Der Bundesinnenminister im Interview

Thomas de Maizière: "Auch im Internet gibt es Regeln"

26. März 2010
Redaktion Börsenblatt
Ein Gespräch mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière über Datenschutz und Eigentumsrechte im Netz, übertriebene Ängste und schwärmerische Visionen.
Sie haben unlängst Netzaktivisten ins Bundesinnenministerium eingeladen und angehört, weitere Treffen sind geplant; außerdem wurde eine Enquetekommission fürs Internet gebildet. Fehlt es der Politik an grundlegendem Verständnis für die Netzwelt?
Thomas de Maizière: Der Politik fehlt es nicht am Grundverständnis, aber sie kann aus dem Dialog mit allen, die sich in der Netzwelt bewegen, noch viel lernen. Die vier Veranstaltungen zur Netzpolitik, die ich bis zum Sommer durchführen werde, sind offene ­Dialoge. Mir geht es darum, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in der virtuellen Welt besser zu verstehen. Gleichzeitig wollen wir ausloten, wie eine gerechte Verantwortungsverteilung zwischen Nutzern und der Internetwirtschaft aussehen kann und welche Rolle der Staat übernehmen soll.

 

In einem Blog hieß es: »Der Innenminister ist ja der politische Intimfeind von Bürgerrechtlern und Datenschützern ...«. Gibt es eine Wende im Verhältnis zur Internetgemeinde?
Thomas de Maizière: Ein substanzieller Dialog kann nur in Gang kommen, wenn die Beteilig­ten bereit sind, aufeinander zuzugehen. Der Staat hat gelernt, die Netzgemeinschaft als Gesprächspartner ernst zu nehmen. Die erste Dialogveranstaltung zur Netzpolitik hat insgesamt ein recht positives Echo gefunden. Die Diskussion hat gezeigt, dass auch Bürgerrechtler und Datenschützer die Rolle des Staates keineswegs von vornherein negativ sehen. Ein effektiver Datenschutz ohne staatliches Handeln ist undenkbar. Wenn der Staat selbst Daten erhebt und nutzt, hat er strikt den Datenschutz zu beachten. Weder der Datenschutz noch andere Freiheitsrechte gelten jedoch absolut. Auch der Schutzauftrag muss erfüllt, und kollidierende Grundrechte müssen mit Augenmaß zum Ausgleich gebracht werden. Über die Frage, ob dieser Ausgleich im Einzelfall gelungen ist, wird sich immer streiten lassen. Strittige Einzelfragen staatlicher Datenverarbeitung dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gefahren für die Privatsphäre im Internet weniger vom Staat als von Unternehmen ausgehen, die Daten in einem teilweise riesigen Ausmaß sammeln und vernetzen. Darin werden mir Bürgerrechtler und Datenschützer vermutlich zustimmen können.

»Wir verstehen das Internet als Raum der Freiheit, der erhalten und verteidigt werden muss«, heißt es aus Ihrer Partei. Wie wollen Sie erreichen, dass daraus kein immer größerer rechtsfreier Raum wird?
Auch im Internet gibt es Regeln. Neben allgemeinen Regeln des Internets, die letztlich der Architektur des Internets folgen, gilt das jeweilige nationale Recht. Im Mittelpunkt unseres Grundgesetzes steht das selbstbestimmte Individuum. Diesen Anspruch der Selbstbestimmung müssen wir auch in einer vernetzten digitalen Welt durchsetzen. Wir wollen dem Einzelnen die erforderlichen Mittel an die Hand geben, selbst zu entscheiden, wie er sich im virtuellen Raum bewegt, welche Spuren er hinterlässt und wie er sie gegebenenfalls auch wieder löschen kann. Das nationale Recht bietet hierfür bereits Mittel, aber auch weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Wir müssen diese maßvoll nutzen und uns auch auf internationaler Ebene stärker einbringen, um an der Gestaltung eines kohärenten internationalen Rechtsrahmens mitzuwirken. Denn bei einem dezentral organisierten Medium wie dem Internet, für das räumliche Grenzen oft nachrangig sind, werden wir viele Fragen nur mit einem europäischen und internationalen Ansatz lösen können.

Die »Stärkung der Mitverantwortung von Anbietern und Nutzern«, wie im Zusammenhang mit dem Einsetzen der Enquetekommission formuliert wurde, ist ein schöner Gedanke. Aber wie soll das konkret gelingen?
Thomas de Maizière: Am besten gemeinsam. Der netz­politische Dialog dient nicht zuletzt dazu, gemeinsame Lösungen für eine gerechte Verantwortungsteilung zu finden. Aus staatlicher Sicht besteht die beste Lösung darin, dass Anbieter und Nutzer ihre jeweilige Verantwortung selbst wahrnehmen. Wo dies nicht gelingt, stehen die Aufklärung, staatliche Appelle und Vorschläge zur Selbstverpflichtung der Anbieter an erster Stelle. Des Weiteren sind staatliche Angebote nötig, wie beispielsweise zur Zertifizierung von Anbietern beziehungsweise für Schutzvorkehrungen gegen Identitätsdiebstahl oder Mittel zur Verschlüsselung von Kommunikation für die Nutzer. Erst wenn diese Mittel keinen Erfolg versprechen, sollten wir gesetzliche Regelungen erarbeiten.  

»Jeder elektronische Atemzug wird gespeichert«, sagte jüngst in Karlsruhe der FDP-Politiker Burkhard Hirsch vor dem Bundesverfassungsgericht, das über Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verhandelte. Hat er recht, wenn er einen Dammbruch sieht und um Persönlichkeitsrechte fürchtet, auch wenn das Bundesverfassungsgericht inzwischen die Regelungen über die Vorratsdatenspeicherung in ihrer konkreten Ausgestaltung für verfassungswidrig erklärt hat?
Thomas de Maizière: Wer im Internet unterwegs ist, hinterlässt grundsätzlich Spuren, die von unterschiedlichsten Dienste­anbietern gespeichert werden. Das ist ein Stück weit ähnlich wie beim Telefon: Schon zu Abrechnungszwecken speichern Telefongesellschaften seit Langem Verbindungsdaten, auf die Strafverfolgungsbehörden im konkreten Verdachtsfall und unter bestimmten Verfahrensvoraussetzungen zugreifen können. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet nun auch dazu, dass die Internet-Nutzungsdaten, die durch die Dienste­anbieter erhoben und gespeichert werden, mindestens sechs Monate gespeichert werden müssen, damit – ebenfalls unter strengen Voraussetzungen – die Polizei und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall darauf zugreifen können. Es ist unbestritten: Internet-Nutzungsdaten sind besonders sensibel und die rechtsstaatlichen und tatsächlichen Vorkehrungen zum Schutz der gespeicherten Daten sind besonders wichtig. Einen Dammbruch kann ich in der Speicherung allerdings nicht erkennen. Übertriebene Ängste sind im Internet – wie überall – ebenso fehl am Platz wie allzu schwärmerische Visionen. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die europäische Richtlinie vorsieht, keineswegs verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. Es hat dem Gesetzgeber allerdings aufgegeben, bei den Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes nachzubessern. Das müssen wir jetzt zügig in Angriff nehmen.

Wie können Datenschutz auf der einen und Eigentumsrechte auf der anderen Seite in Einklang gebracht werden? Müssen sich Verlage und Autoren davon verabschieden, dass Urheberrechtsverletzungen im Internet zivilrechtlich verfolgt werden?
Thomas de Maizière: Nein, aber ich will den Überlegungen der insoweit zuständigen Bundesjustizministerin nicht vorgreifen.