Interview mit Thomas Bez

“Der sechste Tag ist ein relativ teurer Luxus“

22. April 2010
Redaktion Börsenblatt
Durch die Digitalisierung verändern sich die Aufgaben des Zwischenbuchhandels. Umbreit-Chef Thomas Bez über die Herausforderungen.

Wie werden sich Aufgaben und Anforderungsprofil des Zwischenbuchhandels durch die Digitalisierung ändern?
Bez: "Die Digitalisierung wird die Aufgaben und das Anforderungsprofil nicht nur im Zwischenbuchhandel, sondern im gesamten Verbreitenden Buchhandel ändern, denn zur Digitalisierung zählt (landläufig) nicht nur die entsprechende Form der Datenhaltung, sondern auch die elektronische Übermittlung der Inhalte (Internet!). Es werden also immer mehr (bisher) gedruckte Werke digital vorliegen und elektronisch übermittelt werden, jedenfalls soweit die digitale Version auf entsprechenden Geräten mindestens gleich gut oder besser zu lesen und zu verarbeiten ist. Dazu kommt die Möglichkeit multimedialer Aufbereitung der Inhalte usw."

Wie verändern sich dadurch die Handelsströme?
Bez: "Der Philosophie des Internets entspricht die Philosophie kurzer Wege, das heißt, die Botschaft wandert nicht mehr über verschiedene Absatzstufen vom Sender (Autor) zum Empfänger (Leser/Nutzer), sondern im Zweifelsfall dominiert der direkte Verkehr. Das zeigt sich bereits im wissenschaftlichen Bereich und wird auf andere Bereiche übergreifen."

Was heißt das für den Zwischenbuchhandel?

Bez: "Für den (Zwischen-)Buchhandel entfällt eine ganze Menge von Handelsfunktionen. Der Teil, der davon bleibt, wird häufig von anderen übernommen, so zum Beispiel die Bibliographie, die über kurz oder lang auch die Suchmaschinen übernehmen können, zumal wenn ihnen das gesamte literarische Spektrum (bis hin zu Zeitungen und Zeitschriften) gescannt oder original digital übermittelt vorliegt. Dann kann nicht nur nach dem Titel, sondern auch nach sämtlichen im Inhalt auftauchenden Begriffen gesucht werden. Lediglich ein guter bibliographischer Schlagwortbaum wird weiter seine Daseinsberechtigung haben.

Die traditionellen Aufgaben werden bleiben, aber nicht mehr unbedingt beziehungsweise ausschließlich von Mitgliedern der Branche erbracht werden. Für den Zwischenbuchhandel bedeutet dies, dass wir unsere USPs für andere Branchen öffnen und nutzen müssen, bei denen das Internet zum Beispiel nur die Bestell-Logistik ersetzt, aber nicht auch die Lieferung (weil das Produkt nicht elektronisch übermittelbar ist)."

Welches sind derzeit die drängendsten Herausforderungen?
"Die derzeit drängendsten Herausforderungen ergeben sich aus der sogenannten digitalen Revolution. Natürlich wird ein Teil der Aufgaben und Anforderungen bleiben, nämlich so weit und so lange noch mit gedruckten Medien gehandelt wird. Dabei tun sich sogar neue Aufgabenfelder auf, wie das Fulfillment, das der Zwischenbuchhandel für die Internetbuchhändler anbietet; aber der Gesamtmarkt gedruckter Medien wird kleiner werden, und es fragt sich, für wie viele (Zwischen-) Buchhändler noch Platz bleibt.

Um sich zu behauten werden die (Zwischen-)Buchhändler neue Aufgabenfelder im Wege der Diversifikation suchen beziehungsweise finden müssen. Die besten Beispiele dafür finden sich in den Verlagsauslieferungen, die sich längst für andere Branchen geöffnet und neue Aufgaben übernommen haben, von der digitalen Speicherung von Gebrauchsanweisungen und dem Ausdruck beziehungsweise elektronischen Versand on demand an eine Werkstatt, die historische Automobile repariert/restauriert, bis zur Herstellung und Abrechnung von Kundenkartensystemen."

Die Zwischenbuchhändler positionieren sich immer mehr als Rundum-Dienstleister für das Sortiment. Wird dieser Entwicklung weiter zunehmen?
Bez: "Zur Diversifikation gehört, dass Zwischenbuchhändler nicht nur das Fulfillment für den Internet-Buchhandel anbieten, sondern auch ihren Allround-Service für ihre Kunden erweitern. Service hat im Zwischenbuchhandel schon immer eine große Rolle gespielt – denken Sie etwa an die Aufstellung der ersten Terminals, an die Einführung der Warenwirtschaftssysteme oder an die Warengruppensystematik. Weniger bekannt sind Vermittlungen im Bereich Nachfolge beziehungsweise Verkauf/Kauf von Buchhandlungen und Verlagen, Finanzierungshilfen u. ä., denn darüber wird nicht öffentlich geredet.

Der Service für den Buchhandel im Internet (von den Titel-Datenbanken bis zum Fulfillment) sind so gesehen nur eine logische Fortentwicklung der Hilfen im Bereich EDV/IT, die die Zwischenbuchhändler seit den 1970er Jahren leisten. Schulungen und Seminare setzen die Kunden der Zwischenbuchhändler in Stand, sich am Markt zu behaupten, und das kommt nicht zuletzt den Zwischenbuchhändlern zugute."

Es wird immer wieder über die Übernacht-Lieferungen debattiert. Wird das Service-Angebot auf Dauer aufrecht erhalten werden können?
Bez: "Die Debatte um die Übernacht-Lieferungen hat sich aus der Debatte um die tägliche Belieferung der Buchhandlungen entwickelt. Ursprünglich haben die Barsortimente damit geworben, Titel innerhalb eines Tages zu liefern. Zur Übernacht-Lieferung kam es, als die Verkehrssituation es nicht mehr erlaubte, in der Rush-Hour morgens oder abends Bücher auszufahren, weil die Zeitpläne der Touren nicht mehr eingehalten werden konnten. Insbesondere die Barsortimente, die gleichzeitig ein Presse-Grosso betrieben, haben sich die Erfahrungen aus der Übernacht-Lieferung zu Nutze gemacht und die Buchhandlungen davon überzeugt, dass es von Vorteil ist, wenn sie die Ware bereits vor Ladenöffnung am vereinbarten Platz oder im Laden stehen haben, damit sie – noch bevor die ersten Kunden den Laden betreten – die Lieferungen in die Abholfächer oder in die Regale einsortieren können."

Aber auch hier wurde noch etwas drauf gesattelt …

Bez: "Die gesamte Logistik der Zwischenbuchhändler ist auf die tägliche Belieferung abgestellt, allerdings waren es ursprünglich fünf Tage pro Woche und nicht sechs Tage. Der sechste Tag ist erst durch den Neubau von Libri in Bad Hersfeld entstanden und ist immer noch ein relativ teurer Luxus, weil am Samstag nicht alle Kunden in gleichem Maße bestellen, wie an den übrigen Werktagen. Damit sind die Touren am Montag weniger ausgelastet, als an den anderen Werktagen. Aber welcher Buchhändler (ab einer bestimmten Größenordnung) will auf diesen sechsten Liefertag verzichten? Oder welcher Buchhändler kann es sich wirklich vorstellen, nur jeden zweiten Tag beliefert zu werden? Hier entscheidet der Markt, das heißt der Wettbewerb. Und es entscheiden die Kapazitäten im Lager der Zwischenbuchhändler, das heißt sowohl im Barsortimentslager als auch in den Räumen, wo die Sendungen für den Büchersammelverkehr erfasst und neu zusammengestellt werden. Eine Reduzierung der Lieferungen in der Woche hätte zur Folge, dass nicht mehr täglich bestellt beziehungsweise fakturiert wird, und dass Lieferungen im Büchersammelverkehr zwischengelagert werden müssen – ein Problem, das logistisch lösbar wäre. Aber viele (wichtige) Kunden im Buchhandel haben sich längst darauf eingestellt, dass Bücher über Nacht besorgt werden können, sonst weichen sie auf den Internetbuchhandel aus, oder im Wege der Substitution auf andere Geschenkartikel, die vorrätig sind, wenn sie das gewünschte Buch nicht am nächsten Tag erhalten."


Wie beurteilen Sie die Kooperationsversuche der Barsortimente untereinander?
Bez: "Die Versuche, im Bücherwagendienst zu kooperieren, sind mühsam. Der einheitliche Bücherdienst in der Schweiz ist nach Jahren gescheitert, der Test zwischen KNV und Libri in Berlin war am Ende doch nicht von Erfolg gekrönt, lediglich in der Einholung gibt es nach wie vor eine Kooperation zwischen KNV und unserem Haus: KNV holt für uns dort ab, wo es sich für unseren Bücherwagendienst wegen des zu geringen Aufkommens nicht lohnen würde, täglich oder mehrmals in der Woche Sendungen abzuholen."

 

Mehr über den Zwischenbuchhandel lesen Sie im "ABC des Zwischenbuchhandels“, das der heutigen Ausgabe des Börsenblatts beiliegt.