Die Musikindustrie hat sich schon vor vielen Jahren mit dem Thema Remixkultur auseinandersetzen müssen. Sind die Lösungen, die hier gefunden wurden, aus Ihrer Sicht zufrieden stellend?
Renner: Die Musikwirtschaft unterscheidet zwischen einem Remix und einem Sample. Ein Remix ist das Original, bearbeitet durch einen Dritten; das Sample ist ein Ausschnitt eines Originals, integriert in das Werk eines Dritten. In diesem Sinne wurde im Fall Hegemann also gesamplet und nicht gemixt. Ein Sample wird beim Produzenten des Originals angefragt. Genehmigt dieser die Nutzung, bekommt er einerseits eine kleine Beteiligung, ein so genanntes Override, und andererseits eine Nennung auf dem Tonträger.
Können Sie sich ähnliche Modelle für die Literatur vorstellen?
Renner: Wieso nicht? "Axolotl Roadkill" ist ein Beispiel für eine Copy/Paste Kultur wie sie erst im Rahmen der Digitalisierung möglich geworden ist. Beim Buch löst sich nun, genauso wie zuvor bei der Schallplatte, die Form des geschlossenen Werks auf. Man hört nicht mehr ganze Alben, sondern die Lieblingssongs – und ebenso kann man mit einem Mausklick die Lieblingsausschnitte eines Buchs in einen neuen Sinnzusammenhang montieren.
Mancher alte, längst vergessene Song bekommt durch eine erfolgreiche Coverversion ein zweites Leben geschenkt. Sollte man das Thema am Ende gar nicht so eng sehen, auch nicht bei Romanen?
Renner: Das Problem ist nicht das Zitat, sondern die mangelnde Kennzeichnung. Hätte Frau Hegemann das Zitat angefragt und gekennzeichnet, könnte ich die Aufregung nicht verstehen.
Bei den Buchtagen Berlin 2009 standen Sie als Referent auf dem Podium. Und haben dort vor Verlegern und Buchhändlern gegen eine "Verbotskultur" im digitalen Zeitalter plädiert. Aber wie können die Kreativen ihre Werke denn sonst schützen – und damit Geld verdienen?
Renner: Verbote nutzen nur dann etwas, wenn sie auch durchsetzbar sind. Das Schicksal der Musikwirtschaft beweist, dass dieses nur unter starker Einschränkung der Bürgerrechte möglich ist. Aber welcher kreative Freigeist wird das wirklich wollen? Der beste Schutz ist immer: das bessere Angebot als die Konkurrenz zu haben. Das gilt auch wenn diese illegal ist. Wenn wir dem Konsumenten endlich geben, was er offensichtlich haben will, dann können wir dafür auch Geld verlangen. In der Musik will er offensichtlich in einer Flatrate alle Titel – und zwar dann, wenn sie zum ersten Mal zur Aufführung kommen. Welchen Grund hätten die Internet-Nutzer sonst, wenn sie sich durch Torrent-Tracker quälen? Böte man ihnen das gegen Gebühr, aber dafür vollständig, gut sortiert und mit Beratungskompetenz und zudem sowohl sicher als auch in bester Qualität an, würde sich laut Untersuchungen der amerikanischen Musikwirtschaft die Mehrheit der Netzsurfer als neue Kunden gewinnen lassen. Der einzige Grund, weshalb man es dennoch nicht tut, ist der Schutz des alten Geschäftsmodels, nämlich der Verkauf von Tonträgern.
Mit Peter Licht gehört auch ein Bachmannpreisträger zu Ihrer Musikerriege. Was würden Sie tun, wenn ein anderes Label, ein anderer Sänger sich so bei den Stücken von Peter Licht bedienen würde – nur als Beispiel, natürlich....
Renner: Wenn man vorher gefragt hat und wir mitverdienen, würden sich wahrscheinlich sowohl der Interpret als auch wir bei Motor Entertainment darüber freuen. In wieweit könnte uns das denn schaden? Der Künstler bekäme immer noch etwas von der Nutzung seiner Idee ab und würde zudem bekannter. Also nur zu, interpretiert und samplet Peter Licht, wenn ihr wollt!
Gibt es für Sie persönlich eine Grenze zwischen Ideenklau und Inspiration? Und kennt die nachrückende Generation diesen Unterschied vielleicht gar nicht mehr?
Renner: Wenn ein DJ nachts im Club viele verschiedene Stücke zu einem so genannten Set zusammen mischt, entsteht daraus für die tanzenden Kids ein neues Werk. Wenn sie selbst im Netz durch den Beitrag von vielen Community Nutzern Erlebnisplattformen schaffen, entstehen für sie neue Welten. Kreation ist in der Digitalisierung meist mit Partizipation verbunden. Das Werk wird deshalb in der Regel nicht als das geschlossenes Ergebnis des Tuns Einzelner verstanden. Das mag man bedauern, ist aber für mindestens eine Generation von Kulturkonsumenten Realität. Wir müssen intelligente Wege finden mit dieser Realität umzugehen – aus der Welt schaffen können wir sie nicht.