Ausstellungen

Gustav Kiepenheuers Stehlampe

1. März 2010
Redaktion Börsenblatt
Buchstadt-Geschichte wird momentan in Leipzig vielleicht nicht gemacht – dafür aber hinreißend geschrieben: Im Leipziger Museum für Druckkunst eröffnete eben eine Ausstellung zu 100 Jahren Kiepenheuer. Zur Messe sollte man sich den Besuch in der Nonnenstraße 38 nicht entgehen lassen.
"Wenigstens ihre Geschichte will sich die einstige Welthauptstadt des Buches nicht nehmen lassen", meinte kämpferisch Siegfried Lokatis, Professor für Buchwissenschaft an der Universität Leipzig, und brachte damit die Stimmung unter den Buchstadt-Aficonados auf den Punkt, die das Fassungsvermögen des Museums für Druckkunst in der Leipziger Nonnenstraße am Freitag einer ernsten Belastungsprobe unterzogen. Die Ausstellung "100 Jahre Kiepenheuer (1910 – 2010) – Verlagsgeschichten im deutsch-deutschen Spannungsfeld", die in Kooperation mit der Buchwissenschaft der Universität Leipzig, dem Leipziger Staatsarchiv, der Deutschen Nationalbibliothek und der Pavillon-Presse Weimar sowie mit Hilfe zahlloser weiterer Institutionen, Firmen und Privatpersonen auf den Weg gebracht wurde, ist, so Hausherrin Susanne Richter, "das bislang größte Unternehmen" des noch jungen Museums – und zugleich "ein Pilotprojekt in der Zusammenarbeit mit mehreren Partnern".  

Wer immer in Leipzig sich für Buchkultur und Verlagsgeschichte interessiert, war auf den Beinen, dazu reichlich Gäste: Aufbau-Verleger Matthias Koch etwa oder die verlegerischen Geschäftsführer von Aufbau und Kiepenheuer und Witsch, René Strien und Helge Malchow. Dazu Bernd Schmidt vom Kiepenheuer Bühnenvertrieb oder Magdalena Kiepenheuer-von Bismarck, eine Enkelin Gustav Kiepenheuers. In Leipzig wurde nicht gefragt, welches nun der "eigentliche" Kiepenheuer Verlag, wohl aber, was ein Verlag in Zeiten des medialen Umbruchs überhaupt sei – im Idealfall eben nicht nur eine "ökonomisch ausgerichtete Einheit", sondern eine "wirtschaftlich-kulturelle Institution". Ein weites Feld.

Fast zwangsläufig brachte die Eröffnung, die ein spannendes Stück deutsch-deutscher Geschichte erzählt, auch hübsche Geschichten zu Tage: Etwa jene, in der Helge Malchow, damals noch junger Lektor, zur Vorbereitung eines Buchs über die dissidentische DDR-Literaturszene ("Berührung ist nur eine Randerscheinung", 1989) auf die Leipziger Buchmesse reiste, jedoch von einem seiner Herausgeber, Sascha Anderson, bei der Stasi verpetzt wurde. Malchow musste eine Nacht in Stasi-Gewahrsam verbringen, "an das Feldbett und die kratzige Decke kann ich mich noch gut erinnern". Späte Gerechtigkeit: Jan Faktor, einer der Prenzelberg-Autoren von damals, ist nun für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.  

Läuft alles wie geplant, wird man solche und andere Geschichten womöglich nachlesen können. Lokatis und seine rührigen Studenten wollen im Sommer einen Ausstellungskatalog erarbeiten. Ein Verlag sollte sich ja wohl finden? Und KiWi, so verriet Helge Malchow, wird nächstes Jahr eine Studie von Frank Möller zu Leben und Wirken von Joseph Caspar Witsch vorlegen, die hoch spannendes Material zu dieser schillernden Figur der Nachkriegs-Verlagsgeschichte ans Licht holt.

Ach ja, die Buchstadt: Vor zwei Monaten endete in Leipzig, nach 110 Jahren, mit Insel die Geschichte ihres wohl schönsten Verlags, der zu DDR-Zeiten zur Verlagsgruppe Kiepenheuer gehörte. Das Leipziger Insel-Archiv soll sich bereits in Marbach befinden; dennoch strahlt die Insel auch in der Ausstellung: Ganz am Ende, in einem Winkel, als Suhrkamp-Leihgabe: Gustav Kiepenheuers Stehlampe mit Motiven der "Manessischen Liederhandschrift".