"Der Verein hat für die Mitglieder tätig zu sein, aber ohne deren Unterstützung kann er nicht leben, verliert er seine Daseinsberechtigung. Diese Gefahr sehe ich aber keineswegs", konstatierte Landesverbands-Vorsitzender Thomas Gruß in seiner Eröffnung. "Ich habe die Solidarität in unsere Branche genügend oft erlebt und sehe, dass sich Hamburger, Schleswig-Holsteiner und Mecklenburg-Vorpommern bei uns engagieren." Gruß ging auch auf die aktuelle Debatte zu einer möglichen Verschmelzung des nordrhein-westfälischen Landesverbands mit dem Bundesverband ein: "Nichts ist so gut, dass es nicht besser gemacht werden könnte. Wir haben schon vor Jahren eine Fusion mit anderen Landesverbänden, ebenso eine Verschmelzung mit dem Bundesverband geprüft, im Ergebnis aber keine wirklichen Einsparpotenziale gefunden." Der Vorstand wolle die neue Diskussion jedoch mit Interesse verfolgen.
Thomas Gruß führte die Anwesenden, darunter Vertreter anderer Landesverbände aus Berlin-Brandenburg, SaSaThü und Niedersachsen, der Ehrenvorsitzende Horst Varrelmann und Alt-Vorsteher Gerhard Kurtze, in einer Zeitreise zurück in die Tage der Gründung. Damals verlief am Millerntor noch eine Grenze: auf der einen Seite die freie Hansestadt, auf der anderen das vom dänischen König in Personalunion regierte Schleswig mit Altona. "Preisschleuderei und überhöhte Rabatte bedrückten die Buchhändler, die Zeit war reif geworden für die absonderliche Vereinigung von Menschen, sich mit Büchern und nur mit Büchern beschäftigten", zitierte er aus der Festschrift, die der frühere Geschäftsführer Horst Quax geschrieben hat. "150 Jahre Buchhändlervereine in Norddeutschland" (ISBN 978-3-00-029708-3) ist eine 160 Seiten starke Lektüre, die ebenso kundig wie vergnüglich zu lesen und wärmstens zu empfehlen ist.
Auch Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck zitierte aus dem Werk ("Sie können sich auf die Lektüre von Horst Quax freuen") und machte sich in ihrer Rede für das gedruckte Buch stark: "Bücher sind ein Stück Heimat, sind weit mehr als nur Stapel bedruckten Papiers." Selbst das Geräusch beim Umblättern der Seiten möchte man nicht missen, was jeder merke, der die Simulation des Geräuschs auf einem E-Book erlebt habe. Von Welck wies auf die vielen jungen Verlage hin und die starke Stellung der Kinderbuchverlage in Hamburg, die uns umfangreiche Aktivitäten für die Leseförderung ermöglichen. Exemplarisch nannte sie den Bücherstart, wo bei der U6-Untersuchung jährlich 20.000 kostenlose Taschen mit Büchern und Informationen verteilt würden. Bemerkenswert sei eine Untersuchung, die zeige, dass "Bücherstart-Kinder im Alter von 16 Monaten doppelt so viele Worte sprechen wie Nicht-Buchstart-Kinder." Die Kultursenatorin hob die zahleichen Initiativen für die Literatur hervor, die ohne die Unterstützung der Buchhandlungen und Verlage nicht möglich wäre." Börsenvereins-Vorsteher Gottfried Honnefelder lobte die Aktivitäten des norddeutschen Landesverbands: "Gäbe es die Region Nord nicht, man müsste sie erfinden." Nach kurzem historischen Rückblick ging er auf die gegenwärtige Problematik der Verdrängung von gedruckten Büchern durch digitale Formen ein. Schon bei der Lektüre des Quaxschen Werkes werde deutlich: "Was bleiben soll, leistet das Buch." Auch wenn „-Zaubertafel, Wunschmaschine – die Welt in diesen Tagen das iPad bestaunt. Ist das Buch damit tot?" Schon bei der Erfindung des Radios, der Schallplatte, des Fernsehers, der Kassettenrecorder habe man sich diese Frage gestellt: "Kassandra ist hartnäckig, geschehen aber ist bislang nichts. Statt des prophezeiten Untergangs des Buchs ist der Buchmarkt Jahr für Jahr gewachsen. Totgesagte leben länger – mit jedem neuen Format des alten Buchs gibt es neue Möglichkeiten."
Jedoch zeigten sich Risse auf: Der Buchhandel befürchte, nicht mehr gebraucht zu werden. "Schließt der Online-Handel das stationäre Sortiment als Vertriebsweg aus? Es verliert Umsatzanteile, ja, aber der Gesamtumsatz geht nicht zurück." Stationär UND digital könnte die Formel für die Zukunft lauten. Wer künftig Texte für sein iPad suche, werde sie sich direkt herunterladen. Umso wichtiger seien neue Geschäftsmodelle: "Kernkompetenz trifft Innovation – unsere Leser werden diese jahrhundertealte Fähigkeit weiter von uns erwarten."
Als letzter Redner stieg Hoffmann und Campe-Verleger Günter Berg in die Buchhandelsgeschichte seines Unternehmens ein und zeigte unverzichtbare Kernkompetenzen des Buchhandels auf: Die Kultur, die Firmengründer Hoffmann verlegt habe, Aufklärungsliteratur, habe bis heute Bestand. Die damaligen Probleme kämen uns nicht unbekannt vor: "Ihr Buchhändler tragt doch kein Risiko, disponiert hasenfüßig – so können wir Verleger doch keine Auflage kalkulieren", hätten die Verleger gejammert. "Aber nur durch gegenseitiges Aufeinanderzugehen von Buchhändlern und Verlegern konnte die bis heute erfolgreiche Zusammenarbeit gedeihen. Unsere Kernkompetenz ist der Umgang mit Autoren, das Veredeln von Texten, das Durchsetzen von Büchern, wir sind ebenso wenig aus diesem Spiel wegzudenken wie das Sortiment."
Der vielen Worte in den Reden, umrahmt von einem Streichquartett, das die Melodie "zum Geburtstag viel Glück" als Czardas, in der Manier eines alten Kinofilms, als Ragtime und – wegen Hamburg – im Stil von Johannes Brahms intonierte, folgte die unmittelbare Begegnung. Da unterhielten sich die "Mitbewerber am Markt", tauschten Buchhändler und Verleger bei Häppchen und einem Glas Wein Ideen aus, schmiedeten Pläne, erfuhren Neuigkeiten und hielten Kontakt: "Schöne Grüße von ...!" und "Wenn du nächste Woche ... siehst, frag ihn, ob wir uns nicht nächsten Monat treffen" und "Was macht denn ...?" Irgendwie ist dieser zwar flächenmäßig große Landesverband doch eine große Familie. (Fotos folgen)