Ein renommierter deutscher Verlag lässt für die Originalausgabe eines harmlosen Kinderbuches ein Autorenpseudonym und ein Verlagspseudonym in das Impressum drucken. Staatliche Zensur gibt es bei uns gottlob nicht mehr, weshalb also dies? Ganz einfach: Es geht um den Deutschen Jugendliteraturpreis.
Der Coup gelingt: Das Buch wird 2005 ausgezeichnet, aus 100 eingereichten Kinderbüchern ausgewählt. Und auch wenn im Vorwort des angeblichen Übersetzers etwas anderes steht – es gibt weder den kanadischen Originalverlag, noch das einsam bei Toronto lebende und mit Foto abgebildete Autorenpaar, noch den überwältigenden Bestsellererfolg in Kanada und den USA. Und erst recht keinen Übersetzer.
Kaum eine Chance für deutsche Autoren
Ein Blick auf die Vergabestatistik des Preises erklärt, warum es sich gelohnt hat, dem Buch eine solche Übersetzungsgeschichte anzudichten: Deutsche Autoren haben, zumindest in den »literarischen« Sparten, kaum eine Chance, unseren Staatspreis zu erhalten. Sie wurden von den Kritikerjurys beim Kinderbuch in acht Jahren nur einmal und beim Jugendbuch seit fünf Jahren überhaupt nicht mehr ausgezeichnet.
Nicht anders sieht es bei den Nominierungen aus: Rund 90 Prozent der nominierten Titel sind Übersetzungen, allein 60 Prozent aus dem Englischen und Holländischen. Ein Verlag ist also gut beraten, vorzugsweise Bücher aus diesen Sprachen einzureichen, die Chancen für eine Auszeichnung dürften etwa um das 20-fache steigen. In anderen Ländern kennt man das nicht. Alle wichtigen Kinder- und Jugendbuchpreise, und das gilt weltweit, sind den eigenen Autoren, der eigenen Sprache vorbehalten.
Aber die Benachteiligung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur geht noch weiter. Beim Jugendliteraturpreis dürfen die deutschsprachigen Originalwerke erst im Vorjahr erschienen sein, es müssen also Novitäten sein. Für die Übersetzungen hingegen gilt dies nicht. Die Originalwerke können gegebenenfalls mit über Jahre hinweg verkauften Lizenzen, Rezensionen, (nationalen) Preisen und – idealerweise – mit Bestsellerplatzierungen punkten.
So war es eigentlich gar nicht anders zu erwarten, dass das oben beschriebene Buch tatsächlich einen Preis bekommen hat. Der Fall zeigt, dass es weniger um die Qualität als um die Herkunft eines Buches geht. Weshalb sollten deutschsprachige Autoren auch so viel schlechter sein als angloamerikanische oder holländische?
Folgen für das Lizenzgeschäft
Die Folgen sind massiv. Für deutsche Verlage fällt der Deutsche Jugendliteraturpreis als wichtigstes Verkaufsargument im Lizenzhandel praktisch weg. So wurden 2008 sage und schreibe nur sechs Kinder- und Jugendbücher ins Englische übersetzt, während schätzungsweise 300 Lizenzen aus dem angloamerikanischen Bereich eingekauft wurden.
Dies trifft besonders kleine und mittlere Autorenverlage. Aber wichtiger noch: Wer könnte für die Ziele des Preises – also für die Förderung des öffentlichen Interesses, für die Begegnung und die Auseinandersetzung mit der Kinder- und Jugendliteratur – mehr leisten als der Autor selbst, in seiner Sprache? Die Vergabepraxis der Juroren arbeitet damit den Zielen der Auszeichnung entgegen. Es ist Zeit, der Familienministerin nahezulegen, die Ausschreibung des Preises internationalen Standards anzupassen.