Tagesprophet – nicht mehr weit

16. Februar 2010
Redaktion Börsenblatt
Irgendwie bin ich ja doch ein Technifreak: Fand ich schon den Werbefilm auf der amazon.com-Seite fürs neue Kindle faszinierend, bin ich von dem, was Apple auf seiner Seite über das iPad zeigt, schon wieder völlig aus dem Häuschen.
Jetzt also das Ganze auch noch in Farbe, und man kann nicht nur Texte lesen, sondern auch Töne hören, Bilder speichern und verwalten und auf dem, sorry, geilen Touchpad hin und her und groß und klein ziehen. Das Teil übt eine deutliche Anziehungskraft auf mich aus. Und, wie Steve Jobs und seine Jungs auf der Bühne stehen und ohne Manuskript anderthalb Stunden über das neue Gerät plaudern, das hat zweifellos auch was. Und wie Steve (ich nenn‘ ihn mal Steve) zur Einleitung erwähnt, man sei jetzt die größte „mobile devices company in the world“. . . Da steht er auf der Riesenbühne in Jeans und Turnschuhen und spricht ein Englisch, das ich locker verstehen kann: Echt cool.
 
Wer erinnert sich noch an den „Tagespropheten“, jene Zeitung aus der Welt des Harry Potter, deren Bilder beim Betrachten ein den Text illustrierendes Eigenleben entwickelten? Mit dem Zaubergerät iPad scheint das nicht mehr weit zu sein. Die Verbindung von tagesaktuellen Texten und audiovisuellen Formen der Darstellung lässt eine völlig neue Qualität von Büchern erahnen – aber halt: Sind diese Medienprodukte denn überhaupt noch Bücher? O.k., man sagt ja auch noch „Das Telefon klingelt,“ auch wenn das Gehörte mit Klingeln nichts mehr zu tun hat, es sei denn, man hätte sich einen hippen Retroton geladen. Auch das im PC gespeicherte Adressbuch hat so wenig mit einem Buch zu tun, wie das Bestellbuch in der Warenwirtschaft. So wird diese Multimediadatei vielleicht der Einfachheit auch noch „Buch“ genannt werden, ohne dass es hier um das ginge, was wir heute noch darunter verstehen.
 
Das ist das Faszinierende und gleichzeitig Beängstigende: Dass ehemals gedruckte Medien und deren Nutzung sich derart wandeln werden, dass die Frage nach der Zukunft des Sortimentsbuchhandels von Tag zu Tag schwerer zu beantworten ist. Wenn Autoren die Vorzüge der Selbstveröffentlichung im Internet nutzen und auf die behäbige Maschinerie eines Printverlages verzichten, wenn alle Informationen und Texte an jedem Ort on the Air verfügbar sind, wozu braucht’s da noch einen Buchhändler? Zur Beratung? Da gibt es doch genügend Leser-Communities, in denen man sich mit Gleichgesinnten über interessante Bücher austauschen kann. Ein großer Teil der heutigen Ladenverkäufe sind ohnehin Zielkäufe, nicht die hohe Schule der literarischen Empfehlung, sondern das täglich Brot der benötigten Bücher für Beruf, Hobby, Schule, das Buch, das die Enkelin sich gewünscht hat oder manchmal auch die Empfehlung der Literaturkritik. Die Zielkäufe also, die zunehmend im Internet erledigt werden, hoffentlich auf der Seite eines stationären Sortiments. Was für den Laden bleibt, ist die Emotion, das Ambiente, das Gekanntwerden als Stammkunde. Tante-Emma-Läden sollen ja heute wieder eine Zukunft haben. Endlich mal wieder ein Vorteil, den die Kleinen gegenüber den Großen ausspielen können. Und: Das Mitmischen im Internet, denn auch die neuen Freunde von Tante Emma sind digital unterwegs. Dranbleiben heißt es, im Web präsent sein. Wo und wann immer es geht Digitales anbieten: Multimedia, Downloads, eBooks, Interaktion. Das volle Programm. Damit auch Technikfreaks bei ihrem Stamm- und Lieblingsbuchladen bleiben können. Auch mit dem iPad kann man zu seiner Buchhandlung surfen.