Die bald scheidende Literaturhaus-Chefin Maria Gazzetti konnte mit dieser Veranstaltung schon einmal andeuten, was ihr für die kommende Aufgabe in der Leitung des Münchner Lyrik Kabinetts vorschwebt, wenn sie im Börsenblatt (Heft 10/2010) schwärmt, dass Dichtkunst durchaus das Zeug dazu habe, Stadien zu füllen – "wegen ihrer Nähe zur Musik, ihrer Rhythmik". Michael Lentz wäre so ein Stadion-Paradelyriker, weil er sich gut auf Performance versteht.
Die Lesung begann gleich mit einer feinen Irritation, weil nicht Lentz selbst, auch nicht Felicitas von Lovenberg als Moderatorin, sondern ein älterer Herr aus der ersten Reihe das Wort nahm und ein Gedicht aus "Offene Unruh" vortrug, danach eine Dame hinten im Saal ein weiteres: Franz Mohn und Eva Demski hatten sich anregender Weise als "Stimmen" zum Intro bereit erklärt. Und Lentz, der Professor für literarisches Schreiben, sollte später im Gespräch über die (eigene) Stimme sagen, sie sei "ein Selbsthermeneutiker. Sie legt mich ja aus beim Lesen. Dann gerate ich neben die Zeile."
Nach der intensiven, von keiner Ablenkung und (wie das Buch) keinem Klappentext unterbrochenen Autorenlesung, in der alle möglichen und unmöglichen Konstellationen der Liebe – ihre ständige Absturzgefahr vom Gar-nicht-erst-zustandekommen-Wollen bis zum scherbenreichen Kaum-noch-was-übrig-Sein – zu klangvoller Sprache gebracht wurden, entwickelte sich ein nicht minder spannendes Gespräch. Das eröffnete die FAZ-Literaturkritikerin von Lovenberg mit der Frage: "Wie kommt die Liebe ins Gedicht?"
Eine schöne Vorlage für jemanden, der sich für die Theorie des Dichtens mit gleicher Leidenschaft interessiert wie für die Praxis. Man erfuhr viel über Einflüsse (Walther von der Vogelweide, Petrarca). Über die konkrete Arbeit am Gedicht ("wenn man den Sprachmotor erst einmal angeworfen hat..."). Über die Bereitschaft zur Bewunderung (die sich im Fall von Lentz gelegentlich auch an einem Fußballhelden wie Toni Polster entfalten kann). Und über die beachtliche Rolle von Porzellan im (Liebes-)Leben.
Wie hatte Maria Gazzetti eingangs formuliert: Gedichte, "auf anscheinend kleiner Liebessparflamme gekocht". Vielleicht haben sie gerade so, rhetorisch radikal entrümpelt, das Zeug zur Popularität. Buchhändlern, die bezweifeln, dass sich ihre Kunden im Frühjahr mit Liebeslyrik hinter dem Ofen hervorlocken lassen, sei versichert: Mit "Offene Unruh" könnte es was werden.