Tastbar machen, was sichtbar ist

12. Januar 2010
Redaktion Börsenblatt
Wie wird das Layout von Punktschriftbüchern gestaltet? Welche typographischen Mittel setzen die Verlage ein? Und vor allem: Gibt es Unterschiede zwischen dem Satzspiegel eines Braille- und dem eines Schwarzdruckes?
Oh ja, natürlich gibt es die. Und sie sind auch nicht unerheblich, zumindest in der Theorie. Denn die Punktschrift nimmt vergleichsweise viel Platz ein (-> den fünften Beitrag dieses Blogs: Eine einsame Reise). Vor allem die Buchstabenschrift ist, wenn man sie mit der Schwarzschrift vergleicht, äußerst umfangreich. Und bei Verwendung der Silbenschrift wird es kaum besser. Deshalb ist die erste Vorgabe die, jede Seite nach Möglichkeit maximal auszunutzen. Denn nur so kann das Braillebuch im Ganzen kompakter werden.

Im Umkehrschluss heißt das, dass es nicht darum gehen kann, für einen optisch schön wirkenden Satzspiegel zu sorgen. Auch die Länge der Zeile, die beim Lesen mit den Augen durchaus von Bedeutung ist, ist kein Kriterium, das bei der Herstellung eines Punktschriftbuches besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Des Weiteren können der Kopf- und Fußsteg, ebenso wie die Seitenstege, sehr gering angesetzt werden.

Und dennoch: Praktisch und wirtschaftlich optimal, das ist nicht alles. Auch nicht bei der Produktion eines Brailletitels. Ja, in der Theorie vielleicht. In der Praxis gibt es aber noch eine zweite Tendenz, die der bereits erläuterten grundlegend entgegensteht. Demnach sind die Brailleverlage dazu angehalten, bei der Gestaltung ihrer Titel nur so wenig wie nötig von der Schwarzschrift-Originalausgabe abzuweichen.

Eine kleine Untersuchung, die ich vor Kurzem mit Hilfe eines Sehenden durchgeführt habe, bestätigt diese Tendenz. So werden da, wo in der Vorlage Auszeichnungen sind, auch in der Ausgabe für Blinde welche gemacht. Allerdings ist es in der Brailleschrift nicht möglich, ein Wort fett oder kursiv zu setzen. Daher müssen andere Varianten greifen. Alternativ lässt sich im Punktdruck die Unterstreichung verwirklichen, wenn auch nur unter Hinzunahme einer zweiten Zeile.

Ein anderes Beispiel: Seitenangaben, die in einem Inhaltsverzeichnis stehen, werden rechtsbündig gesetzt. Es mag ja schön aussehen, wenn immer die Einser unter den Einsern, die Zehner unter den Zehnern und die Hunderter unter den Hundertern stehen. Für den Punktdruck halte ich es dennoch eher für ungeeignet, so zu verfahren. Denn in der Brailleschrift gibt es das so genannte Zahlenzeichen. Es besteht aus den Punkten drei, vier, fünf und sechs. Und es signalisiert dem blinden Leser, dass die nächsten Felder eine Zahl sein sollen. Zahlen werden nämlich geschrieben wie Buchstaben. Ein A, vor das das Zahlenzeichen gestellt worden ist, entspricht einer Eins, ein B mit vorgeschaltetem Zahlenzeichen einer Zwei ...

Haben wir nun aber im Inhaltsverzeichnis die Zahl fünf stehen und weiter unten die Zahl einhundertundfünf, so kann nicht einfach Zahlenzeichen plus E geschrieben werden. Damit alle Zahlenzeichen und auch alle Einser untereinander stehen können, muss man vielmehr schreiben: Zahlenzeichen, Leerzeichen, Leerzeichen, E. Und das sieht dann vielleicht schön aus, aber mit den Fingern liest es sich nicht gut.

Und was will ich nun mit diesem Chaos eigentlich sagen? – Dass es nicht das Beste ist, die typographischen Vorgaben des Originals eins zu eins zu übernehmen. Aber dass es sicherlich auch nicht das Schlechteste ist, nur darauf zu achten, möglichst viel Text auf möglichst wenigen Seiten unterzubringen.