Die Branche bewertet Modernisierungsschübe anhand der Messlatte der Tradition und beklagt den Verfall. Der Kunde dagegen beurteilt den Buchhandel im Kontext der Einzelhandelslandschaft und kommt zu anderen Einsichten. Wenn Schuhgeschäfte nur die Produkte von Deichmann oder Salamander verkaufen,
H & M die einen oder Zara die anderen mit Textilien aus eigener Herstellung versorgt, wenn Douglas in Filialgeschäften die immergleichen gelisteten Artikel anbietet und keine Kundenwünsche im Besorgungsgeschäft erfüllt, dann hat eines Tages auch der Letzte begriffen: »What you see is what you get«, und was man nicht sieht, das gibt es nicht. Zumindest nicht hier.
Was für ein Albtraum!, werden Sie sagen, und vielleicht auch: Wie gut, dass die Versorgung mit Büchern anders funktioniert. Und wahrscheinlich werden Sie sich fragen, warum ich Ihnen das überhaupt erzähle. Der Grund ist simpel: Ich habe mit einem normalen Menschen geredet, einem Mann Anfang 30, der Bücher nur zu seinem Vergnügen liest. Von ihm stammen die oben angeführten Vergleiche mit Markenartikeln, und für ihn, der sein Geld in der Werbung verdient, war klar: Was bei Brillen, Schuhen, Pkw etc. gebräuchlich ist, wird bei Büchern nicht anders sein. Eigentlich ein logischer Gedanke.
Womit wir der Debatte um ein Branchenmarketing etwas Zunder zuführen können. Es geht nicht mehr darum, dass bestimmte Leistungen nur noch vereinzelt angeboten werden, vielmehr ist einem Teil des Publikums gar nicht bewusst, dass diese Art von Leistung überhaupt möglich ist – bei Marx heißt das »doppelte Deprivation«. Dummerweise sieht der so Beraubte darin kein Problem, nach seiner Kenntnis des Einzelhandels ist das nun einmal der Lauf der Zeit.
Mein Gewährsmann unterstellt durch Analogieschlüsse ein Szenario, das bei manchen Verlagskonzernen im Giftschrank liegen mag: das »RH-Outlet« oder der »Holtzbrinck-Megastore«. Welchen Sinn könnte die Arrondierung der Portefeuilles in den 90er Jahren sonst wohl gehabt haben? Vielleicht sind die Handelsketten der Umsetzung zuvorgekommen, vielleicht haben die Verlage gemerkt, wie hart man im Sortiment sein Brot verdient. Über die These Zieglers, die Margen auch der kleinen Sortimente seien luxuriös, wird dort wohl mancher den Kopf geschüttelt haben.
Verloren gegangen ist die Erwartungshaltung, die Buchhändler (ver)führten ihre Kunden auf die verschlungenen Pfade der gesamten Literatur. Ein kommerziell aufgestellter Buchhandel kann diese Leistung derzeit anscheinend nicht mehr erbringen, und der moderne Konsument wird schnell vergessen, dass es so etwas einmal gegeben hat.
Doch wenn gemeckert wird, dann bitte über den Bedeutungsverlust der Literatur und diejenigen, die dazu beitragen. Ein Buchhändler, der nicht bereithält, was nicht nachgefragt wird, trägt daran keine Schuld.