Abschlussbericht

Trends von der Bildungsmesse didacta

22. März 2010
Redaktion Börsenblatt
Lernmedien werden stetig neu erfunden – diesen Eindruck bekommt, wer auf der Bildungsmesse didacta in Köln an den Messeständen entlang geht. Wird hier nur der Umschlag des Schulbuchs aufgepeppt oder ändert sich Grundlegendes?
Multimedia war 1995 das Wort des Jahres, so entschied die Gesellschaft für deutsche Sprache. 2010 steht die Bildungsmesse didacta in Köln unter dem Zeichen von Multimedia – allerdings redet niemand mehr darüber. Wie selbstverständlich haben sich die digitalen Inhalte in die Bildungslandschaft eingeschlichen. Schon beim Durchblättern eines Schulbuchs fallen Hinweise auf Videos und Animationen ins Auge.

Das hat sich in den letzten Jahren am Schulbuch geändert: Der Rand an den Seiten nicht mehr nur weiß. Stattdessen wird der Seitenrand für Notizen und Hinweise genutzt, für zusammenfasssende Stichwörter etwa, damit sich der Schüler leichter orientieren kann. Aber auch Testfragen oder Aufgaben zur Überprüfung des Lerninhalts zieren den Seitenrand, ebenso Zahlencodes, mit denen Schülerinnen und Schüler im Internet oder auf beiliegender DVD weiteres Material finden: Animationen, Videos, Simulationen, interaktive Experimente. Multimediale Materialien werten das Schulbuch auf.

Das neue Lehrwerk für die gymnasiale Oberstufe "Markl Biologie" von Klett führt den Schüler schon mit den Überschriften in naturwissenschaftliche Zusammenhänge ein: Die Kapitelüberschriften sind in Form von Merksätzen formuliert. Da heißt es nicht einfach nur "Die Zelle", sondern "Proteine und Kohlenhydrate machen Zellen von außen erkennbar". Abbildungen und Grafiken sind so umfangreich gestaltet und beschriftet, dass ein Zusammenspiel von Überschrift, Grafik und hervorgehobene Merksätze effektives Lernen ermöglichen. Die Texte erläutern die Zusammenhänge noch zusätzlich.

Professor Jürgen Markl von der Universität Mainz versucht mit der neuen Darstellung im Schulbuch, nicht mehr nur Faktenwissen sondern biologische Zusammenhänge zu vermitteln, er spricht dabei von Konzepten. Vernetztes Lernen fördern auch andere Lehrwerke, etwa "Chemie im Kontext" von Cornelsen. Alltagstaugliche Beispiele dienen darin als Aufhänger für das gesamte Oberstufenwissen im Fach Chemie. Der Vielen aus früherer Schulzeit noch bekannte Direcke Weltatlas vom Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers ist ein weiteres Beispiel für moderne Lerninhalte, die über das Buch hinausgehen. Der so genannte Premium-Bereich im Internet liefert zusätzliche Materialien zu den Karten im Atlas, inklusive der Anbindung an Google Earth und Google Maps. Der Online-Atlas hilft mit einer 3D-Kartographie, das räumliche Vorstellungsvermögen zu schulen; Karten aus dem Atlas lassen sich als Overlay über die Globusdaten legen. Auf der didacta wurde dem Diercke Weltatlas der renommierte deutsche Bildungsmedienpreis "digita" verliehen.

Alle Schularten sind betroffen

Die Einbindung multimedialer Inhalte und von kontextbezogenem Wissen ins Schulbuch ist keineswegs nur eine Angelegenheit der gymnasialen Oberstufe. Berufsbildende Schulen haben die digitalen Medien längst entdeckt, wie etwa der Bildungsverlag EINS mit seinerm interaktiven Lernprogramm für die Kraftfahrzeugtechnik zeigt, einer Simulation für Kfz-Mechaniker. Die Anwendung ist jederzeit im Internet abrufbar, nachdem sich Schüler und Lehrer zuvor registriert haben. In aller Komplexität ist in Bild und grafischer Simulation dargestellt, was sich unter der Motorhaube des Autos verbirgt. Daran übernehmen die Schüler Wartungs- und Reparaturaufgaben. Nur wer die Zündkabel korrekt anschließt, wird auch beim Mausklick auf den Zündschlüssel ein  Motorgeräusch vernehmen.

Ferner werden Lernmedien der zunehmenden Individualisierung des Unterrichts gerecht – auch diese Entwicklung ist auf der didacta deutlich geworden. Irina Pächnatz, Pressesprecherin bei Cornelsen, schwärmt vom neuen Mathematikbuch Super M für die Grundschule: "In einem Buch sind Aufgaben für die verschieden leistungsstarken Schüler zusammengefasst: Schüler die noch etwas wiederholen müssen oder solche, die weitere Herausforderungen brauchen." So bekommen Lehrer unterschiedliche Zusatzaufgaben an die Hand, auf einer Doppelseite ist das Thema dargestellt, Verweise zu Folgeseiten führen zu unterschiedlichen Aufgaben für die verschiedenen Schüler.

Karl Slipek, Geschäftsführer des Ernst Klett Verlags, resümiert: "Um das Schulbuch herum bildet sich ein Kranz an weiteren Angeboten, digitale Inhalte für Schüler und Lehrer etwa oder Arbeitsmaterialien für Lehrer." Im Internet oder auf digitalem Datenträger sind Zusatzmaterialien zu finden, etwa um Projekte an Schulen zu stärken. Damit erzielen Lernmaterialien eine höhere Aktualität, wenn etwa Biographien wichtiger Zeitgenossen nicht erst mit der Neuauflage des Schulbuchs auf den neusten Stand gebracht werden.

Der Produktkranz um das Schulbuch herum bringt dem Schüler neben den beschriebenen multimedialen Inhalten auch eine Vielzahl an Übungen und Textaufgaben, mit Hilfe derer gezielt auf individuelle Interessen, auf Stärken oder Schwächen, eingegangen werden kann. Für den Lehrer ist das Angebot nicht minder umfangreich. Arbeitsblätter für den Unterricht bekommt der Lehrer nicht nur als Kopiervorlage oder im Pdf-Format, die neuen digitalen Arbeitsblätter bilden kleine Unterrichtseinheiten, die von Multimedia Gebrauch machen, sie sind interaktiv. Möglich wird diese Entwicklung durch die Verbreitung von Whiteboards in den Schulen. Der Lehrer zaubert Lernmodule auf die elektronische Tafel, die den Unterrichtsstoff veranschaulichen. Da werden kleine Konversationen für den Französisch-Unterricht vorgesprochen, von Muttersprachlern. Schüler treten vors Klassenzimmer und ordnen die Zitate den Sprechblasen eines Comics zu. Oder im Mathematik-Unterricht finden die Schüler ein Roulette-Spiel an der Tafel, sie setzen auf ihre Zahl, starten das Spiel und bekommen mit dem Ergebnis Zahlenreihen und Grundsätze der Mathematik verdeutlicht. Uwe Schönefeld, Gruppenleiter Mathematik bei Cornelsen, meint: "Die Vorbereitung des Unterrichts wird stückweise vom Verlag übernommen."

Die Arbeit mit dem Whiteboard rückt also in den Vordergrund – ein Rundgang über die didacta vermittelt dem Besucher den Eindruck, es gäbe in Schulen keine Tafeln und keine Kreide mehr. Die Präsentationen auf den Messeständen werden allesamt auf Whiteboards vorgeführt: Tafelgroße Bildschirme, in die Lautsprecher eingelassen sind und die wie ein Touchscreen auf den Fingerzeig von Lehrer oder Schüler reagieren. In der Realität sind Schulen natürlich kaum mit Whiteboards ausgestattet. Das Thema wird Pädagogen noch einige Jahre begleiten.

Nur wenige Schüler lernen mit dem Handy

Mobile Endgeräte liegen im Trend. Smartphone und PDA, iPhone und Nintendo DS kommen mit Lerninhalten für die Schule daher. Beim Nintendo DS sind es zielgruppenspezifisch Lernmodule für Grundschule und die Klassen 5 bis 7 in der Sekundarstufe, mehrere Verlage wie Cornelsen oder Tivola bieten Übungen für Mathe, Deutsch und Englisch. Vokabel pauken mit dem Handy hingegen, vor einigen Jahren auf der didacta noch als Neuerung vorgestellt, hat die Schüler kaum erreicht. Der Trend zum Sprachen lernen mit Hilfe von iPhone, Handy, PDA und Co findet vor allem in der Erwachsenenbildung oder im Falle von Business-Englisch statt.

Für Schüler wird hingegen das altbekannte elektronische Wörterbuch zunehmend attraktiv. Casio hat dem Modell EW-G350 die Löschtaste für den Lehrer verpasst, mit der das Gerät alle Einträge aus dem Arbeitsspeicher löscht, auch die Spickzettel. Was bleibt ist ein reines Wörterbuch, das Schüler in Schleswig-Holstein und Niedersachesen in Zukunft sogar in die Abiturprüfung nehmen dürfen. Sollten weitere Bundesländer dem Beispiel folgen, so könnte der Trend zum mobilen Endgerät auch in der Schule neuen Auftrieb bekommen und Franklin, Hexaglot und Sharp dürften dem Beispiel folgen.

Fazit: Die großen Themen und Innovationen gab es auf der diesjährigen didacta nicht. Niemand spricht mehr von der Revolutionierung des Unterrichts durch Multimedia. Galt es einst als schick, interaktive CD-ROMs zu präsentieren, treten die Medien CD-ROM und DVD heute kaum mehr in Erscheinung. Und doch stecken viele multimedialen Lerninhalte auf der Silberscheibe – die ist im Buch oder Arbeitsheft einfach auf dem Rückumschlag beigefügt. Hybridprodukte und Internet, von wo die Animationen und Simulationen, die Lehrfilme, Übungen und Tests abgerufen werden können, sind ohnehin verbreitet. Bei genauem Hinsehen wird aber der Trend zu individualisiertem Lernen deutlich. Die Lernmedien ändern sich. Es ist die Revolutionierung des Unterrichts in leisen Tönen.