2. Juni wird Marcel Reich-Reinicki 90. Warum ich das hier erwähne? Nun, unter anderem deshalb, weil es uns leider erst im Dezember eingefallen ist, dass Franz Joseph Goertz ein Buch mit den schönsten Bonmots und Anekdoten des großen Alten herausgeben könnte. Und der Redaktionsschluss für unsere Vorschau war schon im Oktober. Wenn die Buchhändler wollen, wird das Buch trotzdem pünktlich am 22. April in ihren Buchhandlungen sein, und MRR wird sich hoffentlich herzlich darüber freuen. Und die Leser natürlich auch – am liebsten bis zum 100. oder lange darüber hinaus.
Aber, und das ist es, worum es hier eigentlich gehen soll: Wieder einmal werden unsere Vertreter, die jetzt bei Eis und Schnee unterwegs sind, ein Buch anbieten müssen, das nicht in der Vorschau steht. Ein Problem? Das wird sich noch zeigen.
    Sicher ist jedenfalls, dass der gewohnte buchhändlerische Jahresrhythmus mit Herbst- und Frühjahrsprogrammen und die  komplexen vertrieblichen Abläufe immer längere Vorlaufzeiten erzwingen. Und dass die Verlage sich einiges einfallen lassen, um das Angebot neu zu sortieren.    
Claudia Reitter und Random House haben die dritte Vertreterreise erfunden, Rowohlt macht eine Vorschau fürs »2. und 3. Quartal«, und S. Fischer schickt sowieso jeden Monat neue Romane hinaus. Beck, Hanser und Piper bleiben beim guten alten Frühjahrs­programm, aber Piper schickt mit großem Erfolg Alissa Walser schon im Januar ins eiskalte Winterwetter hinaus. Und wir bei DuMont erfinden uns dazu noch ein »Sommerprogramm«, damit es im Mai, Juni, Juli kein Loch gibt. Kein Zweifel, die Verlage geben sich mit dem holprigen Zweitakt des Jahres nicht länger zufrieden.  
Warum auch? Schließlich ziehen die Buchhändler ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr mit Kiepen durchs Land, und die Bücher werden auch nicht mehr mit Pferdefuhrwerken nach Leipzig und Frankfurt gebracht. Gelesen wird das ganze Jahr über, all­wöchentlich kommen Kunden zur Tür herein, die fröhlich fragen: »Na, was gibt’s Neues?«, die Presse ist es schon lange leid, zweimal jährlich gewaltige Bücherberge auf einmal ins Feuilleton quetschen zu müssen, und die Autoren haben sowieso nie begriffen, warum sie Pegasus zum Stop-and-Go zwingen und auf die Veröffentlichung ihrer Manuskripte ein volles Jahr oder länger warten sollen, bloß um dann doch wieder neben Dan Brown an den Startplatz zu kommen.
Also her mit der vierteljährlichen, monatlichen oder meinethalben auch wöchentlichen Bestückung des Handels mit druckfrischen Büchern? Ja, bitte! Schließlich gibt es ja Sammelauslieferungen genug, um die richtige Bündelung zu erreichen.
Reden wir damit der bösen Schnelllebigkeit, der unfeinen Hektik das Wort? Verkürzen wir gar womöglich das Leben der Bücher? Mitnichten. Natürlich wünschen wir uns, dass sich im stationären Handel das ganze Jahr über richtig was tut. Dass die Drehzahlen steigen. Aber das heißt noch lange nicht, dass entzerrte Auslieferungstermine der Buchkultur irgendwie schaden. Sie ermög­lichen einfach nur ein besseres Timing und individuellere Bücherschicksale.
Denn eins ist sicher: Der seit eh und je monatliche Erscheinungsrhythmus der Taschenbücher zum Beispiel hat ihrer Lebensdauer kein bisschen geschadet. Ganz im Gegenteil: Gerade (und beinahe nur) im Taschenbuch gibt es Titel, die unverändert seit Jahrzehnten lieferbar sind und es auch noch jahrzehntelang sein werden.