Eric Pfeil: Vielleicht muss man Surfer werden, wenn man am Strand von Santa Monica aufwächst. Mein Vater war Musiker... Und von daher war es für mich ganz logisch, mich, sogar sehr ernsthaft, mit Musik zu beschäftigen: Ich habe Instrumente gelernt und in Bands gespielt. Ich habe aber irgendwann gemerkt, dass ich mich lieber mit Musik beschäftige, als sie tatsächlich selbst zu machen. Schwierig wird es, wenn man seine eigene Übersättigung fühlt. Was natürlich ein Luxusproblem ist. Aber wenn man von den Plattenfirmen routinemäßig bemustert wird und pro Woche im Schnitt auf drei Konzerten steht, ist es schwierig, sich das Feuer zu erhalten. Aber irgendwo ragt dann doch wieder eine Veröffentlichung so Kölner-Dom-mäßig heraus – und die kriegt mich dann!
Wenn man über Popmusik schreibt, ist es mitunter nicht nur wichtig, welches Riff ein Gitarrist gerade spielt, sondern welche Turnschuhe er trägt. Es geht immer um mehr. Lebensgefühl. Zeitgeist...
Pfeil: Nicht umsonst beschäftigen sich inzwischen ganze Studiengänge damit. In Musik spiegelt sich Gesellschaft. Mein Schreibansatz ist allerdings eher unakademisch. Mir war immer wichtig, dass es persönlich ist, mit Sachen zu tun hat, die in meinen eigenem Leben stattfinden.
In der Literaturkritik ist das eher verpönt...
Pfeil: Das ist das Schöne an der Unmittelbarkeit von Musik – man kriegt diese Ebene nicht weggeredet. Viele Menschen werden den Moment ja kennen: Nachts um drei Uhr solide angetrunken im Taxi sitzen, der Taxifahrer hört Howard Carpendale – und der rührt einen in dem Moment mit seiner total routinierten Sentimentalität.
Mit welchen Lektüren haben Sie sich frei geschrieben?
Pfeil: Die „Spex“ der Achtziger war mir schon wichtig, konkret der Artikel eines Kollegen, Ralf Niemczyk über R.E.M. Ich versuchte daraufhin sogar, R.E.M.-Fan zu werden, was aber an der Musik scheiterte. Stattdessen bin ich Niemczyk-Fan geworden. Meine Initialzündung war allerdings 1982, da war ich Zwölf, ein Artikel von Wolfgang Welt. Der hat die Sachen auch sehr persönlich genommen, arbeitet heute als Pförtner am Bochumer Schauspielhaus. Und der las neulich im „King Georg“ hier in Köln, wo ich letzte Woche meine Premieren-Lesung hatte. 1982 war er ein junger, draufgängerischer Typ, der – aus tiefster persönlicher Ablehnung - drei Neue-Deutsche-Welle-Künstler in die Pfanne gehauen hat. Daneben haben mich Musikzeitschriften begleitet: Das war anfangs die „Sounds“, wo ursprünglich Diedrich Diederichsen herkommt, der frühe „Musikexpress“ und später die „Spex“. Ich glaube, ich könnte jetzt noch eine Parodie auf deren Texte von Anfang der 90er schreiben...
Oftmals hatten die es aber doch auch in sich: „Nach den Ärzten darf von deutschem Boden nie wieder Humor ausgehen“, schrieb Jutta Koether einmal.
Pfeil: Der Musikkritiker Lester Bangs hat schon in den 70ern darauf bestanden, dass guter Musikjournalismus Literatur ist! Ich finde nichts schlimmer, als den Promo-Journalismus, wie er heutzutage oft gepflegt wird und aus der engen Verflechtung von Anzeigen schaltender Musikindustrie und Musikzeitschriften resultiert.
Eine gute Popkritik muss dagegen wie ein guter Popsong sein?
Pfeil: Absolut. Köln ist, gerade was Pop angeht, eine sehr akademisch geprägte Stadt. Hier saß die „Spex“, hier fand die Popkomm statt, hier wird gerne debattiert, hier wird Gender-Problematik gewälzt. Ich finde das manchmal unfreiwillig komisch. Und wenn dann so junge Herren auf Podien treten und so zu klingen versuchen, wie es draufgängerische Jungakademiker in den Achtzigern taten, dann scheint mir das einer Idee hinterherzulaufen. Da sage ich mir lieber: Nee! Ich komm’ von der Unterhaltung, das wird mir immer wichtig bleiben. Die dann aber bitte mit einem Mehrwert. Und mit so viel Seele, dass der Leser etwas davon spürt.
Ihre Lieblings-Bücher zum Thema?
Pfeil: Lester Bangs ist immer noch besser als vieles, was heute so eilig zusammengebaut wird: Psychotische Reaktionen und heiße Luft (Edition Tiamat 2008)! Sehr draufgängerisch! Dann gibt es immer mal wieder den seltenen Fall, dass ein Musiker ein tolles Buch schreibt – im Fall von Mark Oliver Everett, dem Eeels-Sänger (Glückstage in der Hölle, KiWi 2009), nicht mal über Musik. Der erzählt seine todtraurige Lebensgeschichte so, dass es auch noch irrsinnig komisch ist. Und natürlich Bob Dylan, die „Chronicles“! Alle Welt will wissen: Was ist passiert, als er 1966 vom Motorrad gefallen ist? Welche Drogen hat er genommen? Hat er was mit Françoise Hardy gehabt? Und was macht Dylan? Schreibt seitenlang über den Tisch, den er 1961 in seinem ersten Appartement stehen hatte. Zu komisch!
Welchen Stellenwert hat die Popkritik heute im Feuilleton?
Pfeil: Ich kann konkret nur etwas über die F.A.Z. sagen – allerdings nur Gutes. Ich genieße da wirklich eine große Freiheit. Egal, welche Themen ich vorschlage. Man hat mir auch noch nie in die Texte hineinredigiert – was in Zeiten, als ich noch mehr für klassische Musikzeitschriften schrieb, anders war. Vielleicht hat der Konzertveranstalter Berthold Seliger ja recht, der jüngst in seinem Blog vermutete, dass die ernsthafte Musikkritik in Deutschland in solch schlimmen Zustand sei, dass sie nur noch im Feuilleton stattfinde.
Und das Internet?
Pfeil: Ich habe da zwar mein Blog, stehe dem Internet aber eher skeptisch gegenüber. Es wird oft unter der Gürtellinie kommentiert. Häufig wird nicht diskutiert, sondern gemotzt – auf unterstem Schulhofniveau: „Limp Bizkit sind die Geilsten!“ Das Internet bietet wahnsinnig tolle Möglichkeiten – genutzt werden wohl eher die wahnsinnig nahe liegenden: Hetzerei, Exhibitionismus und, wahrscheinlich, Porno-Download.
Die „Spex“ hat die Albumkritik unlängst sogar ganz abgeschafft und damit für einigen Wirbel im Blätterwald gesorgt. Eine gute Idee?
Pfeil: Ich begreife die These dahinter noch nicht. Lautet sie: Das Album hat an Bedeutung verloren? Warum sollte man das akzeptieren müssen? Ich denke, dass man sich eher Formen anverwandeln will, die aus der Netzkultur abgeleitet sind. So eine Art vorauseilender Gehorsam. Dahinter steckt das Missverständnis, dass das Hin-und-her-Chatten zu einem Thema per sè Vielstimmigkeit produzieren würde. Aber bei „Rock am Ring“ brüllen 120.000 Leute mit einer Stimme. Der gute Pop-Autor hingegen ist vielstimmig. Einerseits, andererseits. Er kann mit sich selber in Dialog treten. Ich glaube nicht, dass man mit verbaler Internet-Armdrückerei weiter kommt.
Sie sind kürzlich 40 geworden – das galt in den Zeiten von „live hard, die young“ schon als scheintot. Wie lange kann man über Pop schreiben?
Pfeil: Die Pop-Musik hat doch längst aufgehört, eine reine Jugendkultur zu sein. Denken Sie an Bob Dylan, der schon 1997 auf seinem „Time out of Mind“-Album über Altern, Todeserwartung gesungen hat: „It’s not dark yet, but it’s getting there“... Es ist auch im Pop normaler geworden, zu altern. Na gut, die Rolling Stones singen immer noch über 16jährige Mädchen...
Mit Pop lässt sich die Pubertät ad infinitum verlängern. Was für die Kinder der in die Jahre gekommenen Musik-Aficionados auch eine Strafe sein kann...
Pfeil: Es wird der Tag kommen, da mich meine Tochter, die jetzt Sieben ist, mit einer semi-pornografischen HipHop-Platte überrascht. Oder mit schrecklich reaktionärem Tätowierstudio-Rock. Da werde ich nicht sagen können: Mach’ das sofort aus, hör’ dir lieber Dylan an!
Man muss auch loslassen können...
Pfeil: Allerdings! Es kann heute nicht mehr darum geht, seltene Singles zu sammeln oder stolz zu sagen: Hey, ich habe die Version von der Platte, wo auf der B-Seite ein Pressfehler drauf ist. Das hat was von Märklin-Eisenbahnen-Sammeln.
1994 bestritten Sie mit ihrer Band im Kölner „Underground“ das Vorprogramm von „Tocotronic“. Heute lesen Sie in Clubs aus Ihrem Buch vor. Wo ist das Lampenfieber höher?
Pfeil: Lesen ist wesentlich schlimmer! Beim Musikmachen hat man immer wieder mal die Möglichkeit, sich wegzudrehen oder, wenn’s mal nicht so toll klappt, unten an seinen Effektgeräten rumzuspielen. Beim Lesen hört man sehr, sehr lang der eigenen Stimme zu. Das kann hart werden.
Erik Pfeil wurde 1969 in Bergisch Gladbach geboren. Von 1999 bis 2003 war er Produzent der Musiksendung „Fast Forward“. In den Folgejahren entwickelte er popkulturell geprägte TV-Formate und schrieb für diverse Zeitungen und Musikmagazine. Seit 2006 ist Pfeil als freier Autor für die F.A.Z. und Spiegel Online tätig. Soeben erschien sein erstes Buch „Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee“ bei KiWi. Im Internet findet sich sein „Pop-Tagebuch“ unter: http://faz-community.faz.net/blogs/pop/default.aspx