Anspruchsvolles für die Masse

8. April 2010
Redaktion Börsenblatt
Die Individual- oder Kulturverleger zu Beginn des 20. Jhds. wollten Anspruch und kommerziellen Erfolg, Kultur und breite Rezeption vereinen. Noch heute dominieren ihre Selbstbeschreibungen die wissenschaftliche Literatur zum Thema. Die Geschichte einer wissenschaftlichen Arbeit von Hanna Hartberger und Cornelia Weileder
Man gründe einen Verlag während einer Italienreise, um in den ersten Jahren auf den Publikationen stets Florenz und Leipzig als Verlagssitz angeben zu können. Ferner passe man das Familienwappen an das Verlagswappen, und das Verlagskonzept an das Lebensmotto an. Zuletzt vertrete man die Ideale seines Verlags derart überzeugend, dass am Ende ein Verleger-Typus nach einem benannt wird (auch wenn man es lanciert hat).

 

Ungefähr das und noch mehr hat Eugen Diederichs, der bis heute in der wissenschaftlichen Literatur als der Prototyp des Kulturverlegers dargestellt wird, getan. Wie auch immer man sein Leben und Wirken bewerten mag, es hat zu einer Schwierigkeit geführt: Große Teile der Literatur, die über ihn existiert, sind von seinen unzähligen Selbstaussagen beeinflusst. Wie findet man also heraus, was Eugen Diederichs wirklich auszeichnet? Und wie findet man an Hand eines so herausragenden Prototypen außerdem heraus, was einen Kulturverleger im Allgemeinen ausmacht?

Die Genese einer wissenschaftlichen Arbeit

Anfänglich hatten wir unser Referat noch recht modern aufgezogen. Wir stellten eine grobe Definition eines Kulturverlegers als eines Verlegers vor, der sich bemüht, v.a. oder gar ausschließlich kulturell hochwertige Werke zu verlegen und dabei wenig oder gar nicht auf die Finanzen und die Deckung seines Programms achtet. Außerdem sei dieser mit seinen Autoren persönlich stark verbunden oder auch befreundet. Anschließend stürzten wir uns in eine begeisterte Diskussion, was denn die Vorteile und die Nachteile dieser Art des Verlegens wären – also ob man mit dem Programm tatsächlich unrentables Wirtschaften rechtfertigen könne (ganz einig sind wir uns nach wie vor nicht).

Der Wendepunkt kam durch den Hinweis des Dozenten, dass unsere Kriterien im Grunde alles andere als explizit seien – gab es alle Phänomene doch auch schon zuvor wie danach und waren sie alle etwas unspezifisch.

 

Die Suche nach dem Sinn

 

Die Freundschaft zwischen Autor und Verleger, der verlegerische Idealismus und eine Risikofreude, die bis in den eigenen Ruin führt, sind demzufolge keine allgemeingültigen Kriterien für einen Kulturverleger. Stattdessen begannen wir zu fragen, wie der Begriff „Kulturverleger“ entstanden ist und was er genau aussagen soll. Durch die beiden Bestandteile „Kultur“ (von lat. cultura „Pflege des Körpers und Geistes“), die das Gegenteil zur Natur darstellt und folglich alles ist, was vom Menschen geschaffen wurde, und „Verleger“, dessen Bedeutung auf das Wort „vorlegen“ zurückgeht, und zwar in dem Sinne Geld vorzulegen, kommt man zu unserem ersten Verständnis des Kulturverlegers zurück. Jemand, der Geld vorstreckt, um Kultur zu realisieren. Die Etymologie verhilft folglich zu keiner Lösung, denn strecken nicht alle Verleger Geld vor, um Kultur zu ermöglichen? Der nächste Schritt in dieser Angelegenheit führte uns zurück in die Vergangenheit: Wo und mit welcher Bedeutung wurde der Begriff das erste Mal gebraucht? Und welches Kriterium unterscheidet den Kulturverleger vom „normalen“ Verleger?

 

Wieder am Anfang

 

Schließlich waren wir bei dem Verleger angelangt, der die ganze Diskussion mehr oder weniger dadurch in Gang gebracht hatte, dass er oft genug publizierte, er verlege insbesondere Kultur. Ironischerweise ist es gerade einer seiner Nachfahren, Ulf Diederichs, der hinter die Fassade blickte und ausführte, dass Eugen Diederichs durch mehr oder minder kalkulierte Wortwahl seiner Verlagsprogramme, Sortimenterzirkulare, Börsenblatt-Anzeigen oder sonstigen Prospekte auf eine besondere Würdigung hingearbeitet hatte. So kam es dann 1912, dass Helmut von den Steinen in seiner Dissertation erstmals den Kulturverleger explizit und Eugen Diederichs als seinen Prototypen erwähnte. Auch nachdem der – bereits hier nicht klar definierte – Begriff nach einer Pause aus ideologischen Gründen in den 1990er Jahren durch Reinhard Wittmann wieder eingeführt wurde, gewann er bedauerlicherweise nicht an Klarheit. Wir fragten uns im Gegenteil, ob nicht ein ganzer Kreis an Wissenschaftlern einer fast schon hundert Jahre alten Werbemaschinerie aufgesessen war. Der Werbemaschinerie von einem nämlich, der ohne Zweifel das weite Spektrum an PR-Aktivitäten bravourös beherrscht, sich ohne Rücksicht auf persönliche Belange intensiv für seinen Verlag eingesetzt und aus diesem alles, was zu erreichen war, herausgeholt hatte. Und es blieb die Frage: Hatten wir etwas übersehen oder hatten die vor uns nicht alles gesehen?