Beurteilung der Schullektüre
Neben Klassikern werden in der Oberstufe natürlich auch Werke der Moderne sowie zeitgenössische Titel eingesetzt. Obwohl die Schüler an den klassischen Werken am wenigsten Gefallen finden, lehnen nur wenige von ihnen diese Titel prinzipiell ab. Die meisten Jugendlichen dieses Alters verstehen nämlich durchaus, dass die Besprechung der Klassiker im Unterricht sinnvoll ist.
In der gymnasialen Unterstufe wird der Literaturunterricht von den Schülern häufig noch als Ergänzung oder sogar Anregung zur Privatlektüre empfunden. Die meisten Werke, die die Heranwachsenden in ihrer Freizeit lesen, sind auch als Klassenlektüre geeignet. In der Mittelstufe weichen Schul- und Privatlektüre immer mehr voneinander ab: Während sich die Heranwachsenden in ihrer Freizeit mit spannenden Lesestoffen beschäftigen, die der Entspannung und Unterhaltung dienen, wird im Unterricht zunehmend Hochliteratur behandelt, wofür eine analytische Arbeitshaltung erforderlich ist. Schüler der Mittelstufe bewerten den Literaturunterricht daher häufig negativ. Obwohl auch in der Oberstufe nur selten Schul- und Privatlektüre übereinstimmen, beurteilen die Schüler der Sekundarstufe II die schulischen Lesestoffe wieder positiver: Im Gegensatz zur Mittelstufe erkennt ein Großteil der älteren Schüler den Sinn des Analysierens und differenziert daher zwischen schulischen und privaten Leseweisen.
Auswirkung der Schullektüre auf das Leseverhalten
Die Akzeptanz der schulischen Lesestoffe allein sagt allerdings wenig darüber aus, ob die Leseförderung im Literaturunterricht gelingt. Denn obwohl die Schullektüre in der Oberstufe den meisten Schülern gefällt bzw. wenigstens nicht negativ wahrgenommen wird, hat der Unterricht kaum positive Auswirkungen auf das private Leseverhalten der Jugendlichen: Nur wenige werden durch den Unterricht dazu angeregt, in ihrer Freizeit anspruchsvolle Literatur zu rezipieren. Darüber hinaus führt die Schullektüre bei der Mehrheit der Schüler nicht dazu, dass sie privat mehr liest. Besonders Jungen berichten nur selten von positiven Auswirkungen auf die Privatlektüre.
Auswirkung der Schullektüre auf die Lesemotivation
Die meisten Schüler der Oberstufe stellen keinen Zusammenhang zwischen Schullektüre und Lesemotivation fest. Das bedeutet allerdings auch, dass der Literaturunterricht normalerweise nicht als lesefördernd wahrgenommen wird. Viele Jugendliche sind der Meinung, dass es zur Steigerung der Lesemotivation nötig wäre, stärker auf ihre privaten Lektüreinteressen einzugehen. Somit wird das Dilemma des Literaturunterrichts deutlich: Für die Leseförderung sind meist andere Texte und Leseweisen notwendig als für die literarische Bildung. Diese beiden Ziele lassen sich daher kaum miteinander vereinbaren. Ein weiteres Problem besteht außerdem darin, dass der Notengebung im Unterricht ein hoher Stellenwert zukommt, was ebenfalls die Leseförderung beeinträchtigt. Diese Differenzen können im Rahmen des Lehrplans wohl nicht aufgehoben werden. Dennoch könnte die Lesemotivation der Schüler wenigstens etwas gestärkt werden, wenn sie bei der Lektüreauswahl ein stärkeres Mitspracherecht hätten. Titel, die beispielsweise mithilfe einer Abstimmung ausgewählt werden, motivieren die Jugendlichen nämlich eher dazu, das Werk vollständig zu lesen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, zusätzlich auch andere Textarten als Belletristik zu besprechen. So interessieren sich gerade Jungen der Sekundarstufe I besonders für Sachtexte. Außerdem könnten Wenigleser durch den Einsatz neuer Medien – mit denen sie sich überdurchschnittlich viel beschäftigen – zum Lesen motiviert werden.