Meinung

Kinderbuch: Der Blick auf das Fremde

18. März 2010
Redaktion Börsenblatt
Warum der Deutsche Jugendliteraturpreis bleiben muss wie er ist. Monika Bilstein antwortet auf Otfried Wolfrum.
Mit dem Deutschen Jugend­literaturpreis ist das so eine Sache: Wer ihn bekommt und wer vorher schon auf der ­Nominierungsliste steht, der freut sich. Wer leer ausgeht – und das muss bei jährlich mehr als 7 000 Novitäten im Kinder- und Jugendbuch schon rein rechnerisch die Mehrheit sein –, der denkt: Da hat doch die Jury mal wieder nicht die wirklichen Perlen herausgefischt. Und dann loben die Jurys im Lauf der Jahre auch noch auffallend oft Titel fremdsprachiger Autoren, wie Verleger Otfried Wolfrum in Börsenblatt 10 / 2010 moniert. Er fordert den Stifter auf, die Vergabekriterien zugunsten deutschsprachiger Autoren zu ändern.
Der einzige deutsche Staatspreis für Literatur hat jedoch eine Geschichte: Als das Bundes­jugendministerium ihn 1956 ins Leben rief, sollte nicht die deutsche Literatur im Vordergrund stehen, sondern der Nachwuchs sollte eine Orientierung bekommen, was qualitativ das Beste aus der Bücherernte eines Jahres ist, und zwar weltweit.
Warum sollte das 50 Jahre später nicht mehr sinnvoll sein? Kinder und Jugendliche sollen ihren Blick weiten, zur Begegnung und Aus-einandersetzung mit literarischen Themen angeregt werden. Im Zeitalter des Internets ist unsere Wahrnehmung globaler denn je, und im Alltag haben die Kinder in Betreuungseinrichtungen, in Schulen längst mit Kindern aus anderen Kontinenten Kontakt. Literatur leistet ein Vordenken, ein Einfühlen in zunächst fremde Welten, die oft nur der dort ge-borene Schriftsteller authentisch vermitteln kann. Fremde Blickwinkel tragen zur Verständigung bei.
In unserem Jugendbuch »Facing the Lion« erzählt der kenianische Autor Joseph Lemasolai Lekuton von den Wünschen und Träumen eines Maassai-Jungen. Die Schule, die der kleine Hirte besucht, ist mal acht, mal 30, mal 70 Kilometer entfernt, weil die Dorfgemeinschaft immer weiterzieht – dort-hin, wo Gras für die Rinder wächst. Kann ein deutscher Autor dieses Kinderleben so authentisch ver-mitteln? Lekuton weiß, wovon er schreibt; er hat es erlebt. Sollten solche Bücher keine Chance haben, zu den »Besten« zu gehören?
Es geht nicht darum, ob deutschsprachige Autoren schlechter schreiben als fremdsprachige; das tun sie gewiss nicht. Nur geht es beim Deutschen Jugendliteraturpreis nicht um das Entweder-oder, sondern um das Und: Alle Autoren, egal welcher Muttersprache und Nation, haben dieselbe Chance, Beachtung zu finden. Soll man den Jugendlichen in den Leseclubs, die die Jugendjury bilden, etwa sagen: Schön, dass euch jener Roman gefallen hat, aber er darf nicht der beste sein, weil ihn eine Französin geschrieben hat?
Sicher kann ein prämierter hiesiger Autor mit einer Lesereise zur Freude des Buchhandels noch einiges tun für das Preisbuch. Aber der Jugendliteraturpreis ist nun mal kein Handelspreis mit dem Ziel der Auflagensteigerung. Mag sein, dass die deutsche Kinderbuchlandschaft noch einen zusätz-lichen Preis mit anderer Ausrichtung brauchen könnte – wie die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen schon lange meint. Doch der Jugendliteraturpreis hat einfach einen anderen Ansatz.
So viele Übersetzungen kaufen die Verlage im Übrigen gar nicht ein: Von 7 319 Erstauflagen sind es 1 051 Titel, 14 Prozent. Auch das Feuilleton trennt nicht zwischen deutsch- und fremdsprachiger Literatur, es präsentiert das seiner Ansicht nach Empfehlenswerteste. Genau darum geht es: um das Beste für den Nachwuchs.