Meinung

Auf Verlage wartet keiner

25. Februar 2010
von Börsenblatt
Warum es klug und notwendig ist, sich mit Google zu verbünden. Von Ralf Müller, Droemer-Knaur-Geschäftsführer.

Die digitale Revolution ist nicht ausgeblieben. Ganz im Gegenteil, wir befinden uns mitten darin. Als Ende des 20. Jahrhunderts einige Online-Entrepreneurs erstmals ernsthafte Gehversuche unternahmen, wurden diese von der Old Economy noch milde belächelt. Die Medienindustrie hat die Entwicklung unterschätzt. Starke Marken in Film, Funk, Fernsehen entstehen nicht über Nacht, hieß es. Und: Die komplizierten Wertschöpfungsketten der Verlage können nicht rasch von einigen jungen Entrepreneurs abgebildet werden. Dazu braucht man Jahrzehnte, sehr viel Geld, Erfahrung und gute Kontakte.

Im Jahr 2008 wurde die Brockhaus Enzyklopädie eingestellt. Eine Neuauflage ist nicht geplant. Die Eigentümer mussten einsehen, dass sie gegen Wikipedia keine Chance mehr haben. Insbesondere jüngere Konsumenten sind nicht mehr bereit, für Nachschlageinhalte Geld auszugeben. Das Web hat sie dazu erzogen, mit ihren persönlichen Daten, nicht aber mit Geld zu bezahlen.

Verlage, insbesondere Publikumsverlage müssen erkennen, dass wahrhafte Giganten um sie herum entstanden sind, welche Content nicht als kulturelles Gut, sondern unter rein monetären Aspekten betrachten und verwerten. Um sich in dieser sich rasant verändernden Medienlandschaft weiterzuentwickeln, sollten Verlage schnell und konsequent lernen. Die Geschäftsmodelle sind andere geworden und werden sich weiter verändern.

Am Beispiel Google lässt sich das sehen. Für das Unternehmen mit einem Marktwert von 72 Milliarden Euro besteht das Ziel darin, möglichst viele Keywords an die werbetreibende Kundschaft zu verkaufen. So erklärt sich der hohe Aufwand, den Google für die Archivierung von Büchern betreibt. Verlage können bei den Werbeeinblendungen mitverdienen. Wenn sie es nicht schaffen, sich mit Google an einen Tisch zu setzen, werden sie es jedoch sehr schwer haben, im Internet über Werbung nachhaltig Umsätze zu erzielen. Für die Verlage steht die Existenz auf dem Spiel. Google wiederum würde im schlimmsten Fall einen großen Content-Zulieferer verlieren.

Buchverlage leben sehr stark von den Umsätzen, die mit Büchern in den ersten drei Jahren erwirtschaftet werden. Mit Ausnahme klassischer literarischer Werke haben Bücher häufig eine Gesamtlebensdauer von maximal fünf Jahren. Es gibt also einen Zeitpunkt, von dem an es wirtschaftlich sinnvoller ist, ein Buch über Google zu vermarkten, anstatt geringe Backlistumsätze zu realisieren. Die Verlage sollten mit Google die Verteilung der Werbeumsätze neu verhandeln und Google für die zeitliche Abfolge der Verwertung sensibilisieren.

Auf der anderen Seite sollte Google die Verlage davon überzeugen, dass ein starkes Digital Rights Management auf Bücher am Markt nicht durchzusetzen ist und dass man bei der Frage der Content-Digitalisierung wertvolle Unterstützung liefern kann.

Es gibt Chancen für alle. Verlage müssen sich nachhaltig im Web bewegen, um zu lernen und eigene Wege zum Erfolg zu finden. Sie sollten Respekt vor Internetunternehmen mitbringen, sich von reinen Umsatzgrößen als Vergleichsmaßstab verabschieden und diese durch technologischen Fortschritt als echtes Asset ersetzen. Sie müssen akzeptieren, dass Reichweitenwerbung und E-Commerce zu Recht von Online-Spezialisten dominiert werden. Auf Verlage wartet keiner im Internet. Sind sie aber bereit, Geld und Zeit zu investieren und zu akzeptieren, dass Online primär technologiebestimmt ist, dass man die gesamte Verlagsorganisation einem Transmissionsprozess unterziehen, Know-how aufbauen und offen sein muss für neue Geschäftsmodelle – dann können mutige Verlage eine tragende Rolle im Internet spielen.