„Er ist luftig, körperlos, allgegenwärtig, nicht unterworfen dem Unterschiede von Hier und Dort", heißt es am Anfang von Thomas Manns „Der Erwählte", Gemeint ist der Geist der Erzählung. Gemeint ist der geisterhafte Autor, der für den Leser verborgen und rätselhaft bleibt, obwohl er ihm doch so nahe ist. Obwohl er dem Leser sein Innerstes oder zumindest Teile davon offenbart und obwohl der Leser Stunden, ja Tage und Wochen mit diesen Offenbarungen zubringt, hat diese Zweisamkeit etwas Gespenstisches. Es gibt nur Worte, kein Gesicht. Der Leser sieht den Dichter nicht.
Wenn aber doch, was für ein Graus! Dann kommt die ganze Häßlichkeit heraus. Von Frank Schätzing einmal abgesehen wirken Schriftsteller nicht gerade wie Filmstars, denn würden sie wie Filmstars wirken, könnten sie auch in Filmen spielen und bräuchten sich nicht vom Schreiben zu ernähren. Außerdem leben Schriftsteller in der Regel eher ungesund: sie sitzen bis zum Haltungsschaden an irgendwelchen Tastaturen und ernähren sich spät nachts von Alkohol und Zigaretten und verfluchtem Knabberzeug. Davon werden sie dick am Bauch und teigig im Gesicht; es ist kein Spaß, sie anzuschauen.
Häßlich ist aber nicht selten auch die Seele. Gerade die Autoren, die am überzeugendsten aus seelischer Notwendigkeit schreiben, sind die schlimmsten. Wer Schicksalsschläge, Menschenkehricht und sonstige Abgründe meisterhaft darstellt, ist selber ein Verwundeter und Gestrandeter – das ist doch logisch. In kaum einer Berufssparte liegt der Anteil kaputter Typen höher als bei den Autoren. Möchte man die wirklich persönlich kennenlernen?
Die Gelegenheit dazu bietet sich bei Tausenden von Festivals und Fernsehauftritten, Lesungen und Diskussionen, Protestveranstaltungen und Benefizgalas. Überall sind Dichter dabei; das Buch wird zum Event geknetet. Autoren lesen ihre Texte vor, als verstünden sie nicht mal den Wortlaut. Mit brüchigen und blechernen Stimmen stampfen sie durch das, was früher mal ein Feingewebe aus köstlichen Einfällen und fabelhaften Formulierungen gewesen ist. Alle Souveränität und Anmut sind dahin. Thomas Bernhard hat einmal auf grausam präzise Art beschrieben, wie ein Werk an seinem Urheber durch dessen Auftreten zuschanden wird, wie sich die Begeisterung des Lesers in Verachtung für den Autor wandelt, bloß weil er ihn persönlich kennenlernt.
Für die Literatur ist nichts fataler als dieser Kult um die Persönlichkeit. Doch der ist der Treibstoff des Literaturbetriebs. Das Publikum will jeden Autor anfassen, und fast jeder Autor läßt sich auf die Bühne zerren. Postum fällt er dann unter die Biographen, die sein Leben und seine Persönlichkeit Stück für Stück gegen seine Schriften kehren, bis von ihm nichts mehr übrigbleibt als ein Haufen Schande. Allerdings sind auch solche Biographien Literatur. Auch sie stammen von Autoren, die wiederum auf Podien sitzen, vorlesen, diskutieren und sich beim entsetzten Publikum unmöglich machen. – Vielleicht gibt es doch so etwas wie Gerechtigkeit auf Erden?