Veranstaltungen

Hamburger Begegnungen

4. Mai 2010
Redaktion Börsenblatt
Das Weihnachtsglöckchen von Rainer Moritz kam selten zum Einsatz. Es sollte die Teilnehmer der ersten Hamburger Begegnungen an die vorgegebene Redezeit von maximal vier Minuten erinnern. 30 Schriftsteller und Kritiker kamen auf Einladung von Rainer Moritz, Meike Feßmann und Sibylle Lewitscharoff im Literaturhaus Hamburg zusammen, um über das Thema „Eins nach dem anderen oder alles zugleich – Wer erzählt wie“ zu diskutieren.

Dass Rainer Moritz selten zum Glöckchen griff, lag zum Teil an der guten Vorbereitung der Gäste. Es lag aber auch an dem vorsichtigen Umgangston vieler Diskutanten. Dieser wurde überraschenderweise auch sofort bedauert. So beklagte Sibylle Lewitscharoff ganz grundsätzlich das Fehlen der Schärfe in der Literaturkritik, auch wenn diese auf sie selbst herniedergehe. „Die Kritik sollte mal wieder so richtig die Sau rauslassen“, verlangte sie in ihrem Plädoyer für die Polemik. Der Teufel in Politik und Kunst in Deutschland sei die Wagheit. Dafür bekam Lewitscharoff viel Zuspruch, von Autoren wie Kritikern, wohlgemerkt. Auch Tilmann Krause – wen wundert`s –  ärgerte sich über die weichgespülte Zivilisation, die als Kompensation Wadenbeißerei hervorbringe. Lothar Müller merkte an, dass für echte Polemik echte Feindschaft nötig sei, die man üben und kultivieren müsse.

Meike Feßmann hatte dazu gar keine Lust und wollte auch gar nicht in irgendwelche Waden beißen. Wieso es schlecht sei, als Kritiker dem Werk eines Autors erklärend gegenüberzutreten und es von seiner stärksten Stelle ausgehend zu untersuchen, fragte sie. Iris Radisch nannte als Beispiel für eine blühende Streitkultur im Feuilleton ausgerechnet den Fall Hegemann, „Wir kamen zwar zu keinem klaren Ergebnis, aber wir haben uns auf einander bezogen im Feuilleton“, und bekam dafür auch noch Zuspruch von Richard Kämmerlings, der in der Hegemann-Debatte ein Lebenszeichen der Literaturkritik sieht. Katja Lange-Müller erwiderte: „Das klingt nach dem Gesetz des therapierten Bettlers: Weg ist es nicht, aber jetzt bin ich stolz drauf“. Überhaupt ging es viel um die Rolle der Kritik bei dem prominent besetzten Treffen des Literaturbetriebs. Da wird die Verunsicherung eines Berufsstandes deutlich, der durch das Internet und das Eindampfen der Redaktionen bedroht ist und trostsuchend zusammenrückt. „Die Zeit meint es nicht gut mit den Kritikern“, meinte auch Sigrid Löffler. Und Hans Pleschinski hatte gleich das Bedürfnis, den Kritikern hilfreich unter die Arme zu greifen: „Ich habe das Gefühl, dass ich als kleiner Autor mit meinem Buch die Kritiker schützen muss. Denn Bücher werden weiter geschrieben, aber irgendwann gibt es kein Feuilleton mehr, das darauf reagieren kann“.

Lothar Müller fasste es in einem Satz zusammen: „Die Print-Tageszeitung wird verschwinden, ganz klar“.  Nun wurde es Robert Menasse zu bunt. Er sei nicht hergekommen, um über die Probleme der Journalisten zu sprechen, sondern wolle sich mit Autorenkollegen über`s Romane-Schreiben unterhalten. Und erklärte, dass ihn solche Romane besonders bewegen, die vom Untergang einer Epoche berichten. Er nennt diese Bücher „Vorabendromane“. Sie seien das, was von jeder Zeit, die vergeht, bleibe. Ulrich Peltzer wies darauf hin, dass das Internet auch alles Verschwindende bewahre. Im Netz sei alles für alle Zeit verfügbar. Das ist ein Thema, über das im Verlauf der Hamburger Begegnungen immer wieder gesprochen wurde: Ist das Internet Konkurrenz oder Gegenstand von Literatur? Und wie geht man mit seinen Möglichkeiten um? Da wurde die Schicksalsgemeinschaft von Autoren und Kritikern deutlich. Beide müssen sich mit dem Internet und den elektronischen Medien auseinandersetzen. „Wir sitzen im selben Boot“, meinte Tilmann Krause. „Wir sitzen gar nicht im selben Boot“, erwiderte Ursula März, überlegte und fügte hinzu. „Die Kritik ist vielleicht ein Beiboot, mehr nicht.“ So mäanderte der Gesprächsfaden durch die Veranstaltung, streifte mal Fragen nach Inhalt, Stil und Form von Romanen,  verhedderte sich dann und wann in Quengeleien des Literaturbetriebs, berührte Theorie und Anspruch, Ästhetik und Flughöhe von Literatur. Das Ergebnis: Keines. Oder: Viele. Eines wurde aber deutlich: Es lohnt sich, mit einander zu sprechen. Wann geht`s weiter, Herr Moritz?