Helene Hegemanns Buch-Release-Geburtstagsparty im Tresor

Axolotl-Schokoladenkuchen

20. Februar 2010
Redaktion Börsenblatt
So ein achtzehnter Geburtstag wird nur Auserwählten zuteil: Der legendäre Berliner Techno-Club Tresor im Heizkraftwerk Mitte stand am Freitagabend ganz im Zeichen der „Axolotl-Roadkill“-Release-Party, nachdem das Feuilleton der „Zeit“ am Tag zuvor gerade noch rechtzeitig die Helene-Hegemann-Sonderausgabe fertig bekommen hatte, in der die drei spätentschlossenen Kritiker des Romans als „Kommando Otto Weininger“ abgewatscht wurden.

Zwar verfassen die Kunden unterdessen haufenweise Schmäh-Rezensionen bei den Internetbuchhändlern. Aber das hat nichts zu bedeuten; das Buch behauptet sich wie nichts Gutes an der Spitze der Bestseller-Liste.

Kurz nach acht also großer Literaturbetriebsauftrieb vor dem Tresor, in Schneematsch und Nieselregen. Die teilweise mürrischen Mienen der Kritiker können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie alle pünktlich erschienen sind. Und sie drängeln wie die Lurche. Alle wollen hinein, zu Helene. Die Alten zur Jungen, mit Gombrowicz gesprochen. Um die Situation ein bisschen zu entspannen, ruft ein Türsteher: „An diesem Eingang nur VIP und Journalisten!“ Aber niemand lässt sich beeindrucken; die Sättigung des Publikums mit Journalisten beträgt offenbar knapp hundert Prozent. Selbst der honorige Volker Hage ist mitten im jugendbewegten Pulk zu erblicken – er hat allerdings zur Legitimation seine Tochter im besten Axolotl-Alter dabei.

Im Club dann eine Mischung aus düsterer Maschinenraum-Ästhetik und Kindergeburtstagsatmosphäre mit Luftballontrauben unter der Betondecke, Zuckerwatte und Hüpfbällen. Hinter den Gittern des  DJ-Käfigs: das literarische Raubtier, Helene Hegemann, an den Haaren könnt ihr sie erkennen. Vor dem Käfig weiterhin demütigendes Geschiebe. Nach einer Stunde hatte man das erste Getränk ergattert, und schon wieder hieß es drängeln, wollte man etwas von den einleitenden Worten der Ullstein-Verlegerin Siv Bublitz mitbekommen – man ahnte, sie hatte Gutes über den Roman zu sagen. Erstaunlich, dass der dezibelfreudige Club offenbar über kein Mikrofon verfügt, das eine menschliche Stimme weiter als zehn Meter trägt. Bublitz beschrieb die gewissenhafte Abwicklung des Rechte-Problems durch den Verlag. Ein Lieferstopp sei dank der gütlichen Einigung verhindert, nun könne sich die Aufmerksamkeit wieder ganz dem Text zuwenden.

So war es. Helene Hegemann las im Wechsel mit einer Freundin eine Viertelstunde lang Szenen aus dem beschädigten Mifti-Leben vor. Die Mädchen performten den Text genau so, wie es Schülerinnen in der Deutschstunde tun, ein wenig leiernd, ein wenig bemüht, ein wenig zu aufgesagt, als hätten sie mit dem Geschriebenen selbst nicht allzu viel zu tun. Was ja ganz dem Stand der Plagiats- oder Zitatkunst-Debatte entspricht.

Deshalb nun all der Rummel? „Lauter, lauter!“ riefen einige Verdrossene im Publikum. Aber nur ein einziges Mal war die Schnell-Leserin Hegemann gut zu verstehen. Klassenfahrt ins Konzentrationslager: „Ein Junge aus der Parallelklasse, dessen Name ich nicht kenne, schreit: ‚FUCK, WARUM DÜRFEN WIR HIER NICHT RAUCHEN? DA IN DEM MÜLLEIMER SIND VOLL DIE VIELEN ZIGARETTENKIPPEN!’ – ‚Das Rauchen ist hier einfach mal echt verboten.’ – ‚Ja, Mann, Scheiße, hier im Mülleimer sind aber voll die vielen Zigarettenkippen.’“ Es wirkte wie eine Story aus der letzen Schülerzeitung. Und wen man an diesem Abend unter den Fachbesuchern auch fragte, niemand wollte das noch für große Literatur halten.     
Dann stimmten die Freunde der Autorin „Happy Birthday“ an – die Kritiker brummten allenfalls ein bisschen mit. Zwei Kraftkerle rempelten sich durch die Menge und trugen einen quadratmetergroßen, nach Maßgabe des Buchcovers gestalteten Axolotl-Schokoladenkuchen zum Geburtstagskind.  

Da stand man also und mampfte Torte. Voll die vielen Kalorien. Von der angestrengten Verruchtheit des Romans war auf dieser „stilgerechten Party im Underground-Club“ (so die Ankündigung) nichts zu spüren. Nicht mal die Musik sorgte für ein bisschen Kaputtheit. Das Lieblingslied des Helene-Hegemann-Freundeskreises ist offenbar „Crystalised“ von The XX: sensitiv-minimalistischer Indie-Poprock, Musik für nette Menschen.

In den Gängen des Clubs sah man Vater Hegemann mit zufriedener Miene auf und ab spazieren. Solch eine weltbewegende Geburtstagsfeier für die Tochter – das kommt in den besten Familien nicht vor.

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